Neue Blutungsprophylaxe bei Hämophilie |
Kerstin A. Gräfe |
16.06.2025 18:00 Uhr |
Zur Behandlung der Erbkrankheit Hämophilie werden in der Regel Präparate eingesetzt, die den fehlenden Gerinnungsfaktor ersetzen. Oft entwickeln Patienten allerdings Antikörper dagegen, wodurch die Therapie unwirksam werden kann. / © Getty Images/Alena Butusava
Die Entwicklung von Hemmkörpern ist eine schwerwiegende Komplikation in der Behandlung von Patienten mit Hämophilie. Die gebildeten Hemmkörper neutralisieren die substituierenden Faktorpräparate, sodass diese stark an Wirksamkeit einbüßen beziehungsweise komplett unwirksam werden können. Dies betrifft etwa 30 Prozent der Patienten mit schwerer Hämophilie A und 1 bis 5 Prozent der Betroffenen mit schwerer Hämophilie B. Mit einer Immuntoleranztherapie versucht man, die Hemmkörper dauerhaft zu eradizieren. Sie ist jedoch nicht immer erfolgreich, sodass neue Ansätze zur Behandlung der Hemmkörper-Hämophilie benötigt werden.
Concizumab ist ein Antikörper gegen den Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI). TFPI hemmt die extrinsische Gerinnungskaskade durch Blockade des aktiven Zentrums von Faktor Xa (FXa). Indem Concizumab die inhibitorische Wirkung von TFPI auf die Blutgerinnung aufhebt, ist mehr freier FXa verfügbar. Die erhöhte FXa-Aktivität verlängert die Aktivierungsphase der Gerinnungskaskade und ermöglicht eine ausreichende Thrombinbildung für eine wirksame Hämostase. Concizumab wirkt unabhängig von Faktor VIII und Faktor IX, den Faktoren, die bei Hämophilie A beziehungsweise B fehlen.
Concizumab (Alhemo®, Novo Nordisk) ist zugelassen zur Routineprophylaxe von Blutungsepisoden bei Jugendlichen und Erwachsenen ab zwölf Jahren mit Hämophilie A oder B und Hemmkörpern. Der Therapiebeginn sollte im blutungsfreien Zustand erfolgen. Zudem muss eine vorherige Behandlung mit Bypass-Medikamenten abgesetzt werden: rFVIIa mindestens zwölf Stunden vorher, aPCC (activated Prothrombin Complex Concentrate) mindestens 48 Stunden vorher.
Der Antikörper wird einmal täglich subkutan injiziert. Das empfohlene Dosierungsschema ist eine Initialdosis von 1 mg/kg am ersten Tag, gefolgt von einer anfänglichen Tagesdosis von 0,2 mg/kg, auf die eine individuelle tägliche Erhaltungsdosis folgt. Nach vierwöchiger Behandlung wird die Dosis basierend auf der Konzentration von Concizumab im Blut angepasst.
Alhemo ist ein vorgefüllter Multidosis-Fertigpen, der nach Schulung von den Patienten selbst gespritzt werden. / © Novo Nordisk
Nach einer Schulung können die Patienten sich selbst spritzen, am besten in den Bauch oder Oberschenkel. Die Injektionsstelle ist täglich zu wechseln. Vor der ersten Anwendung wird Alhemo im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C gelagert. Danach kann der Fertigpen bis zu vier Wochen bei bis zu 30 °C aufbewahrt werden. Dies sollte mit aufgesetzter Kappe geschehen, um die Lösung vor Licht zu schützen, jedoch nicht mit aufgeschraubter Nadel.
Concizumab sollte mindestens vier Tage vor größeren Operationen abgesetzt werden. 10 bis 14 Tage nach dem Eingriff kann die Behandlung mit der gleichen Erhaltungsdosis ohne neue Aufsättigungsdosis wieder aufgenommen werden.
Unter der Behandlung traten innerhalb der ersten Wochen allergische Überempfindlichkeitsreaktionen auf, einschließlich Krankenhausaufenthalten und endgültigem Abbruch der Therapie. Wenn Symptome einer Überempfindlichkeit auftreten, sollte der Patient die Anwendung von Alhemo abbrechen und einen Arzt kontaktieren.
Bei einigen Patienten wurde die Entwicklung neutralisierender Anti-Concizumab-Antikörper beobachtet, die in der Regel jedoch nicht zu einem Wirksamkeitsverlust führte. Klinisches Anzeichen eines Wirksamkeitsverlusts kann etwa eine Zunahme von Durchbruchblutungen sein. Tritt dies auf, sollten Patienten untersucht werden, um die Ätiologie zu beurteilen und andere therapeutische Optionen in Betracht zu ziehen.
Unter der Anwendung von Concizumab kann das Thromboserisiko steigen. Ein erhöhtes Risiko besteht zum Beispiel für Patienten mit koronarer Herzerkrankung, Venen- oder Arterienthrombose oder solche mit einer akuten schweren Erkrankung, die mit einer erhöhten Gewebefaktor-Expression einhergeht. Bei Verdacht auf thromboembolische Ereignisse sollte der Antikörper abgesetzt werden. Es ist regelmäßig sorgfältig abzuwägen, ob der potenzielle Nutzen einer Concizumab-Behandlung das potenzielle Risiko bei Patienten mit einem hohen Risiko für thromboembolische Ereignisse überwiegt.
Die Zulassung basiert auf der vierarmigen Phase-III-Studie EXPLORER 7, die Wirksamkeit und Sicherheit einer Blutungsprophylaxe mit Concizumab im Vergleich zu keiner Prophylaxe (On-Demand-Behandlung mit Bypass-Präparaten) bei Hemmkörper-Hämophilie untersuchte. Die 113 Teilnehmer erhielten 1 : 2 randomisiert für mindestens 24 Wochen entweder keine Prophylaxe (Arm 1) oder eine Prophylaxe mit Concizumab für mindestens 32 Wochen (Arm 2) oder wurden nicht randomisiert einer Concizumab-Prophylaxe für mindestens 24 Wochen zugewiesen (Arme 3 und 4). Primärer Endpunkt war die annualisierte Gesamtblutungsrate (ABR).
Die Prophylaxe mit Concizumab konnte die ABR signifikant von im Schnitt 11,8 im Kontrollarm auf 1,7 senken. Bei knapp zwei Drittel der aktiv behandelten Patienten (64 Prozent) trat in den ersten 24 Studienwochen gar kein Blutungsereignis auf (Arm 2: 11 Prozent).
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle und Überempfindlichkeitsreaktionen.
Nach Marstacimab im Februar 2025 ist nun mit Concizumab der zweite Antikörper gegen den Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) auf den deutschen Markt gekommen. Marstacimab hatte im jahrelangen Zulassungsrennen also am Ende knapp die Nase vorn. Dennoch darf auch Concizumab als Sprunginnovation bezeichnet werden.
Beide Antikörper bremsen die gerinnungshemmende Funktion von TFPI aus, stützen den extrinsischen Weg der Blutgerinnung und gleichen so Defizite aus, die bei Hämophilie A und B im intrinsischen Weg vorliegen. Das gab es vorher noch nicht und es ist innovativ.
Während der Wirkmechanismus identisch ist, unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe im Zulassungsgebiet. Marstacimab ist nur bei Abwesenheit von Inhibitoren gegen Faktor VIII beziehungsweise IX zur routinemäßigen Prophylaxe von Blutungsepisoden bei Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B zugelassen. Concizumab dagegen nur bei Anwesenheit dieser Hemmkörper. Wie Marstacimab konnte auch der Neuling seine Wirksamkeit unter Beweis stellen. Bei beiden Antikörpern ist das möglicherweise gesteigerte Thromboserisiko zu bedenken.
Ob weitere Indikationen für den einen und/oder anderen Antikörper hinzukommen, bleibt abzuwarten. Auch der Einsatz bei anderen Gerinnungsstörungen wäre angesichts des Wirkprinzips denkbar.
Sven Siebenand, Chefredakteur