Neue Targets und Wirkstoffe in Sicht |
Etwa ein Drittel der an Schizophrenie erkrankten Menschen spricht nicht auf die heute verfügbaren Antipsychotika an. Sie hoffen auf neue Wirkstoffe, die ihnen besser helfen können. / © Getty Images/Peter Dazeley
In der Psychiatrie vollzieht sich gerade ein Paradigmenwechsel. Die kognitive Leistungsfähigkeit, Hedonie und Lebensqualität stehen zunehmend im Fokus der Behandlung. Dafür werden pharmakotherapeutische Lösungen gesucht.
Auch nach Abklingen der Kernsymptome einer Psychose, Depression oder Manie beeinträchtigen die kognitiven Symptome, beispielsweise Konzentrations-, Gedächtnis-, Auffassungs- und Aufmerksamkeitsstörungen, die Betroffenen oft dauerhaft, sodass sie nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig sind. Dies hat negative soziale und finanzielle Folgen. Das Wegbrechen einer Tagesstruktur kann die psychische Gesundheit weiter verschlechtern. Auch durch fortbestehende Anhedonie in Form von ausgeprägter Lustlosigkeit wird die Lebensqualität beeinträchtigt. Nichts macht mehr Spaß: Betroffene haben keine »Lust mehr auf gar nichts«.
Neben der unzureichenden Wirkung haben die aktuellen Pharmaka teilweise schwer zu tolerierende Nebenwirkungen, zum Beispiel sexuelle Funktionsstörungen, Schlafstörungen oder Gewichtszunahme. Auch daher werden dringend neue Wirkansätze gesucht.
Dieser Artikel stellt innovative therapeutische Strategien vor, darunter M1-/M4-Rezeptor-Agonisten, M1-Rezep-tor-Antagonisten, Kaliumkanalöffner, Glutamat-Agonisten, GLP-1-Agonisten, Orexin-Antagonisten, Glycin- und HDAC-Inhibitoren. Sie alle haben das Potenzial, Behandlungslücken zu schließen.
Bei Einführung der Antipsychotika in den 1950er-Jahren fokussierte man ganz auf das Abklingen der Positivsymptome wie Wahn und akustische Halluzinationen als Therapieziel. Jedoch rückte durch Einführung der moderneren Antipsychotika seit 1990 zunehmend auch die Negativsymptomatik wie sozialer Rückzug, Motivations- und Gefühllosigkeit in den Fokus.
Die Erst- und Zweitgenerations-Antipsychotika zielen vor allem auf das dopaminerge System ab. Durch antagonistische Wirkung am D2-Rezeptor sowie modulierende Wirkung auf die Dopamin-Freisetzung durch einen Antagonismus am 5HT2A-Rezeptor können im dopaminergen System entsprechende Wirkungen erzielt werden. Ab 2002 stand mit Aripiprazol erstmals ein partieller Dopamin-Agonist zur Behandlung der schizophrenen Spektrumserkrankungen zur Verfügung, der weniger extrapyramidal-motorische und metabolische Nebenwirkungen mit sich bringt.
Jede Psychopharmakotherapie muss ärztlich eng begleitet sein. / © Adobe Stock/ISO K Medien GmbH
Dem zweiten Drittgenerations-Antipsychotikum Cariprazin wurde sogar ein Zusatznutzen bei Negativsymptomen bescheinigt. Damit fällt es nicht unter die Festbetragsregelung.
Etwa ein Drittel der an Schizophrenie erkrankten Menschen respondieren jedoch nicht gut oder reagieren mit für sie inakzeptablen Nebenwirkungen auf die dopaminergen Wirkstoffe. Dazu gehören insbesondere extrapyramidal-motorische Symptome (EPS) und sexuelle Funktionsstörungen bei Erstgenerations-Antipsychotika, Gewichtszunahme und metabolische Nebenwirkungen bei den Zweitgenerations-Antipsychotika oder eine innere Unruhe bei den Drittgenerations-Antipsychotika.
Das Symptomspektrum der Schizophrenien wurde inzwischen um einige Beschwerdekomplexe erweitert; dazu gehören Neuromotor-Symptome, impulsive, affektive, kardiometabolische und kognitive Symptome (1). Seit 2020 gibt es erstmals Ansätze, die nicht mehr auf das dopaminerge System wirken: die M1/M4-Rezeptor-Agonisten.
M1-/M4-Muskarinrezeptor-Agonisten sind eine vielversprechende Klasse von Wirkstoffen, die eine präzise Modulation cholinerger Systeme ermöglichen. Ihre Rolle bei der Behandlung von schizophrenen Spektrumserkrankungen wird derzeit genau untersucht, da sie positive und kognitive Symptome beeinflussen könnten.
M1- und M4-Rezeptoren sind in ähnlichen Gehirnregionen vorhanden, in denen auch dopaminerge Neurone vorhanden sind und in denen die Positiv- und Negativsymptome verortet werden, zum Beispiel im Hippocampus, dem präfrontalen Cortex, dem anterioren Cingulum sowie dem Nucleus accumbens. Hingegen findet man die M4-Rezeptoren nicht in der Substantia nigra, sodass diese Wirkstoffe keinen Einfluss auf die Motorik in Form von EPS haben.
Die Muskarinrezeptoren beeinflussen die Konzentrationen verschiedener Neurotransmitter, darunter Acetylcholin und Dopamin. M4-Autorezeptoren sind vor allem in den Acetylcholin-ausschüttenden Neuronen im Tegmentum zu finden. Eine Aktivierung der Rezeptoren verringert die Ausschüttung von Acetylcholin im ventralen Tegmentum, was wiederum die Freisetzung von Dopamin im Striatum vermindert.
Die M1-Rezeptoren befinden sich vor allem im präfrontalen Cortex, und zwar auf den GABA-ergen Interneuronen. Durch Aktivierung wird vermehrt GABA freigesetzt. Dies reduziert die Glutamat-Freisetzung in den Pyramidenzellen, die im ventralen Tegmentum entspringen. Durch die verminderte Glutamat-Ausschüttung wird weniger Dopamin im Striatum ausgeschüttet.
Neben der Reduktion von Glutamat und Dopamin ist der M1-Agonismus an einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit beteiligt – ähnlich wie die Antidementiva (Acetylcholinesterase-Inhibitoren). Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernfähigkeit werden durch M1-Agonisten verbessert.
Der erste Vertreter wurde Ende September 2024 von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA in den USA zugelassen: KarXT. Viele weitere sind in der Pipeline. Bei den Präparaten wird jeweils ein M1-/M4-Agonist mit einem nicht ZNS-gängigen Anticholinergikum kombiniert, um vor cholinergen peripheren Nebenwirkungen zu schützen. Bei KarXT ist dies eine Kombination aus Xanomelin und Trospiumchlorid.
Xanomelin wurde als Antidementivum in den 1990er-Jahren entwickelt. Die cholinergen Nebenwirkungen führten jedoch zu einer hohen Abbruchrate in Studien, sodass der Wirkstoff nie zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen wurde. Auffällig waren jedoch die positiven Effekte auf die Verhaltenssymptome der Patienten, was zu der Idee führte, Xanomelin bei schizophren erkrankten Menschen zu erproben. Tatsächlich ergab eine randomisierte kleine (zweimal zehn Patienten) Pilotstudie günstige Resultate (2).
Eine Schwierigkeit bei der Auswahl der Wirkstoffkombinationen liegt in den Halbwertszeiten der Komponenten: Beide müssen ungefähr gleich sein, um die peripheren cholinergen Symptome zu unterdrücken. Je ähnlicher die Halbwertszeiten und Freisetzungszeiten (Cmax), desto besser die Verträglichkeit. Hier werden sich vermutlich signifikante Verträglichkeitsunterschiede der unterschiedlichen Präparate ergeben.
In der Phase-III-Studie EMERGENT-2 zeigte die Kombination Xanomelin-Trospium (KarXT) statistisch und klinisch signifikante Verbesserungen der Positiv- und der Negativsymptomatik gegenüber Placebo (3). Die häufigsten Nebenwirkungen waren gastrointestinal (Obstipation, Aufstoßen und Übelkeit mit jeweils 19 bis 21 Prozent, Erbrechen 14 Prozent, GERD 6 Prozent) und neurologisch (Kopfschmerzen 14 Prozent, Schwindel 9 Prozent). An Bluthochdruck litten 10 Prozent der Patienten (3). Unklar ist noch, wie es mit der langfristigen Verträglichkeit aussieht. Die Studien EMERGENT-4 und -5, die Betroffene über ein Jahr nachbeobachten, sollen diese Fragen beantworten.
Ein weiterer Muskarinrezeptor-Agonist, Emraclidin, der in der Pipeline war, enttäuschte in der klinischen Phase II. Weitere Datenauswertungen werden zeigen, ob der Wirkstoff in sekundären Endpunkten überzeugen konnte.
Die M1-/M4-Agonisten werden einen Meilenstein in der Schizophrenie-Behandlung darstellen, da sie sowohl gegen die Positiv- und Negativsymptome wirken als auch die Kognition verbessern, ohne extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen, Gewichtszunahme oder metabolische Nebenwirkungen auszulösen. Diese Entwicklung wäre der erste neue nicht-Dopamin-antagonistische Wirkansatz seit mehr als 70 Jahren zur Behandlung der schizophrenen Spektrumserkrankungen.
Der M1-Rezeptor ist ein neues Target in der Behandlung der Depression. PIPE-307 ist ein hochselektiver M1-Rezeptor-Antagonist, der ZNS gängig ist. Ähnlich wie Ketamin zeigt er schnell antidepressive Effekte über eine vermehrte BDNF-Ausschüttung (BDNF: Brain Derived Neurotrophic Factor).
Die Wirkung beruht auf der verminderten GABA-Ausschüttung und dadurch einer erhöhten glutamatergen Neurotransmission, was die BDNF-Ausschüttung steigert. Dieser Effekt wurde schon mehrfach für den unselektiven Muskarin-Antagonisten Scopolamin belegt. Jedoch ist dessen Verträglichkeit stark eingeschränkt, sodass mit PIPE-307 ein hoffentlich besser verträgliches Molekül zur Verfügung stehen wird (4–7).
Eine Demyelinisierung von Nervenbahnen und axonale Schäden sind typisch für eine Multiple Sklerose. Eine Remyelinisierung könnte die Erkrankung stoppen. / © Getty Images/Ed Reschke
Auch in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Für die schubförmig-remittierende MS sind in Deutschland zahlreiche Therapeutika zugelassen, die über unterschiedliche molekulare Mechanismen den autoimmunen Entzündungsprozess effektiv kontrollieren. Bei progredienten Verlaufsformen haben diese Medikamente jedoch nur einen geringen Nutzen und können den Verlust der Axone nicht verhindern.
Als bester Schutz gegen den axonalen Untergang wird die Remyelinisierung angesehen, also der Ersatz verloren gegangener Myelinscheiden. PIPE-307 wird derzeit in Phase-II-Studien zur Behandlung der MS getestet. Die Differenzierung von Oligodendrozyten-Vorläuferzellen zu Myelin-exprimierenden Oligodendrozyten wird gefördert, was zu einer Remyelinisierung beiträgt (8, 9).
Spannungsabhängige Kaliumkanalöffner sind eine innovative Klasse von Wirkstoffen, die neuronale Erregbarkeit und synaptische Transmission regulieren. Retigabin war der erste zugelassene Vertreter dieser Klasse und wurde weltweit als Antiepileptikum eingeführt. Aufgrund eines geringen Zusatznutzens gegenüber Lamotrigin und Topiramat wurde es jedoch in Deutschland 2012 wieder vom Markt genommen.
Neue Vertreter wie BHV-7000 werden nun in anderer Indikation in Phase-II- und -III-Studien erprobt. Dieses kommt bei unipolarer Depression, bipolarer Manie sowie verschiedenen Epilepsieformen zum Einsatz. Als Wirkmechanismus wird eine Hyperpolarisation der Neurone postuliert, was die Rate an Aktionspotenzialen vermindert. Neurone sind so länger im Ruhezustand – ein bekannter Ansatz für antiepileptische und antimanische Wirkstoffe.
Bei der Depression wird seit einigen Jahren verstärkt auf das Symptom Anhedonie geachtet. Denn bei Menschen, die an einer schweren Depression leiden, liegt auch nach Abklingen der maßgeblichen depressiven Symptome oft noch eine »emotionale Abstumpfung« vor. Dabei scheinen die positiven Gefühle wie (Lebens-)Freude, Lust und Vergnügen durch die SSRI direkt in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Bei Menschen, die an einer schweren Depression leiden, liegt auch nach Abklingen der depressiven Symptome oft noch eine Anhedonie vor. Diese emotionale Abstumpfung ist eine spezifische Nebenwirkung der SSRI. / © Adobe Stock/Klaus Eppele
Bildgebungsstudien zeigen, dass SSRI offenbar das »hedonistische«, also Freude vermittelnde Signal vermindern, und zwar im ventralen Striatum und im orbitofrontalen Cortex (10). Da diese Wirkstoffgruppe in der klinischen Praxis am häufigsten zur antidepressiven Behandlung eingesetzt wird, ist das Problem der Anhedonie weit verbreitet und häufig eine Herausforderung in der Therapie.
Diese Lücke könnten Kaliumkanalöffner schließen. Eine Studie zeigte, dass Anhedonie bei Betroffenen mit unipolarer Depression durch den KCNQ2/3-Öffner Ezogabin signifikant reduziert wurde (11).
Auch der Wirkstoff XEN1101 war in ersten Studien einem Placebo signifikant überlegen: Der MADRS-Score sank signifikant stärker innerhalb von sechs Wochen. Die Nebenwirkungen unterschieden sich bei Gabe von 20 mg hinsichtlich der Auftrittswahrscheinlichkeit von Schwindel, Kopfschmerzen, Aufmerksamkeitsstörung und Sehstörungen zugunsten von XEN1101. In der 10-mg-Stärke unterschieden sich die Nebenwirkungen nicht von Placebo. Es trat keine Anhedonie auf wie bei den SSRI. Der Kaliumkanalöffner befindet sich derzeit in der klinischen Phase II für majore Depression und Phase III für fokale und generalisierte Epilepsien (12).
Schon 1990 wurde die Glutamat-Hypothese der Depression formuliert (8). Sie existiert neben der Monoaminmangel-Hypothese, die einige Jahre früher postuliert wurde.
Das glutamaterge System spielt eine zentrale Rolle bei der synaptischen Plastizität und neuronalen Kommunikation. Wissenschaftler erkannten schon früh, dass Menschen mit depressiven Symptomen erhöhte Glutamat-Konzentrationen im Gehirn aufweisen (13). Glutamat-Agonisten und besonders NMDA-Rezeptor-Agonisten zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Depressionen und Schizophrenien. Der Wirkstoff BI 1569912, ein negativ-allosterischer Modulator von NMDA-Rezeptoren, die aus NR2B-Untereinheiten aufgebaut sind, wird derzeit in Phase-II-Studien gegen Depressionen getestet, auch in Deutschland.
Weitere NMDA-Modulatoren (Antagonisten) sind Apimostinel, Rapastinel und Zelquistinel. Apimostinel wird ebenfalls in Phase-II-Studien bei Depressionen geprüft. Es ist 1000-mal stärker als Rapastinel, bindet an eine spezielle Glycin-unabhängige Bindungsstelle des NMDA-Rezeptors und erhöht so die NMDA-Rezeptor vermittelte Neuroplastizität. Die bei dem NMDA-Rezeptor-Antagonisten (Es-)Ketamin auftretenden Nebenwirkungen wie Dissoziationen, Derealisations- und Depersonalisationserleben treten bei Blockade an dieser Bindungsstelle des NMDA-Rezeptors nicht auf.
Apimostinel muss injiziert werden. Oral verfügbar ist Zelquistinel, das in Phase-II-Studien zur Behandlung von Depressionen geprüft wird.
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Dextromethorphan ist als Hustenstiller im Handel, wird aber zunehmend als potenzielles Mittel bei Depressionen erforscht. Es wirkt als NMDA-Rezeptor-Antagonist und beeinflusst das glutamaterge System im Gehirn ähnlich wie Ketamin, das für seine schnelle antidepressive Wirkung bekannt ist.
In Kombination mit dem Antidepressivum Bupropion, das die Wirkung von Dextromethorphan verstärkt (über CYP2D6-Inhibition), zeigt es in klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von therapieresistenten Depressionen. Die Kombination von 45 mg Dextromethorphan plus 105 mg Bupropion wird in den USA seit 2022 unter dem Handelsnamen Auvelity™ vermarktet.
Iclepertin ist ein potenter und selektiver Inhibitor des Glycin-Transporters-1 und erhöht damit die Glycin-Konzentration im synaptischen Spalt. Weil dieser Neurotransmitter für die Lern- und Gedächtnisleistung wichtig ist, soll die Erhöhung der Glycin-Konzentration die kognitiven Leistungen verbessern (14).
Iclepertin wirkt auf sogenannte CIAS (cognitive impairment associated with schizophrenia). Aktuell ist noch kein Wirkstoff in dieser Indikation zugelassen. In Phase-II-Studien konnte der Wirkstoff die Kognition bei an Schizophrenie erkrankten Menschen signifikant verbessern (15). Es war zudem gut verträglich. Die Nebenwirkungsraten lagen teilweise unter denen der Placebogruppe. Mitte Januar 2025 wurden enttäuschende Studienergebnisse der Phase-III-Studie Connex-3 veröffentlicht: Die kognitive Leistungsfähigkeit änderte sich gegenüber Placebo nicht signifikant nach sechs Monaten. Die gute Verträglichkeit aus den Phase-II-Studien wurde bestätigt. Eine weitere Interpretation der Studiendaten bleibt abzuwarten.
Adipositas und Übergewicht sind bidirektional mit psychischen Erkrankungen verbunden. Übergewichtige haben ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen und psychisch erkrankte Menschen ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und metabolisches Syndrom. So untersucht man schon lange, wie diese Erkrankungen zusammenhängen könnten (16, 17).
Glucagon-like-Peptide-1-(GLP-1-)Agonisten, bekannt für ihre Rolle im Glucosestoffwechsel, haben auch neuroprotektive und neuroregenerative Eigenschaften. GLP-1 ist auch im ZNS zu finden, vor allem im Hypothalamus und der Amygdala. GLP-1-Agonisten können die Blut-Hirn-Schranke passieren und daher im ZNS wirken (18). Wirkmechanismen umfassen antiinflammatorische Eigenschaften, Stimulation von Neuroneogenese, Wiederherstellung der Insulin-Signalübertragung im ZNS und verbesserte mitochondriale Biogenese.
Zunehmend werden GLP-1-Agonisten wie Liraglutid und Exenatid bei neurodegenerativen Erkrankungen und Depressionen erforscht. Nach anfänglichen Unsicherheiten konnte in Studien, die ein erhöhtes Depressionsrisiko unter GLP-1-Agonisten untersucht haben, kein erhöhtes Risiko festgestellt werden (19). Allerdings ist lange bekannt, dass bariatrische Operationen – und damit eine schnelle Gewichtsabnahme – mit einem erhöhten Suizidrisiko einhergehen (20). Für GLP-1-Agonisten zeigten viele Studien jedoch einen positiven Effekt auf depressive Symptome (21–24).
Übergewichtige Menschen haben ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Kann Metformin das Risiko für eine Depression senken? / © Adobe Stock/DimaBerlin
In einer Metaanalyse mit fünf randomisierten kontrollierten Studien (RCT) und einer Kohortenstudie war insgesamt ein antidepressiver Effekt für GLP-1-Agonisten festzustellen, auch in einer Subgruppenanalyse bei Betroffenen mit Diabetes (21). Dies ist insofern interessant, als dass Menschen mit Diabetes ein 1,5- bis 2-fach erhöhtes Risiko für Depressionen haben. Liraglutid und Exenatid zeigten in der Studie gleich gute Ergebnisse.
Liraglutid wirkt sich positiv auf die Neuroplastizität aus, sodass insbesondere kognitive Symptome wie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen vermindert werden können. Die Synapsenneubildung wird verbessert. Neuroprotektive Effekte schützen vor der Apoptose von Neuronen. In einer Open-Label-Studie mit geringer Probandenzahl nahm die kognitive Leistungsfähigkeit unter Luraglutid nach vier Wochen signifikant zu (23).
Damit könnten GLP-1-Agonisten eine wichtige Lücke in der Behandlung von depressiv erkrankten Menschen schließen, die häufig aufgrund der persistierenden kognitiven Symptome noch lange nach Abklingen der depressiven Symptome krankgeschrieben sind.
Metformin, ein gängiges Medikament zur Behandlung von Typ-2-Diabetes, wird ebenfalls zunehmend bei Depressionen untersucht. Einige Studien deuten darauf hin, dass Metformin positive Auswirkungen auf die Stimmung haben kann, insbesondere bei Betroffenen mit Insulinresistenz oder metabolischem Syndrom. Laut einer Metaanalyse korreliert die Schwere der Depression mit dem Vorliegen einer Insulinresistenz (25).
Es wird angenommen, dass Metformin Entzündungen und oxidativen Stress reduziert, was zu einer Verbesserung der depressiven und kognitiven Symptome beitragen könnte (26). Dem Arzneistoff werden zudem antiapoptotische und neuroprotektive Wirkungen zugeschrieben.
Sehr interessant sind die Ergebnisse dänischer Registerstudien: Die adjustierten Daten zeigen, dass die längerfristige Einnahme von Metformin unter Real-Life-Bedingungen die Inzidenz depressiver Erkrankungen reduziert (27). Dies belegt auch eine australische Kohortenstudie über 16,6 Jahre mit 704 Frauen: Die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln, war unter Metformin deutlich reduziert (28).
Insgesamt ist die Studienlage zwar noch nicht konklusiv, aber es gibt deutliche Hinweise, dass Metformin das Risiko für das Auftreten einer Depression senken kann. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass sich aus dem besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen Insulinresistenz und Depression ein neuer Ansatz zur Behandlung von psychischen Erkrankungen ergibt.
Die beiden Orexin-Isoformen, Orexin A und B, entfalten ihre Wirkung nach Synthese im Hypothalamus durch Bindung an die G-Protein-gekoppelten Orexin-Rezeptoren 1 und 2. Das orexinerge System spielt eine Rolle in der Regulation von Arousal (eine erhöhte Reaktionsbereitschaft) und Wachzustand, in der Belohnungs- und Stressregulation sowie für die emotionale Reaktivität. Bei Überschuss von Orexin kommt es zu Schlaflosigkeit, bei Mangel zu Narkolepsie und Kataplexie.
Orexin-Antagonisten, ursprünglich zur Behandlung von Schlafstörungen entwickelt, zeigen Potenzial bei der Behandlung von Angst- und Suchterkrankungen. Der Hyperarousal, der die Insomnie bedingt, scheint auch bei Angsterkrankungen vorhanden zu sein. Häufiges Symptom bei Angsterkrankungen und Depression ist die Schlafstörung. Die Überaktivität der Stressachse scheint für beides ursächlich verantwortlich zu sein.
Genau hier wirken die Orexin-Antagonisten: In Bezug auf Angst konnte gezeigt werden, dass Orexin die Furchtextinktion, also die Löschung der angstbesetzten Erinnerung, antagonisiert und Antagonisten diesen Prozess hemmen (29). Phase-II-Studien an Betroffenen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und Panikstörungen laufen derzeit.
Für einige Orexin-Antagonisten wurden bereits antidepressive Effekte gezeigt; einige Studien laufen noch bis 2027. Derzeit liegen fünf RCT mit insgesamt 498 Patienten vor. Seltorexant ist bisher der aussichtsreichste Kandidat (30).
Schlafstörungen sind häufig bei Angsterkrankungen und Depression. Hier könnten künftig Orexin-Antagonisten, die ursprünglich gegen Schlafstörungen entwickelt wurden, eingesetzt werden. / © Adobe Stock/lassedesignen
Zugelassen ist derzeit (noch) kein Orexin-Antagonist in den genannten psychiatrischen Indikationen. Das in Deutschland zugelassene Daridorexant wird derzeit nicht bei Depression untersucht. Da es in den Zulassungsstudien zu einer Verschlechterung der Depression und vereinzelt zu Suizidgedanken gekommen ist, sollte es gemäß der Fachinformation nur mit Vorsicht bei depressiv vorerkrankten Menschen zur Behandlung der Insomnie eingesetzt werden. Neue Ergebnisse einer naturalistischen Studie über drei Monate zeigen jedoch eher das Gegenteil (31). 64 Prozent der 66 Patienten, die Daridorexant aufgrund einer Insomnie erhielten, waren depressiv, bipolar oder angsterkrankt. Es zeigte sich eine Besserung der Komorbiditäten: Suizide traten nicht auf (31).
Dimethyltryptamin (DMT) ist ein starkes psychedelisches Tryptamin, das in den letzten Jahren als potenzielles Therapeutikum bei psychischen Erkrankungen Aufmerksamkeit erregt hat. Psycholytische Therapien sind derzeit wieder im Kommen (siehe auch Titelbeitrag in PZ 9/2024).
5-MeO-Dimethyltryptamin (BPL-003, Mebufotenin), das Benzoatsalz von 5-MeO-DMT, interagiert hauptsächlich agonistisch mit Serotoninrezeptoren, insbesondere dem 5-HT2A- und 5-HT1A-Rezeptor, und kann nach acht bis zehn Minuten tiefgreifend veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen (32, 33). Zudem erhöht es die Neuroneogenese, was zur antidepressiven Wirkung beiträgt (32, 34).
Halluzinogene Substanzen könnten Menschen mit schweren Depressionen anhaltend helfen, aber es gibt noch keine dafür zugelassenen Substanzen in Europa. / © Adobe Stock/Andreas
In einer Phase-IIa-Studie zeigten 55 Prozent der Probanden nach Einmalgabe einen antidepressiven Effekt an Tag 2 nach der Behandlung. Bei allen war der Effekt auch an Tag 29 noch vorhanden. 45 Prozent der Betroffenen befanden sich an Tag 85 in Remission (35). Mebufotenin wird intranasal angewendet (35). Aktuell läuft die Core-Studie zur Behandlung von Menschen mit therapieresistenten Depressionen (Phase IIb), auch in Deutschland.
Auch weitere Psychedelika werden zunehmend eingesetzt. Wie bei allen Halluzinogenen limitieren die Halluzinationen den Einsatz. Eine Weiterentwicklung hin zu Wirkstoffen ohne halluzinogene Wirkung ist daher das Ziel der Forschung.
Histon-Deacetylasen (HDAC) sind Enzyme, die Acetylgruppen von den Histonen entfernen, was die DNA fester um die Histone wickelt und die Genexpression unterdrückt. HDAC-Inhibitoren blockieren diese Enzyme, wodurch die Acetylierung erhalten und die DNA offener bleibt. Dies ermöglicht die Aktivierung von Genen, die zuvor unterdrückt wurden. Diese Stoffe könnten epigenetische Muster verändern, die an der Pathophysiologie psychischer Erkrankungen beteiligt sind.
In Bezug auf Depressionen wird angenommen, dass HDAC-Inhibitoren die Expression von Genen fördern können, die für neuronale Plastizität, Stressreaktionen und synaptische Funktionen wichtig sind. Dies könnte die Fähigkeit des Gehirns verbessern, sich an Stress anzupassen und gesunde neuronale Verbindungen aufrechtzuerhalten.
HDAC-Inhibitoren könnten bei Furcht, Angst und posttraumatischer Belastungsstörung eingesetzt werden. Dabei sind insbesondere neue Erkenntnisse zur epigenetischen Regulation spezifischer Gene von Bedeutung, die mit der Furchtextinktion zusammenhängen. So zeigen präklinische Studien, dass eine verstärkte Histon-Acetylierung, ermöglicht durch HDAC-Hemmung, die Furchtextinktion unterstützt und dabei eine Langzeiterinnerung herstellt, die möglicherweise einen Rezidivschutz bieten könnte (36).
Da die Genexpression bei depressiv erkrankten Menschen verändert ist, insbesondere bei verschiedenen Wachstumsfaktoren im Gehirn wie BDNF, VEGF und GDNF (37), könnten HDAC-Inhibitoren die Transkription regulieren. Derzeit werden 18 HDAC-Inhibitoren in Tierversuchen getestet.
Martina Hahn ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie. Derzeit arbeitet sie in der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Frankfurt und der Klinik für psychische Gesundheit am varisano Klinikum Frankfurt Höchst als Klinische Pharmazeutin. Sie ist seit 2021 Professorin in Klinischer Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg.
Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin und als Dozentin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten tätig. Sie ist Professorin für Klinische Pharmazie am College of Pharmacy der Universität Florida. Professor Roll ist seit November 2020 Chefärztin der Klinik für psychische Gesundheit am varisano Klinikum Frankfurt Höchst.