Neue Therapieoption ab der Drittlinie |
Sven Siebenand |
24.05.2023 07:00 Uhr |
B-Zell-Lymphome verursachen oft erst spät Beschwerden. Ein wichtiges Symptom sind geschwollene Lymphknoten. / Foto: Adobe Stock/didesign
Ein B-Zell-Lymphom ist eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems. Man unterscheidet verschiedene Arten von B-Zell-Lymphomen. Das diffus großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) zählt zu den aggressiven Non-Hodgkin-Lymphomen und ist weltweit das häufigste Lymphom bei Erwachsenen.
Loncastuximab-Tesirin (Zynlonta® 10 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Sobi) ist zugelassen als Monotherapie bei Erwachsenen zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären DLBCL und des hochmalignen B-Zell-Lymphoms (HGBL) nach zwei oder mehr systemischen Behandlungslinien. Es handelt sich um ein CD19-gerichtetes Antikörper-Wirkstoff-Konjugat.
Das Protein CD19 wird an der Zelloberfläche der meisten B-Zell-Neoplasien in hohem Maß exprimiert und ist deshalb ein vielversprechendes Ziel in der Behandlung von B-Zell-Lymphomen. Nachdem der Antikörper Loncastuximab an CD19 auf der Zelloberfläche von Lymphomzellen gebunden hat, wird das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat in die Zelle aufgenommen und das Zellgift Tesirin, ein potentes zytotoxisches Alkylans, enzymatisch freigesetzt. Das Pyrrolobenzodiazepin-Dimer Tesirin verhindert die Replikation der DNA, indem es kovalent an diese bindet und Quervernetzungen zwischen den Strängen der Doppelhelix bildet. Dies führt zum Zellzyklus-Arrest und letztlich zur Apoptose der betroffenen Zellen.
Relevant für die Zulassung des neuen Antikörper-Wirkstoff-Konjugats waren die Daten der offenen und einarmigen Phase-II-Studie LOTIS 2. Eingeschlossen waren 145 erwachsene Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL nach mindestens zwei vorangegangenen systemischen Therapielinien. Sie erhielten Loncastuximab-Tesirin als Monotherapie für bis zu einem Jahr oder bis zum Progress oder zum Auftreten inakzeptabler Toxizität.
70 Patienten, also knapp die Hälfte, sprachen auf die Therapie mit Loncastuximab-Tesirin an (primärer Endpunkt). Je 35 Behandelte (24 Prozent) erreichten eine partielle beziehungsweise komplette Remission. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug 10,3 Monate unter den 70 Respondern. Das progressionsfreie Überleben dauerte im Median 4,9 Monate, das mediane Gesamtüberleben 9,9 Monate.
Zynlonta wird alle drei Wochen über einen Zeitraum von 30 Minuten intravenös verabreicht. Die Behandlung kann so lange fortgesetzt werden, wie sie für den Patienten von Nutzen ist und keine unannehmbaren Nebenwirkungen auftreten. Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten. Die empfohlene Dosis beträgt 0,15 mg/kg alle 21 Tage für zwei Zyklen, gefolgt von 0,075 mg/kg alle 21 Tage für nachfolgende Zyklen. Wenn bestimmte Nebenwirkungen auftreten, kann der Arzt entscheiden, die Dosis zu reduzieren oder die Behandlung mit dem Medikament zu unterbrechen oder zu beenden. Vor Beginn der Behandlung sollten die Patienten Dexamethason erhalten, um mögliche Nebenwirkungen der Behandlung zu verringern. Empfohlen werden für drei Tage zweimal täglich 4 mg Dexamethason, beginnend am Tag vor der Gabe von Zynlonta.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Loncastuximab-Tesirin zählen erhöhte γ-Glutamyltransferase (36 Prozent der Patienten), Neutropenie (35 Prozent), Fatigue (30 Prozent), Anämie (29 Prozent), Thrombozytopenie (28 Prozent), Übelkeit (27 Prozent), periphere Ödeme (23 Prozent) und Ausschlag (20 Prozent).
Zynlonta® ist im Mai in den deutschen Markt eingeführt worden. / Foto: Sobi
In der Fachinformation finden sich verschiedene besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung. So sollten Patienten auf neue oder sich verstärkende Ödeme oder Ergussbildungen beobachten werden. Da die Behandlung mit dem neuen Medikament eine schwerwiegende oder schwere Myelosuppression hervorrufen kann, ist vor jeder Gabe ein Differentialblutbild zu machen. Zudem sind auf eine Infektion hinweisende Befunde und Symptome sowie neue oder sich verstärkende Hautreaktionen, einschließlich Lichtempfindlichkeitsreaktionen, zu überwachen.
Die Anwendung von Zynlonta während der Schwangerschaft wird nicht empfohlen. Das Stillen soll während der Behandlung und für mindestens drei Monate nach der letzten Dosis unterbrochen werden. Frauen, die schwanger werden können, sind darauf hinzuweisen, dass sie während der Behandlung mit Zynlonta und für die Dauer von zehn Monaten nach der letzten Dosis effektiv verhüten müssen. Männer mit Partnerinnen, die schwanger werden können, sollen während der Behandlung mit Zynlonta und bis sieben Monate nach der letzten Dosis kein Kind zeugen. Auf Grundlage der Ergebnisse von tierexperimentellen Studien kann Loncastuximab-Tesirin bei Männern die Fertilität beeinträchtigen. Daher sind Männer, die mit diesem Arzneimittel behandelt werden, über die Möglichkeit aufzuklären, vor Behandlungsbeginn Samenproben zu konservieren und in einer Samenbank aufbewahren zu lassen.
Zynlonta ist in der Originalverpackung im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern.
Standard in der Erstlinie des DLBCL, in der etwa zwei Drittel der Betroffenen geheilt werden können, ist eine Immunchemotherapie nach dem R-CHOP-Schema. Bei rezidivierten Patienten ist die Prognose deutlich schlechter. Glücklicherweise haben neue Therapieansätze in den vergangenen Jahren aber zu einer Verbesserung geführt, etwa CAR-T-Zelltherapien, Tafasitamab oder Polatuzumab-Vedotin.
Loncastuximab-Tesirin ist nun ein weiterer optionaler Therapiebaustein. Es handelt sich dabei aber weder um das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat noch um die erste gegen CD19 gerichtete Therapie in dieser Indikation. Einen Stellenwert bei Patienten, bei denen ein kuratives Konzept verfolgt wird, hat Zynlonta nicht. Insgesamt ist sein Innovationspotenzial damit überschaubar.
Dennoch darf man vorläufig die Einstufung als Schrittinnovation vornehmen. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, dass Loncastuximab-Tesirin und die verfügbaren CAR-T-Zell-Therapien unterschiedliche CD-19 Epitope adressieren und sich daher nicht ausschließen. Eine Fallserie zeigte, dass nach Therapie mit Loncastuximab-Tesirin rezidivierende Patienten auf eine CAR-T-Zell-Therapie ansprechen können. Anders herum zeigte die Zulassungsstudie, dass das Ansprechen auf Loncastuximab-Tesirin bei Patienten mit beziehungsweise ohne vorherige CAR-T-Zell-Therapie vergleichbar hoch war. Die Summe möglicher Optionen verbessert schlussendlich die Prognose der Patienten. Mit Interesse darf man auf weitere Ergebnisse mit Loncastuximab-Tesirin warten, etwa in Kombination mit Rituximab oder Lenalidomid.
Sven Siebenand, Chefredakteur