Neue Pumpkraft dank »Herzpflaster« |
Kerstin A. Gräfe |
21.02.2024 07:00 Uhr |
Das Implantieren von künstlich hergestelltem Herzmuskelgewebe könnte schwer insuffiziente Herzen wieder so kräftigen, dass sich eine Herztransplantation vermeiden ließe. / Foto: Getty Images/ isayildiz
Herzmuskelzellen verlieren bereits kurz nach der Geburt ihre Fähigkeit, sich zu teilen. Das bedeutet, dass jede Art von Verletzung, zum Beispiel im Rahmen eines Herzinfarkts, zu einem irreversiblen Verlust an Herzmuskelzellen führt. Die Folge ist eine schwächere Pumpleistung.
In Deutschland leiden etwa zwei Millionen Menschen an Herzinsuffizienz. Die leitliniengerechte Pharmakotherapie mit den »fantastischen Vier« (Betablocker, SGLT2-Inhibitor, RAAS-Inhibitor und Mineralocorticoid-Rezeptorantagonist) zielt darauf ab, das erkrankte Herz vor einer Überlastung zu schützen. Das eigentliche Problem, der Verlust der Herzmuskelzellen, lässt sich therapeutisch bislang aber nicht adressieren.
Genau dort setzt ein neuartiges Therapieprinzip an: Mit implantierten künstlichen Herzmuskelzellen soll der Herzmuskel dauerhaft gestärkt werden. Das Prinzip dieses sogenannten Herzpflasters und der Forschungsstand zu dieser sogenannten Remuskularisierung sind ein Thema eines Beitrags von Professor Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Göttingen, in der aktuellen Ausgabe der DPhG-Mitgliederzeitschrift »Pharmakon«. Seine Arbeitsgruppe hat die Methode am Standort Göttingen des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) entwickelt und testet sie zurzeit in der Studie BioVAT-HF.
Wissenschaftler sprechen nicht vom Herzpflaster, sondern von Engineered Human Myocardium (EHM). Dabei handelt es sich um funktionelles Herzmuskelgewebe, das durch ein Gewebezuchtverfahren (Tissue Engineering) aus pluripotenten Stammzellen hergestellt wird. Letztere werden durch Reprogrammierung aus Nabelschnurblut gewonnen. Aus den Stammzellen werden zunächst Herzmuskelzellen und Bindegewebszellen gezüchtet, die mit Kollagen gemischt werden. Die Mischung wird anschließend in eine Gussform überführt, wobei sich unterschiedliche Gewebeformen wie Patches oder Beutel produzieren lassen. Der Prozess dauert etwa drei Monate.
»Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. / Foto: Avoxa
Den ersten Praxistest hat das EHM bestanden. Die Dosisfindungsstudie BioVAT-HF-DZHK20 zur Ermittlung der maximalen sicheren Dosis wurde kürzlich erfolgreich abgeschlossen. In der Studie wurden zehn Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz behandelt. Ihnen wurden minimalinvasiv entweder fünf, zehn oder zwanzig EHM auf die geschädigte Herzwand implantiert. Dies entspricht Dosisstufen von 200, 400 und 800 Millionen Herzmuskelzellen. Um die Abstoßung der Implantate aus körperfremden Spenderzellen zu verhindern, bekamen die Patienten Immunsuppressiva.
Als maximale sichere Dosis wurden 800 Millionen Zellen als 20 g Herzpflaster definiert. Die Forschenden konnten den Aufbau echter Herzmuskulatur beobachten. In einem nächsten Schritt wollen sie nun die BioVAT-HF Studie als Proof-of-Concept-(PoC-)Studie fortsetzen. Geplant ist zunächst die Behandlung von insgesamt 15 Patienten mit einer Dosis von 800 Millionen Zellen. Erste Daten einer Zwischenauswertung werden für die zweite Jahreshälfte 2024 erwartet. Insgesamt sollen 35 Patienten behandelt werden.