Neuer Ansatz gegen Demenz |
Brigitte M. Gensthaler |
06.09.2023 16:30 Uhr |
Setzen auf das Antipsychotikum Amisulprid im Kampf gegen Demenzen: Professor Dr. Evgeni Ponimaskin und Dr. Josephine Labus vom MHH-Institut für Neurophysiologie / Foto: KARIN KAISER MHH
Ein gemeinsames Merkmal vieler neurodegenerativer Erkrankungen sind krankhafte Proteinablagerungen im Gehirn. Neben dem bekannten Amyloidprotein ist vor allem das Tau-Protein an der Entwicklung von Erkrankungen wie Alzheimer- und Frontotemporale Demenz beteiligt. Forscher sprechen von Tauopathien. Die Ablagerung von Proteinaggregaten lässt Nervenzellen absterben und Hirnareale schrumpfen, was sich bei den Betroffenen als fortschreitende Demenz zeigt.
Kürzlich entdeckte ein Forschungsteam um Professor Dr. Evgeni Ponimaskin, Wissenschaftler am MHH-Institut für Neurophysiologie, Hannover, dass die Signalübertragung über den konstitutiv aktiven Serotonin-Rezeptor-Typ 7 (5-HT7) eine wichtige Rolle in der Pathologie spielt. Die hohe Grundaktivität fördert die Hyperphosphorylierung und pathologische Aggregation von Tau und könnte durch inverse Agonisten gebremst werden. »Wir haben herausgefunden, dass das Antipsychotikum Amisulprid die basale Aktivität des 5-HT7-Rezeptors hemmt«, berichtet Ponimaskin gegenüber der Alzheimer Forschung Initiative (AFI), die das Forschungsprojekt co-finanziert.
Das Team untersuchte mehrere zugelassene Psychopharmaka, darunter Amisulprid, Mianserin, Clozapin, Lurasidon, Tiaprid und Vortioxetin, bezüglich ihrer Aktivität am 5-HT7-Rezeptor. Clozapin, Amisulprid und Lurasidon zeigten invers agonistische Effekte, wobei Amisulprid am potentesten war, ohne andere Serotonin-Rezeptoren zu beeinflussen, berichteten die Wissenschaftler kürzlich in der Fachzeitschrift »Alzheimer's & Dementia«. Der Arzneistoff konnte so die Hyperphosphorylierung und Anhäufung von Tau-Proteinen reduzieren. Amisulprid ist seit Langem zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen.
»Den therapeutischen Effekt konnten wir in verschiedenen Zell- und Tiermodellen sowie in Nervenzellen, die aus menschlichen Stammzellen mit krankheitsrelevanten Mutationen differenziert wurden, bestätigen. Bei Mäusen konnte der Wirkstoff Gedächtnisstörungen reduzieren«, erklärt Ponimaskin gegenüber der AFI. »Diese Ergebnisse zeigen, dass Amisulprid ein krankheitsveränderndes Medikament zur Behandlung von krankhaften Tau-Ablagerungen sein kann.«
Die Alzheimer-Forscher bereiten nun in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) eine klinische Phase-II-Studie vor, um die Wirkung von Amisulprid bei Patienten mit Demenzen zu testen. Die Studie soll noch in diesem Jahr starten. »Bereits abgestorbene Nervenzellen lassen sich nicht wieder reparieren. Wir hoffen aber sehr, dass das Medikament im frühen Krankheitsstadium die Demenz stoppen oder sogar ganz verhindern könnte«, erklärt der Neurophysiologe.