Neue Option bei Morbus Waldenström |
Brigitte M. Gensthaler |
05.01.2022 07:00 Uhr |
Müdigkeit und Leistungsschwäche sind die häufigsten Krankheitszeichen von Morbus Waldenström. Männer erkranken deutlich häufiger als Frauen an den malignen Lymphom. / Foto: Getty Images/Bernd Vogel
Zanubrutinib (Brukinsa® 80 mg Hartkapseln, BeiGene Ireland Ltd.) wird als Monotherapie angewendet bei erwachsenen Patienten mit Morbus Waldenström, einer malignen Erkrankung der B-Lymphozyten, die vorher mindestens eine Therapie erhalten haben, oder zur Erstlinientherapie bei Patienten, die für eine Chemo-Immuntherapie nicht geeignet sind (Kasten). Nach Ibrutinib ist es der zweite zugelassene Bruton-Tyrosinkinase (BTK)-Inhibitor in dieser Indikation. Zur Erinnerung: Der dritte BTK-Hemmstoff ist Acalabrutinib und bei chronisch lymphatischer Leukämie zugelassen.
Morbus Waldenström oder Waldenströms Makroglobulinämie ist eine Erkrankung der B-Lymphozyten, die in der Regel langsam chronisch voranschreitet. Die entarteten B-Zellen produzieren große Mengen Immunglobulin M (IgM) und infiltrieren das Knochenmark. Die klinische Symptomatik wird vor allem bestimmt durch die Verdrängung der normalen Hämatopoese und durch die Hypersekretion von IgM, heißt es in der Onkopedia Leitlinie Morbus Waldenström (Stand 2018).
Die seltene Erkrankung macht 1 bis 3 Prozent aller Non-Hodgkin-Lymphome aus. Männer erkranken deutlich häufiger als Frauen, wobei vor allem ältere Menschen betroffen sind. Bis zu 30 Prozent der Patienten haben bei Diagnose keine Symptome und werden engmaschig überwacht. Die Rate der Progression zur symptomatischen Erkrankung beträgt 12 Prozent pro Jahr.
Wesentliche Therapieziele sind die Reduktion der Tumorlast und die Kontrolle der Symptome. Nur selten wird eine komplette Remission erreicht. Goldstandard in der Induktionstherapie für fitte Patienten sind Rituximab-basierte Therapien, kombiniert mit Chemotherapeutika, meist Bendamustin oder Dexamethason/Cyclophosphamid, oder auch mit Bortezomib. Eine Alternative bietet die Monotherapie mit den BTK-Inhibitoren Ibrutinib oder Zanubrutinib.
Die empfohlene Gesamttagesdosis beträgt 320 mg Zanubrutinib. Das bedeutet, dass die Patienten entweder einmal täglich vier oder zweimal täglich zwei Kapseln mit Wasser einnehmen. Dies können sie mit oder ohne Nahrung tun. Sie dürfen die Kapseln nicht öffnen oder zerkauen. Bei leichter bis mäßiger Leber- oder Nierenfunktionsstörung ist keine Dosisanpassung nötig. Treten hämatologische oder nicht-hämatologische Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 auf, muss die Einnahme unterbrochen und kann gegebenenfalls mit reduzierter Dosis fortgesetzt werden.
Zanubrutinib wird hauptsächlich über das Cytochrom P450 Enzym 3A (CYP3A) metabolisiert. Bei gleichzeitiger Anwendung von mäßigen bis starken CYP3A-Inhibitoren ist die Dosis des BTK-Hemmstoffs zu reduzieren, da dessen Blutspiegel deutlich ansteigen können. Die Patienten sollten zurückhaltend mit Grapefruits und Bitterorangen sein, die mäßige CYP3A4-Inhibitoren enthalten. Die Gabe von starken CYP3A-Induktoren (wie Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin, Johanniskraut) und mäßigen Induktoren (wie Bosentan, Efavirenz, Etravirin, Modafinil, Nafcillin) ist zu vermeiden. Die Fachinformation enthält genaue Hinweise zu Dosisanpassungen.
Zanubrutinib ist ein Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor, der kovalent im aktiven Zentrum des Enzyms bindet und dessen Aktivität hemmt. Die BTK spielt eine bedeutende Rolle im B-Zell-Rezeptor-Signalweg. Beim Morbus Waldenström ist dieser Signalweg konstant aktiviert, bei mehr als 90 Prozent der Erkrankten durch eine MYD88-Mutation. Die Hemmung des Enzyms und damit der nachfolgenden Signalübertragung unterbricht Signalkaskaden, die für Proliferation, Migration, Chemotaxis und Adhäsion von B-Zellen notwendig sind.
Sicherheit und Wirksamkeit wurden in einer dreiarmigen randomisierten Studie mit Zanubrutinib im Vergleich zu Ibrutinib bei BTK-Inhibitor-naiven erwachsenen Patienten mit Morbus Waldenström beurteilt (ASPEN-Studie). Eingeschlossen waren 201 Patienten mit MYD88 Mutation, die entweder täglich 320 mg Zanubrutinib oder 420 mg Ibrutinib bis zur Krankheitsprogression oder inakzeptablen Toxizität bekamen. In einem dritten Studienarm erhielten 28 Patienten mit MYD88-Wildtyp 320 mg Zanubrutinib. Primärer Endpunkt war das komplette und das sehr gute partielle Ansprechen (VGPR).
Die mediane Nachbeobachtungsdauer betrug 19,4 Monate. Von den rezidivierten/refraktären Patienten erreichten unter Ibrutinib 19,8 und unter Zanubrutinib 28,9 Prozent ein VGPR. Der Unterschied war nicht signifikant. Es gab kein komplettes Ansprechen. Bei den Patienten mit MYD88-Wildtyp lag die VGPR-Rate bei fast 27 Prozent. Nach 18 Monaten waren 84 bis 85 Prozent der Patienten progressionsfrei. Bei einer weiteren Nachbeobachtung über 30 Monate betrug das progressionsfreie Überleben 77,6 versus 84,9 Prozent (Ibrutinib versus Zanubrutinib).
Das Sicherheitsprofil des Neulings war günstiger als das von Ibrutinib. So war das Risiko für Vorhofflimmern geringer; ebenso traten Blutungen, Diarrhö, periphere Ödeme, Muskelkrämpfe und Lungenentzündung seltener auf. Dies galt auch für Nebenwirkungen, die zum Therapieabbruch oder zu Unterbrechungen führten. Trotz einer höheren Neutropenie-Rate unter Zanubrutinib war die Rate an schweren Infektionen in beiden Studienarmen vergleichbar.
Häufigste Nebenwirkungen waren Neutropenie, Thrombozytopenie, Infektionen der oberen Atemwege sowie Blutungen/Hämatome. 21 bis 30 Prozent der Patienten erlitten Hautausschlag, Blutergüsse, Anämie, Schmerzen des Muskel- und Skelettsystems, Durchfall, Pneumonie und Husten. Die häufigsten Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher waren Neutropenie, Pneumonie, Thrombozytopenie und Anämie.
In der Fachinformation finden sich Warnhinweise auf Blutungen (erhöhtes Risiko bei Patienten, die Thrombozytenaggregationshemmer oder Antikoagulanzien erhalten), auf schwere bakterielle, virale oder fungale Infektionen, Zytopenien der Grade 3 oder 4 (einmal monatlich Kontrolle des Blutbilds), neue Malignome wie Hautkrebs (Sonnenschutz!) sowie Vorhofflimmern und -flattern (vor allem bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren, Hypertonie und akuten Infektionen).
Frauen müssen unter Zanubrutinib-Einnahme und bis zu einem Monat nach Behandlungsende hochwirksame Verhütungsmethoden anwenden. Da nicht bekannt ist, ob Zanubrutinib die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva verringert, müssen Frauen, die hormonell verhüten, zusätzlich eine Barrieremethode anwenden. In der Schwangerschaft ist es kontraindiziert.
Der Wirkmechanismus von Zanubrutinib ist nicht neu und bereits von Ibrutinib und Acalabrutinib bekannt. Auch der Brutonkinase-Inhibitor Ibrutinib wird seit Längerem bei Morbus Waldenström eingesetzt. Die Einstufung von Zanubrutinib als Schrittinnovation ist dennoch gerechtfertigt. Denn die Studienergebnisse sind überzeugend und es handelt sich um einen direkten Vergleich, in dem der Neuling hinsichtlich der Wirksamkeit tendenziell besser abschnitt als Ibrutinib. Allerdings war der Unterschied nicht signifikant. Wichtig sind aber auch die Vorteile zugunsten von Zanubrutinib im Sicherheitsprofil, zum Beispiel in Sachen Vorhofflimmern und Blutungen.
Sven Siebenand, Chefredakteur