Neuer Alzheimer-Subtyp identifiziert |
Theo Dingermann |
07.05.2024 15:30 Uhr |
Ist APOE4 lediglich ein Risikofaktor für sporadisch auftretende Alzheimer-Demenz oder definiert das Allel eine eigene genetische Form der Erkrankung? Hierüber hat eine aktuelle Publikation eine Diskussion in der Fachwelt angestoßen. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
APOE4 ist eine von drei Varianten des Gens, das für das Eiweiß Apolipoprotein E (ApoE) codiert. Seit mehr als 30 Jahren weiß man um die Bedeutung des APOE4-Allels als einen wichtigen genetischen Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit. So haben Träger eines APOE4-Allels ein deutlich höheres Risiko, die Erkrankung zu entwickeln, als Träger des APOE3-Allels.
Die Ergebnisse einer neuen Studie, die im Fachjournal »Nature Medicine« publiziert wurden, legen jetzt den Schluss nahe, dass diese Genvariante eine noch wichtigere Rolle spielt als bisher vermutet. Ein Team um Dr. Juan Fortea und Dr. Víctor Montal vom Biomedical Research Institute Sant Pau in Barcelona postuliert, dass dieses Risikoallel eine besondere Form von Alzheimer verursacht, wenn es bei Betroffenen auf beiden Chromosomen vorhanden ist.
Die Forschenden analysierten die Daten von mehr als 13.000 Menschen, darunter fast 800 homozygote Träger des APOE4-Allels. Dabei stellten sie fest, dass fast alle homozygoten APOE4-Träger ein vorhersehbares Muster von Alzheimer-typischen Biomarker-Veränderungen im Gehirn aufwiesen. Hierzu zählte eine Anreicherung von β-Amyloid und τ, die mit einer Schädigung und letztlich dem Absterben von Neuronen in Verbindung gebracht werden.
Als genetisch bedingt galt bislang lediglich eine früh auftretende autosomal-dominante Alzheimer-Krankheit (ADAD), für die Mutationen in den Genen für das Amyloid-Vorläuferprotein (APP), für Presenilin 1 (PSEN1) und Presenilin 2 (PSEN2) verantwortlich sind. Das APOE4-Allel wurde bisher dagegen nur als ein relevantes Risikoallel für eine sporadisch, aber spät sich manifestierende Alzheimer-Erkrankung gesehen. Fortea und Kollegen schlagen vor, diese Annahme zu korrigieren: Sie präsentieren umfassende Belege für die Neukonzeption der APOE4-Homozygotie als eine Form einer genetisch bedingten Alzheimer-Krankheit, analog zur ADAD.
Laut den Ergebnissen verstarben mehr als 95 Prozent der homozygoten APOE4-Träger an einer Alzheimer-Krankheit. Das mittlere Alter beim Auftreten der Symptome lag bei den Betroffenen bei 65,1 Jahren und damit etwa zehn Jahre früher als bei APOE3-Trägern, wenn diese eine Alzheimer-Krankheit entwickeln. Damit war die Vorhersagbarkeit des Alters des Auftretens der Alzheimer-Symptomatik bei den homozygoten APOE4-Trägern vergleichbar zur Vorhersagbarkeit bei Patienten mit ADAD. Hinsichtlich der Symptomatik ließen sich keine Unterschiede bei den an Alzheimer erkrankten homozygoten APOE4-Trägern und erkrankten APOE3-Trägern feststellen.
Ein bemerkenswertes Resultat der Studie ist zudem, dass homozygote APOE4-Träger etwa 15 bis 20 Prozent aller Alzheimer-Patienten ausmachen, obwohl weltweit nur 2 bis 4 Prozent der Bevölkerung diese genetische Risikokonstellation aufweisen. Daraus leitet sich ab, dass man nun für ein Viertel der Alzheimer-Fälle die Ätiologie der Krankheit kennt.
Diese Analysen zeigen, dass homozygote APOE4-Träger beider Geschlechter die drei Hauptmerkmale erfüllen, die eine genetische Form der Alzheimer-Krankheit definieren. Dazu zählen
Würde sich die Neudefinition der Alzheimer-Krankheit bei homozygoten APOE4-Trägern als genetisch bedingt durchsetzen, hätte das relevante Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Forschende über die Erkrankung denken und sie untersuchen, merken Dr. Qin Xu, Zherui Liang und Professor Dr. Yadong Huang vom Gladstone Institute of Neurological Disease in San Francisco in einem »News & Views«-Beitrag zu der Arbeit der spanischen Arbeitsgruppe an. Wenn APOE4 vom Risikofaktor zum kausalen Faktor deklariert werde, unterstreiche das die Notwendigkeit, zu verstehen, wie APOE4 die Pathogenese der Erkrankung auslösen beziehungsweise vorantreiben kann und ob es dabei Ansatzpunkte für eine gezielte Medikamentenentwicklung geben könnte.
Professor Dr. Alfredo Ramírez von der Uniklinik Köln geht in einer Einschätzung gegenüber dem »Science Media Center« konform mit der Schlussfolgerung der Autoren der Studie. Dagegen sieht das Professor Dr. Elisabeth Stögmann von der Medizinischen Universität Wien etwas anders. Sie argumentiert, dass man eine APOE4-Homozygotie nicht völlig einer autosomal dominanten Alzheimer-Demenz gleichsetzen könne, weil die Vererbung dieses Genstatus an Nachkommen einem anderen Muster folgt, nämlich einem sogenannten semidominanten Modus. Dabei werde an Nachkommen lediglich ein APOE4-Allel vererbt, das allein aber nicht ausreicht, um die Erkrankung in oben genannter Form auszulösen.
Die Studienergebnisse werden sicherlich auch die Frage nach einer ApoE4-Diagnostik neu anfachen. Hierzu äußert sich Dr. Nicolai Franzmeier von der Ludwig-Maximilians-Universität München: »Die Studie hat praktisch erstmal keinen Einfluss auf die Diagnostik – zumindest aktuell nicht in Deutschland. In der klinischen Routine wird die APOE4-Diagnostik üblicherweise nicht empfohlen, da daraus aktuell keine therapeutische Konsequenz resultiert.«
Auch Stögmann nimmt hinsichtlich dieser Frage eine eher konservative Haltung ein. Sie sagt, dass eine präsymptomatische Testung von APOE für die Diagnostik oder für die prognostische Fragestellung bei Demenz weiterhin nicht generell empfohlen werden sollte, da ein APOE4-heterozygoter Trägerstatus in Bezug auf die Sicherung einer ätiologischen Demenzdiagnose eine zu geringe Aussagekraft hat und das Wissen um einen genetischen Risikofaktor belastend sein könne.