Neue Präparate, aber noch keine Empfehlung |
Christina Hohmann-Jeddi |
18.09.2023 18:00 Uhr |
Bei Neugeborenen kann das RS-Virus schwere Atemwegserkrankungen hervorrufen, die zum Teil im Krankenhaus behandelt werden müssen. / Foto: Adobe Stock/Lavizzara
Im vergangenen Winter gab es eine starke Welle von Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV), die für volle Stationen in Krankenhäusern sorgte. Für diesen Winter gehen Experten in Deutschland von einer Normalisierung der Krankheitslast aus. Die RSV-Saison, die normalerweise im Oktober starte und bis etwa März andauere, habe sich ein wenig nach vorne verschoben, aber die Erkrankungszahlen würden in dieser Saison vermutlich geringer ausfallen als im vergangenen Winter, sagte Professor Dr. Folke Brinkmann, Leiterin der Sektion Pädiatrische Pneumologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, gegenüber dem Science Media Center Germany.
Um vor allem schwere RSV-bedingte Erkrankungen und Hospitalisierungen zu verhindern, stehen in der EU seit Kurzem drei neue Präparate zur Verfügung. Als erster RSV-Schutzimpfstoff wurde Anfang Juni Arexvy® von GSK zur Immunisierung von Personen ab 60 Jahren zugelassen. Er ist seit August verfügbar. Als zweiter Impfstoff erhielt Abrysvo® von Pfizer eine Zulassung – sowohl für Senioren als auch für Schwangere. Geimpfte Schwangere geben nach dem Prinzip des Nestschutzes die gebildeten Antikörper an ihr ungeborenes Kind weiter, wodurch dieses nach der Geburt für etwa sechs Monate vor RSV-bedingten Erkrankungen geschützt ist. Abrysvo soll als Einmalgabe zwischen Schwangerschaftswoche 24 und 36 verabreicht werden.
Bereits im November 2022 war der monoklonale Antikörper Nirsevimab (Beyfortus®) von Sanofi und Astra-Zeneca zur passiven Immunisierung von Säuglingen in ihrer ersten RSV-Saison zugelassen worden. Er kommt im September auf den Markt. Anders als das bis vor Kurzem einzige Präparat Synagis® (Palivizumab) von Astra-Zeneca, das alle vier Wochen verabreicht werden muss, reicht bei Nirsevimab eine einzelne Dosis aus. Der neue Antikörper ist zudem für alle Säuglinge zugelassen, während Palivizumab nur für Risikokinder indiziert ist. Hierzu gehören Frühgeborene und Kinder unter zwei Jahren mit schweren Lungen- oder Herzerkrankungen.
Alle drei neuen Präparate seien zugelassen und damit einsetzbar, sagte Brinkmann. In welchem Ausmaß sie in dieser RSV-Saison verwendet werden, sei noch nicht abzusehen. Denn für keines der drei Präparate liegen bisher offizielle Empfehlungen vor.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) arbeite an solchen Empfehlungen, mit diesen sei aber für diese Saison nicht mehr zu rechnen, berichtete Professor Dr. Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen und Sprecher der STIKO-Arbeitsgruppe zu RSV. Unter anderem modelliere man derzeit, wie sich RSV-Impfungen auf die Verbreitung des Atemwegserregers auswirken, und stelle Kosten-Nutzen-Analysen für verschiedene Risikogruppen an.
Ein Unsicherheitsfaktor sei eine mögliche Risikoerhöhung für Frühgeburten, die in klinischen Studien bei dem GSK-Impfstoff Arexvy beobachtet wurde, weshalb dieser auch nur für Senioren und nicht für Schwangere zugelassen ist. Diese Risikoerhöhung sei tendenziell, aber nicht statistisch signifikant auch bei Abrysvo beobachtet worden, berichtete Überla.
Bei beiden Impfstoffen handele es sich um Proteinimpfstoffe, die das Fusionsprotein (F) der beiden RSV-Typen in der Präfusionskonformations-stabilisierten Form enthalten. Es bräuchte noch zusätzliche Sicherheitsdaten, bevor eine RSV-Impfung für alle Schwangeren empfohlen werden könne. Man wolle noch weitere Erfahrungen mit dem Impfstoff abwarten.
Zudem schütze eine maternale Impfung nur reif geborene Kinder, da bei vor der 36. Woche geborenen Kindern der Antikörpertransfer über die Plazenta zu gering ausfalle, gab Professor Dr. Bernhard Resch, Neonatologe von der Medizinischen Universität Graz in Österreich, zu bedenken. Die Bereitschaft für Impfungen sei bei Schwangeren auch nicht stark ausgeprägt. Seiner Ansicht nach könnte es in Zukunft sinnvoll sein, die beiden Prophylaxeansätze, die nicht zu 100 Prozent schützten, zu kombinieren, also Schwangere gegen RSV zu impfen und Frühgeborene zusätzlich mit Antikörpern zu immunisieren.
Warum braucht man überhaupt eine maternale Impfung, wenn man eine passive Immunisierung hat? Laut Resch sei eine maternale Impfung die natürlichste Form, einen Immunschutz bei Neugeborenen zu erreichen. Denn ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche gehen eine Reihe von Antikörpern von der Mutter auf das Kind über und erzeugen bei diesem nach der Geburt einen vorübergehenden Nestschutz gegen verschiedene Infektionskrankheiten. Bei Grippe und Pertussis werde das Prinzip der maternalen Impfung schon erfolgreich angewendet. Ein Vorteil sei auch, dass die übertragenen Antikörper polyklonal und nicht monoklonal seien und der erzeugte Schutz etwas besser ausfalle. Zudem gebe es kein ungeschütztes Zeitfenster – wie bei der Verabreichung von Antikörpern. Diese Präparate sollten am besten schon im Wochenbett gegeben werden, was logistisch schwierig sei.
Mit Blick auf ältere Patienten sagte Überla, dass die Anwendung der RSV-Impfstoffe bei Senioren auf individueller Basis vorstellbar sei, vor allem, wenn viele Vorerkrankungen und damit ein großes Risiko vorliegen. Solange keine Empfehlungen vorlägen, könnten die drei Präparate auch auf eigene Kosten oder in Absprache mit der Krankenkasse auf deren Kosten eingesetzt werden. »Prinzipiell haben die Krankenkassen die Möglichkeit, die Kosten zu übernehmen«, so Überla. Er schätzt, dass in der nun kommenden Saison von den neuen Präparaten vor allem der Antikörper Nirsevimab bei Risikokindern eingesetzt werden wird.