Neue Wirkstoffe jenseits des Großen Teichs |
Der Zehnjahresdurchschnitt liegt in den USA aktuell bei 47 Neuzulassungen pro Jahr. / © Getty Images/emyerson
Wie auch in den Vorjahren dominieren mit 15 neuen Arzneimitteln (30 Prozent) die Onkologika. Den zweiten Platz teilen sich dermatologische und hämatologische Arzneistoffe mit jeweils sechs Zulassungen (12 Prozent). Grünes Licht gab es zudem für fünf kardiologische Wirkstoffe (10 Prozent), wohingegen die Bereiche Neurologie und Infektionskrankheiten weniger Zulassungen als in den vorherigen Jahren verzeichneten.
Insgesamt 32 Zulassungen (64 Prozent) entfallen auf small molecules, was dem Fünfjahresdurchschnitt dieser Arzneistoffgruppe entspricht. 16 sind Proteine (32 Prozent), darunter zehn monoklonale Antikörper (20 Prozent) und drei bispezifische Antikörper (6 Prozent). Zwei neu zugelassene Arzneistoffe sind Oligonukleotid-basiert (4 Prozent).
Mit Spannung erwartet wurde die Zulassung der Fixkombination Xanomelin/Trospium (KarXT). Der duale M1/M4-Muskarin-Acetylcholin-Rezeptor-(mAChR-)Agonist von Karuna Therapeutics und Bristol-Myers-Squibb mit dem Handelsnamen Cobenfy™ bietet erstmals seit Jahrzehnten eine Therapiealternative mit neuartigem Wirkmechanismus zur Behandlung von Schizophrenie.
Xanomelin wurde ursprünglich Ende der 1990er-Jahre zur Therapie kognitiver und verhaltensbezogener Symptome der Alzheimer-Krankheit untersucht. Die Entwicklung musste allerdings wegen schwerer gastrointestinaler Nebenwirkungen abgebrochen werden. Die erhobenen klinischen Daten wiesen jedoch darauf hin, dass Xanomelin antipsychotische Wirkungen haben könnte. Karuna Therapeutics kombinierte daraufhin Xanomelin mit Trospium, einem peripher wirkenden pan-mAChR-Antagonisten, um die unerwünschten gastrointestinalen Wirkungen zu minimieren. Analysten prognostizieren für KarXT einen jährlichen Umsatz von über 3 Milliarden US-Dollar (2,9 Milliarden Euro).
Ebenfalls lange auf sich warten ließ das erste spezifische Medikament gegen die Fettlebererkrankung MASH (nicht metabolisch-assoziierte Steatohepatitis, ehemals NASH). Der Durchbruch gelang dem Unternehmen Madrigal Pharmaceuticals mit Resmetirom (Rezdiffra™), einem oralen Agonisten am Schilddrüsenhormonrezeptor-(THR-)β. Schätzungen zufolge leiden etwa 10 bis 15 Millionen Menschen in den USA an einer MASH. Für das hepatoselektive Medikament wird ein jährlicher Umsatz von mehr als 3,3 Milliarden US-Dollar (3,2 Milliarden Euro) erwartet.
Eines der umsatzstärksten neu zugelassenen Arzneimittel könnte die Dreifachkombination Vanzacaftor/Tezacaftor/Deutivacaftor (Alyftrek™, Vertex Pharmaceuticals) für Mukoviszidose-Patienten werden. Sie baut auf dem Blockbuster-Erfolg der ersten Dreifachtherapie Ivacaftor/Elexacaftor/Tezacaftor (Trikafta®) desselben Herstellers auf, die auf dem besten Weg ist, einen Jahresumsatz von 10 Milliarden US-Dollar (9,7 Milliarden Euro) zu erzielen.
Beide Kombinationen verwenden den CFTR-Korrektor Tezacaftor, die neue Dreifachtherapie außerdem den neuartigen CFTR-Korrektor Vanzacaftor sowie das deuterierte Analogon von Ivacaftor namens Deutivacaftor. Während die ältere Dreifachkombination zweimal täglich eingenommen wird, reicht bei der neuen die einmal tägliche Gabe. Für Alyftrek wird ein jährlicher Spitzenumsatz von mehr als 8,3 Milliarden US-Dollar (3,7 Milliarden Euro) vorausgesagt.
Mit Acoramidis (Attruby™) von Bridge-Bio Pharma gibt es einen neuen Arzneistoff zur Behandlung der kardialen Amyloidose (ATTR-CM). Dabei handelt es sich um eine lebensbedrohliche Krankheit, die durch die Destabilisierung und Fehlfaltung des Transportproteins Transthyretin (TTR) verursacht wird. ATTR-CM ist eine seltene Krankheit, die jedoch häufiger auftritt als bisher angenommen. Weltweit dürften etwa 300.000 bis 500.000 Menschen davon betroffen sein. Acoramidis stabilisiert TTR und mildert so die Auswirkungen der Krankheit. Es tritt mit dem TTR-Stabilisator Tafamidis (Vyndaqel®) von Pfizer in Konkurrenz und wird einen geschätzten Jahresumsatz von 1,7 Milliarden US-Dollar (1,6 Milliarden Euro) erzielen.
Des Weiteren ist mit Donanemab (Kisunla™) von Eli Lilly ein weiterer Anti-Amlyoid-Antikörper zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen worden und damit zugleich eine erste Option, die Dosierung bei Patienten anzupassen beziehungsweise auszusetzen, sobald die Amyloid-Werte absinken. Die zukünftigen Umsätze des Wirkstoffs sollen bei rund 2,4 Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro) liegen.
Seit Jahrzehnten arbeiten Forschende an Zelltherapien mit tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) zur Behandlung solider Krebserkrankungen. Diese werden hergestellt, indem Krebsgewebe des Patienten entnommen wird und die darin enthaltenen krebsabtötenden T-Zellen isoliert und in Bioreaktoren expandiert werden. Anschließend werden diese dem Patienten wieder infundiert.
Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA erteilte eine beschleunigte Zulassung für Lifileucel (Amtagvi™) der Firma Iovances Biotherapeutics zur Behandlung von fortgeschrittenem Hautkrebs. Der geschätzte Umsatz für diese Zelltherapie liegt ebenfalls bei mehr als 1 Milliarde US-Dollar (970.000 Euro).
Fortschritte gibt es auch bei akuter Leukämie: Hersteller Syndax Pharmaceuticals hat für den Menin-Inhibitor Revumenib (Revuforj™) die Zulassung für die Behandlung von rezidivierter oder refraktärer akuter Leukämie mit einer KMT2A-Translokation bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab einem Jahr erhalten. Das Adapterprotein Menin interagiert mit verschiedenen Proteinpartnern und übt Funktionen bei der Tumorsuppression und Regulierung des Zellwachstums aus. In nicht klinischen In-vitro- und In-vivo-Studien zeigte Revumenib antiproliferative und antitumorale Aktivität in Leukämiezellen, die KMT2A-Fusionsproteine bilden.
Imetelstat (Rytelo™) ist eine neue Option bei Altersleukämie. Es ist der erste Telomerase-Inhibitor für die Behandlung des myelodysplastischen Syndroms (MDS) mit transfusionsabhängiger Anämie. Telomerasen verlängern die Telomere, die schon seit Langem mit Krebs und altersbedingten Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Imetelstat ist ein Oligonukleotid-Inhibitor der humanen Telomerase, der an die Matrizenregion der RNA-Komponente der Telomerase (hTR) bindet, die enzymatische Aktivität der Telomerase hemmt und die Telomerbindung verhindert.
Eine erhöhte Telomerase-Aktivität und eine erhöhte Expression der humanen Telomerase-Reverse-Transkriptase-(hTERT-)RNA wurden bei MDS und malignen Stamm- und Vorläuferzellen festgestellt. Nicht klinische Studien zeigten, dass die Behandlung mit Imetelstat zu einer Verkürzung der Telomere, einer Verringerung der Proliferation maligner Stamm- und Vorläuferzellen und zur Induktion des apoptotischen Zelltods führte. Analysten prognostizieren für das Medikament einen Spitzenumsatz von 1,4 Milliarden US-Dollar (1,3 Milliarden Euro).
Eine Zulassung gab es zudem gleich für drei bispezifische Antikörper. Tarlatamab (Imdelltra™) von Amgen richtet sich gegen das Protein Delta-like Ligand 3 (DLL3) sowie CD3 und ist zur Behandlung von kleinzelligem Lungenkrebs (SCLC) zugelassen. DLL3 ist normalerweise im Golgi-Apparat gesunder Zellen lokalisiert, befindet sich aber auch auf der Oberfläche von Lungenkrebszellen. Tarlatamab bindet DLL mit einem Arm und CD3 auf der Oberfläche von T-Zellen mit dem anderen, wodurch das Immunsystem dazu gebracht wird, die Tumorzellen zu eliminieren. Erwartet werden Jahresumsätze von mehr als 1 Milliarde US-Dollar pro Jahr (970.000 Euro).
Zanidatamab (Ziihera®) der Unternehmen Jazz und Zymeworks bindet gleichzeitig an zwei nicht überlappende Epitope von HER2, was als biparatopische Bindung bezeichnet wird. Dies verstärkt die HER2-Signalblockade und provoziert außerdem, anders als Trastuzumab (Herceptin®) oder Pertuzumab (Perjeta®), eine komplementvermittelte Zytotoxizität. Ziihera ist indiziert zur Behandlung von Erwachsenen mit vorbehandeltem inoperablen oder metastasierenden HER2-positiven (IHC 3+) Gallengangskarzinom.
Mit Zenocutuzumab (Bizengri®) von Merus Pharma gibt es erstmals einen Antikörper, der auf HER2 und HER3 abzielt. Zugelassen ist er für die Behandlung von Adenokarzinomen der Bauchspeicheldrüse und nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen, die NRG1-Genfusionen aufweisen und fortgeschritten, inoperabel oder metastasierend sind.
Literatur beim Verfasser