| Alexander Müller |
| 03.12.2025 12:00 Uhr |
Um sich den Mehraufwand der Direktabrechnung zu ersparen, sind die Krankenkassen offenbar zu Zugeständnissen bereit. / © Getty Images/DjelicS
Damit die Apotheken nicht einen ganzen Monat Versorgung vorfinanzieren müssen, wurde das System der Abschlagszahlungen etabliert. Die Krankenkassen überweisen Anfang des Monats einen Betrag an die Rechenzentren, der einem Anteil der Abrechnungssumme des Vormonats entspricht. Damit können die Rechenzentren typischerweise am 14. eines Monats den Apotheken einen Abschlag auskehren, bevor am 15. der Großhändler abbucht.
Dieser Prozess ist mit leichten regionalen Abwandlungen in den Verträgen zwischen den Landesapothekerverbänden (LAV) und den Kassen etabliert. Letztere haben wiederum bilaterale Verträge mit den Rechenzentren zu den Abschlägen. Denn deren vorzeitige Ausschüttung an die Apotheken ist kreditfinanziert, insofern sind die Abschläge der Kassen bei der Gegenfinanzierung eingepreist. Die Kassen auf der anderen Seite profitieren von Sammelrechnungen, was den Aufwand auf ihrer Seite reduziert.
Mit der Einführung des E-Rezepts hat aber die Idee der Direktabrechnung Konjunktur. Denn die Apotheken dürfen ein Rechenzentrum einschalten, müssen das laut Sozialgesetzbuch aber nicht. Wenn die Apotheke der Krankenkasse selbst eine Rechnung stellt, muss diese innerhalb von zehn Tagen bezahlen, sonst verliert sie Anspruch auf den Kassenabschlag in Höhe von derzeit 1,77 Euro pro Packung. Eine Apotheke kann täglich abrechnen – theoretisch sogar jede Packung einzeln.
Für die Kassen ist der Aufwand erheblich größer. Die AOK Baden-Württemberg hat daher jetzt bessere Gesamtkonditionen geboten, um die Sammelabrechnung attraktiver zu machen. Wie dringlich es der Kasse mit diesen Verhandlungen war, zeigt die Tatsache, dass im ersten Schritt die Verträge mit den Rechenzentren über die Abschlagszahlungen zu Ende Oktober gekündigt wurden.
Ein Sprecher der Kasse bestätigte auf Nachfrage der PZ, dass die Vertragsverhandlungen mit dem LAV noch liefen. Zu den konkreten Inhalten wird nichts verraten, nur so viel: »Wir gehen jedoch davon aus, dass wir zeitnah zu einer für beide Seiten guten Einigung kommen werden.« Was die gekündigten Abschlagsvereinbarungen betrifft, so hat die AOK nach eigenen Angaben wiederum bilaterale Vereinbarungen getroffen, »die sicherstellen, dass bis zum Start eines möglichen neuen Apothekenversorgungsvertrages die Zahlflüsse möglichst konstant bleiben«.
Zwar fehlen die Unterschriften unter dem neuen Vertrag noch, dem Vernehmen nach ist er aber ausverhandelt und muss nur noch formal bestätigt werden. Demnach sind deutlich verbesserte Vorauszahlungsmodalitäten vorgesehen. Gab es bislang 80 Prozent Abschlag auf die Rechnungssumme des Vormonats, ist jetzt von 90 bis 95 Prozent die Rede. Um größere Schwankungen und vor allem Finanzlöcher nach den schwachen Sommermonaten abzufedern, soll der Abschlag künftig auf Basis von drei Monaten berechnet werden. Damit sind die Beträge für alle Beteiligten besser kalkulierbar, sodass der Finanzierungsbedarf insgesamt kleiner wird.
In trockenen Tüchern ist der Vertrag aber wie gesagt noch nicht – und Widerstand droht aus den Reihen des LAV. Denn im Beirat des Verbands sitzt Benedikt Bühler, Apotheker aus Karlsruhe und ein erklärter Fan der Direktabrechnung. »Ich will gar keine Abschlagszahlung, ich will einen Hochpreiser direkt erstattet haben nach zehn Tagen«, sagt er gegenüber der PZ.
Dass die Einzelabrechnung mit den Apotheken Mehraufwand für die Krankenkassen bedeutet, streitet Bühler gar nicht ab. Aber die Krankenkasse interessiere doch auch nicht, wenn die Apotheke irgendeinen Mehraufwand habe. Er verweist auf die Regelung im § 130 SGB V. »Es ist ein Mythos, dass die Krankenkassen die Direktabrechnung verhindern können. Sie sind dazu verpflichtet«, so Bühler.
Um das zu beweisen, hat er es zum Start der Direktabrechnung darauf ankommen lassen und den Kassenabschlag gestrichen, wenn eine Kasse die 10-Tages-Frist gerissen hat. Rund 5000 Euro habe er sich auf diesem Weg von den Kassen zurückgeholt. »Das ist wie eine Retaxation – nur umgekehrt«, so Bühler.
Der Karlsruher Apotheker glaubt, dass die Direktabrechnung für die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen aktuell nichts wäre, weil sie den eigenen Aufwand scheuten. Doch zumindest ermöglichen müssten die Verträge dies. »Wir können keinen Vertrag schließen, der Mitglieder benachteiligt.« Er würde sich jedenfalls im Beirat dafür einsetzen, dass keiner Verschlechterung der bisherigen Bedingungen zugestimmt wird.
Tatsächlich soll der neue Vertrag die Direktabrechnung gar nicht verbieten, aber die Vorgabe enthalten, dass eine Apotheke nur mit einem Institutionskennzeichen (IK) abrechnen darf. Das Argument dafür ist, dass Herstellerabschläge, Importquote, Retaxationen und Ähnliches für die Kassen nur so zu handeln sind.
Aber die einheitliche IK stellt das bisherige System der Direktabrechnung zumindest vor eine Herausforderung: Der Dienstleister Scancs ist als Software-Dienstleister nur für die Übermittlung der E-Rezepte aktiv, mit eigenem IK. Für die Abrechnung von Papierrezepten wurde eine Kooperation mit dem neu gegründeten AZ Nord geschlossen. Zwar machen E-Rezepte inzwischen den mit Abstand größten Teil der Verordnungen aus, doch gerade Hochpreiser werden nach wie vor regelmäßig auf Muster 16 verordnet.
Die AOK Nordost hat in ihrem Liefervertrag schon durchgesetzt, dass eine getrennte Abrechnung unzulässig ist und Apotheken nur mit einem Rechenzentrum zusammenarbeiten dürfen – oder alles selbst abrechnen müssen. Weil die Krankenkasse in anderen Fällen die Zahlung verweigert, laufen bereits Gerichtsverfahren.
Zu den Klägern zählt die Sani-Plus-Apotheken aus München. Arndt Lauterbach, Ehemann der Inhaberin und im Management der Apothekengruppe aktiv, sieht gute Chancen in seinem Prozess vor dem Sozialgericht München. Für ihn ist die Direktabrechnung nach dänischem Vorbild die Benchmark, bei der die Apotheken zeitgleich ihr Geld bekämen.
Hierzulande gebe es auch innovative Kassen wie die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK). »Die geben den Apotheken sogar eine Retaxgarantie, wenn man ihren Prüfkatalog absolviert«, so Lauterbach. Weil die Kasse davon profitiere, früher an die Abrechnungsdaten zu kommen, sei eine tägliche Abrechnung hier möglich.
Lauterbach ist überzeugt, dass die Apotheken jährlich rund 100 Millionen Euro einsparen könnten, wenn sie direkt mit den Kassen abrechneten. Dass das System der Rechenzentren Bestand hat, liegt aus seiner Sicht an der Beteiligung der Landesapothekerverbände, die wiederum die Verträge mit den Kassen aushandelten. Die Lauterbachs wiederum sind nach PZ-Informationen bei Scanacs finanziell involviert – also auch nicht neutral in der Bewertung.
Nach der Insolvenz des Direktabrechners hatten die Kooperation Elac Elysée und weitere Investoren das Unternehmen übernommen. Elac-Mitglieder erhalten die Abrechnung von E-Rezepten derzeit gratis. Laut Scanacs-Geschäftsführer Frank Böhme rechnet eine dreistellige Zahl an Apotheken über den Dienstleister ab.
Aufseiten der Kassen gibt es allerdings noch Vorbehalte, nicht nur was den Aufwand betrifft. Es sei »zu Doppelabrechnungen im Umfeld der Selbstabrechnung gekommen«, so ein AOK-Sprecher. Es habe Monate mit einer starken Häufung gegeben, zumeist seien es jedoch wenige Fälle und wenige betroffene Apotheken gewesen. Da keine weiteren Verdachtsmomente vorlägen, gehe man nicht von einem bewussten Täuschungsversuch aus, so der Sprecher der AOK Baden-Württemberg. Er fügt hinzu: »Aber auch wenn hier ein Versehen passiert ist, kann das für die Abrechnung erhebliche Konsequenzen haben.«
Ob die Ursache bei den Apotheken selbst lag oder es technische Fehler bei der Übertragung gab, lässt sich nicht rekonstruieren. Die Vertreter des bisherigen Abrechnungsmodells fühlen sich von solchen Meldungen natürlich bestätigt, dass das System mit Rechenzentren für die Apotheken sicherer, einfacher und gemessen am Aufwand auch billiger sei.