NDR macht Lieferengpässe zum großen Thema |
Die Zuhörer der NDR-Gesprächsrunde zum Thema Medikamentenmangel erfuhren spannende Details aus dem Alltag in der Offizin, der ihnen sonst eher verborgen bleibt. / Foto: Getty Images/Cris Cantón
Die Talkrunde fand bereits am vergangenen Donnerstag unter dem Motto »Leere Regale, verzweifelte Patienten: Was hilft gegen Medikamentenmangel?« statt und ist online verfügbar. Sie steht beispielhaft dafür, dass das Thema Lieferengpässe derzeit von allen großen wie auch lokalen Medien aufgegriffen wird.
Elisabeth Mürnseer ist Inhaberin zweier Apotheken im schleswig-holsteinischen Itzehoe und Hohenlockstedt. Sie sagte, dass es kaum noch vorkomme, dass ein Patient, der mit zwei oder mehr Rezepten in ihre Apotheke komme, problemlos versorgt werden könne. Fast immer müsse ausgetauscht und oft mit dem Arzt Rücksprache gehalten werden. Der Mehraufwand und die zusätzliche Beratungsleistung seien enorm. Im Internet zu bestellen nütze in diesen Fällen nichts, denn sie würden das Rezept mit einem »nicht lieferbar« wieder zurückschicken.
Die Engpässe lassen sich zusammengefasst auf verschiedene Ursachen zurückführen. Bei Medikamenten wie Fieber- und Hustensäften hatten die Firmen in der Pandemie ihre Produktion zurückgefahren, weil die Nachfrage gesunken war, erklärte Piechotta, Radiologin und Abgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Danach hätten sie lange gebraucht, um die Produktion wieder hochzufahren. Für Kinderarzneimittel gebe es nur noch wenige Hersteller, da sich die Produktion für sie kaum noch rentiert.
Ein weiteres Problem sei die Auslagerung wichtiger Produktionsstätten nach China während der letzten 20 Jahre, so Piechotta. »Es wurde lange unterschätzt, wenn man sich bei Lieferketten von Ländern abhängig macht, die selbst nicht demokratisch aufgestellt sind.« Das sei aber ein globales Problem, das auch global oder mindestens europäisch angegangen werden müsse. »Leider sei das Zurückholen der Produktion, nachdem sie einmal ausgelagert war, sehr viel schwieriger und teurer, als wenn man sie vor Ort hält.« Das sei seit den 2010er-Jahren versäumt worden, und die Pandemie habe das Problem sichtbar gemacht. Das gelte zudem nicht nur für Arzneimittel.
Mürnseer, die auch in der Delegiertenversammlung des Apothekerverbands Schleswig-Holstein aktiv ist, ergänzte, dass der Generika-Markt in Deutschland sehr groß sei und die Arzneimittelpreise hier mittlerweile im unteren Drittel lägen. Das führe dazu, dass Hersteller bei der Verteilung ihrer Medikamente Länder bevorzugen, die höhere Preise zahlen. Sie plädierte dafür, dass die Lieferung nach Deutschland für Hersteller wieder attraktiv werden müsse.
In der neuen Gesetzgebung soll eine höhere Bevorratung vorgeschrieben werden, um Nachfragespitzen abpuffern zu können, sagte die Politikerin zur Strategie. Bei der Vergabe von Rabattverträgen sollen mindestens zwei Hersteller in Europa produzieren (vom Wirkstoff bis zur Verpackung) und dafür etwas mehr Geld erhalten. Sie verteidigte die Rabattverträge im Generikamarkt mit dem Hinweis, dass sie dazu beitragen, jeden Bürger versichern zu können und Medikamente bezahlbar zu machen – anders als in beispielsweise in den USA, wo nicht selten Mondpreise für Medikamente verlangt werden und diese nicht jedem zugänglich sind. Zudem seien sie eine gewisse Absatzgarantie für den Hersteller, der den Rabattvertrag mit der Krankenkasse abschließt.
Da nun auch viele Arzneimittel von den Lieferengpässen betroffen seien, die »nicht einfach mal austauschbar« seien, etwa retardiertes Carbamazepin, müsse wesentlich häufiger die Arztpraxis kontaktiert werden, wo sich die Mehrarbeit fortsetzt, erklärte Mürnseer den Zuhörern. Diesen riet sie jedoch davon ab, hundert Apotheken anzurufen, um noch eine Packung ihres Arzneimittels zu finden. Kranke Menschen hätten dafür keine Energie, und die Lösung des Problems sollten sie besser in die Hände des Apothekers in ihrer Stammapotheke geben. Dies sei ihr zum Glück noch immer gelungen, führe aber dazu, dass eine ihrer Mitarbeiterinnen die Hälfte der Arbeitszeit nur mit der Bearbeitung von Lieferengpässen beschäftigt ist.
Zum Schluss erklärte die Apothekerin, worum es beim Protest am 14. Juni ihrer Meinung nach hauptsächlich geht: Darum, dass die mangelnde Wertschätzung der apothekerlichen Leistung und deren mangelhafte Vergütung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gehoben werden. Sie erinnerte daran, dass die Basisvergütung seit 2004 so gut wie unverändert gilt und diese nicht an die Inflation und an steigende Tariflöhne angepasst worden ist. Gleichzeitig sind aber eine Menge an Zusatzleistungen und bürokratischen Aufgaben dazugekommen. Das Kümmern und Sorgen um Medikamente, die von Lieferengpässen betroffen sind, soll nun zwar mit 50 Cent pro Fall vergütet werden – dies stehe aber in keinem Verhältnis zum Aufwand, der tagtäglich in den Apotheken dafür betrieben werden müsse, so Mürnseer.
NDR-Moderatorin Birgit Langhammer (rechts) erörterte mit ihren beiden Studiogästen, der Apothekerin Elisabeth Mürnseer (links) und der Bundestags-Abgeordneten Paula Piechotta (kleines Bild) die Fragen der Zuhörer zu den Lieferengpässen. / Foto: PZ/Screenshot