Nachwuchs verzweifelt gesucht! |
Angesichts des Personalmangels müssen immer wieder Apotheken schließen oder ihre Öffnungszeiten verkürzen. / Foto: Getty Images/Jose Luis Raota
Seit 220 Jahren gibt es die kleine Apotheke am Marktplatz des rheinland-pfälzischen Dorfs Kaub. Am 31. August 2023 ist Schluss: Dann wird Dagmar Vogel, Apothekerin in der fünften Generation, die Hindenburg-Apotheke für immer schließen. Ein schwarzer Tag für die Inhaberin, die die Offizin seit 2011 führt. Und ein schwarzer Tag für die Bürgerinnen und Bürger von Kaub und Umgebung. Denn diese müssen dann weite Wege auf sich nehmen, wenn sie Medikamente oder pharmazeutischen Rat benötigen: »Wenn meine Apotheke hier wegfällt, dann beträgt die Distanz zwischen den verbleibenden Apotheken zwischen 15 bis 18 Kilometer«, sagt Vogel im Gespräch mit der PZ.
Gern hätte sie die Arzneimittelversorgung in Kaub aufrechterhalten. Seit Anfang 2022 suchte sie eine Nachfolge. Aber die Rahmenbedingungen waren noch schwieriger als anderswo. Denn erstens ist der mit 800 Einwohnern sehr kleine Ort für junge Menschen oft unattraktiv. Und zweitens – und das wiegt noch schwerer – gibt es in Kaub seit 2014 keine medizinische Versorgung mehr. Das wollte kein Nachfolger auf sich nehmen.
Traurig: Nach 220 Jahren muss die Hindenburg-Apotheke im rheinland-pfälzischen Dorf Kaub schließen. Ein bitterer Tag für Inhaberin Dagmar Vogel, Apothekerin in der fünften Generation. / Foto: Hindenburg-Apotheke
»Insgesamt hatte ich fünf Bewerber, aber sobald sie hörten, dass es vor Ort keinen Arzt mehr gibt, sprangen sie ab.« Verständlich, denn die Apotheke war seit Jahren ein Minusgeschäft. »Das will keiner mitmachen. Ich hätte meiner Nichte die Offizin als Filialapotheke übergeben können, aber auch als Filialleitung war es wirtschaftlich uninteressant.«
Mit der Schließung falle die Verbindungsstelle zwischen Arzt, Patient und Pflegedienst weg. Und wenn die Apotheke am Markt nicht mehr da ist, dann werde auch der Bäcker nebenan den Kundenschwund spüren. Und so gehe es sukzessive bergab mit der Infrastruktur in Kaub. »Am 31. August 2023 geht eine Ära zu Ende. Und das ist bitter«, sagt Vogel.
Mit der Schließung der Hindenburg-Apotheke in Kaub geht in Rheinland-Pfalz also eine weitere Apotheke vom Netz. Im vergangenen Jahr haben nach ABDA-Angaben bundesweit 393Apotheken für immer ihre Türen geschlossen. Trauriger Spitzenreiter ist Rheinland-Pfalz – und das seit Jahren. 2022 war dort für 27 Offizinen Schluss. In den vergangenen zehn Jahren waren es fast 200 Offizinen, die Zahl der Standorte ist auf rund 890 gesunken, so wenig wie zuletzt in den 1970er-Jahren.
Wohl dem Apothekeninhaber, der ein stabiles Team leiten kann. / Foto: Getty Images/alvarez
Die Ursachen sind vielfältig. Neben wirtschaftlichen Aspekten bereitet vor allem auch der fehlende Nachwuchs Sorgen. Auch gutgehende Offizinen in attraktiven Wohnlagen haben Schwierigkeiten, Approbierte zu finden.
»Mein jüngster Sohn ist Pharmazeut und promoviert derzeit in Mainz«, berichtet Peter Stahl, Präsident der Landesapothekerkammer (LAK) Rheinland-Pfalz. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, mittelfristig die Apotheke des Vaters zu übernehmen, habe der Sohn geantwortet, er wolle mal die nächsten drei Jahre abwarten, wo es mit der öffentlichen Apotheke hingeht. Dies spreche doch Bände, so Stahl. Seine Apotheke liegt in Neustadt. »Das ist nicht unattraktiv, dort zu wohnen«, so der Kammerpräsident. Die Suche nach einem Nachfolger sei trotzdem schwierig.
Die Situation in Rheinland-Pfalz ist sozusagen das Worst-Case-Szenario einer bundesweiten Entwicklung. Der Apothekerberuf gilt seit Jahren als Engpassberuf. Entsprechend der Skala der Bundesagentur von 0 (kein Engpass) bis 3 (großer Engpass) liegt er bei 2,5; das heißt: Auch in Zukunft ist mit großen Besetzungsschwierigkeiten zu rechnen. Hinzu kommt: Der Bedarf an approbiertem Personal wächst konstant, wie Dr. Berit Winter, ABDA-Abteilungsleiterin Berufe und Apothekenpraxis, darlegt.
»In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der berufstätigen Apothekerinnen und Apotheker um rund 9500 zugenommen, das entspricht einem Zuwachs von mehr als 16 Prozent«, erläutert Winter. Dabei sei der größte Anstieg im Tätigkeitsbereich Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (WIV) zu verzeichnen. Die Zahl der dort berufstätigen Apotheker ist um gut 48 Prozent gestiegen. Und auch in den Krankenhausapotheken hat deren Zahl zugelegt, und zwar um 34 Prozent.
Foto: Adobe Stock/N. Theiss
Bei aller Not, die insbesondere die Apotheken durch den Personalmangel haben: Er ist kein branchenspezifisches Problem, sondern bekanntlich ein gravierendes gesamtgesellschaftliches. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) blieben im vierten Quartal 2022 bundesweit insgesamt 1,98 Millionen Stellen unbesetzt – »ein neues Allzeithoch«, wie es Anfang März in einer Pressemitteilung hieß. Gegenüber dem Vorquartal stieg die Zahl der offenen Stellen insgesamt um rund 160.900 oder 8,8 Prozent; im Vergleich zum vierten Quartal 2021 um 295.500 oder 17,5 Prozent.
Von den knapp zwei Millionen unbesetzten Stellen lassen sich laut BA rund 301.000 im Gesundheits- und Sozialwesen verorten. Gesundheitsberufe seien seit Beginn der Engpassanalyse, mit der die BA seit 2011 einmal jährlich die Fachkräftesituation am Arbeitsmarkt bewertet, Mangelberufe, erklärt eine BA-Sprecherin im Gespräch mit der PZ. »Und da hat sich bisher keine Entspannung gezeigt.« Den Apothekerberuf listet die BA übrigens seit Dezember 2016 offiziell als Mangel- oder Engpassberuf.
Nach Einschätzung von Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der BA, dürfte sich dieser Trend allgemein noch verstärken, vor allem wegen des demografischen Wandels sowie der Digitalisierung. Er verweist hierzu auf einen IAB-Beitrag, wonach die Zahl der Menschen, die dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen, jedes Jahr alterungsbedingt um bis zu 400.000 Personen schrumpft, »wenn es nicht gelingt, dies durch Zuwanderung und steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren auszugleichen«.
Mit einem reformierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz will die Ampelkoalition genau hier ansetzen und die Hürden für qualifizierte Menschen aus dem Ausland senken. Gesundheitsberufe hat die Fachkräftestrategie dabei nicht gezielt im Blick, wie das zuständige Bundesarbeitsministerium der PZ mitteilt.
Jedoch kommen zunehmend ausländische Approbierte in den Markt. Insgesamt 997 Pharmazeutinnen und Pharmazeuten haben laut ABDA 2022 die für den Apothekeneinsatz erforderliche Fachsprachenprüfung abgelegt. Im Jahr 2021 waren es 915. Die Approbierten aus anderen Ländern könnten helfen, den Engpass zu entschärfen.
Das Plus an neuen Stellen bedeutet zugleich, dass rund 45 Prozent der Neuapprobierten in Arbeitsplätze wechseln, die davor nicht mit einem Apotheker besetzt waren. Gleichzeitig werden bis 2030 etwa 44 Prozent der heutigen Apothekenleiter in Rente gehen (bei der Erhebung 2014 waren es 35 Prozent, die innerhalb der nächsten zehn Jahre in Rente gingen). Das Nachfolgeproblem wächst also konstant. Bis 2030, so prognostiziert Winter, werden mehr als 10.000 Approbierte fehlen, um sowohl Voll- als auch Teilzeitstellen ausreichend besetzen zu können. Zwar sinke die Zahl der öffentlichen Apotheken seit 2009 kontinuierlich. Gleichzeitig sei aber die Zahl der approbierten Mitarbeiter in den Offizinen um 10 Prozent gestiegen. Als Grund dafür nennt sie unter anderem die hohe Teilzeitquote.
In Wissenschaft, Industrie und Verwaltung entstehen zunehmend mehr Arbeitsplätze für Apotheker. Diese sind für die Uniabsolventen oft hoch attraktiv und gut bezahlt. / Foto: Getty Images/Monty Rakusen
Laut einer Hochrechnung der LAK Rheinland-Pfalz von 2019 braucht es dort in den nächsten zehn Jahren für die Aufrechterhaltung der pharmazeutischen Versorgung mindestens 1900 Approbierte für die öffentlichen Apotheken, 250 Stationsapotheker in den Kliniken und mindestens 150 für Wissenschaft, Verwaltung und Industrie. Gleichzeitig erscheint den Pharmaziestudierenden die Apotheke vor Ort nicht gerade als Wunsch-Arbeitsplatz. Eine Befragung des aktuellen Studiengangs in Mainz ergab, dass von 78 Studierenden gerade mal drei nach dem Studium in eine öffentliche Apotheke gehen wollen.
Im Gegensatz zu anderen Flächenländern wie Thüringen oder Brandenburg ist in Rheinland-Pfalz die Konkurrenz zur Industrie mit dort ansässigen Pharmaunternehmen wie Biontech, Boehringer und Abbvie besonders ausgeprägt. »Biontech wirkt wie ein Staubsauger! Die saugen alle Approbierten und pharmazeutischen Fachkräfte weg«, sagt Stahl. Vorteile der Industrie liegen ihm zufolge in festen Arbeitszeiten, besseren Aufstiegsmöglichkeiten und der Möglichkeit zu Auslandsaufenthalten. Zudem verdienten Angestellte in der Industrie mehr. Stahl berichtet über Fälle, in denen PTA und PKA mit einem doppelten Gehaltsangebot abgeworben wurden. »Das sprengt den Vergütungsrahmen, den eine öffentliche Apotheke bieten kann.«
Als Grund für den fehlenden Nachschub an jungen Approbierten nennt Stahl unter anderem die schlechten Ausbildungsumstände in Rheinland-Pfalz. Die Unigebäude der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sind stark in die Jahre gekommen. Vor allem das pharmazeutische Institut ist marode. Die Kammer ist schon seit Längerem mit der Institutsleitung und der Landesregierung im Gespräch. Zwar gibt es nun endlich von der Landesregierung die Zusage für einen Neubau. Aber die Anzahl der Studienplätze soll nicht erhöht werden.
Konzipiert für 50 Studierende pro Semester, platzt das Institut schon jetzt aus allen Nähten, berichtet Dekanin Professor Dr. Tanja Schirmeister. Demnach laufen etwa die pharmazeutischen Praktika aus Platzmangel im Schichtbetrieb zeitversetzt und teilweise auch in den Semesterferien.
Um den Bedarf an Approbierten zu decken, fordern Kammer und Verband dringend eine Aufstockung. »Gemeinsam mit der Landesapothekerkammer sind wir der Meinung, dass rund 100 Studienplätze pro Semester in Mainz angestrebt werden sollten«, so Peter Schreiber, Geschäftsführer des Landesapothekerverbands Rheinland-Pfalz. Die unzureichende Studiensituation führe dazu, dass viele Interessierte in andere Bundesländer abwandern, um zu studieren. Oft bleiben sie nach der Approbation dann dort und kommen nicht zurück.
Auch in Thüringen ist die Lage problematisch. Im vergangenen Jahr mussten zehn Apotheken schließen. Die verbliebenen 507 Offizinen werden derzeit von nur noch 389 selbstständigen Inhabern geführt. »Das ist der niedrigste Wert seit 1991«, sagt Danny Neidel, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT).
Personalengpässe seien neben einer überbordenden Bürokratie sowie den sich verschärfenden Lieferengpässen derzeit die größten Herausforderungen oder eben auch Hindernisse für den Weg in die Selbstständigkeit. Deren Ausmaß zeigt ein Blick in den Stellenmarkt der LAKT: Waren Ende 2012 noch 151 Apotheken auf der Suche nach Approbierten, sind es Ende 2022 bereits 306.
Neidel betont insbesondere die Lücke bei den Pharmazieingenieuren. »Die jüngste Pharmazieingenieurin in Thüringen wurde gerade 53. Das bedeutet: In spätestens 15 Jahren gibt es keine Ingenieurinnen oder Ingenieure mehr in den Thüringer Apotheken.« Zum Jahresanfang waren es noch fast 550.
Hinzu kämen etwa 275 Apothekerinnen und Apotheker, die heute zwischen 52 und 67 Jahre alt sind und die aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb der nächsten 15 Jahre in Rente gehen werden. »Wenn nichts geschieht, fehlen im Jahr 2040 etwa 400 Apothekerinnen und Apotheker.«
In Deutschland gibt es zu wenig Pharmaziestudienplätze, konstatieren die Berufsverbände der Apotheker und der Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland. / Foto: Adobe Stock/NDABcreativity
Um gegenzusteuern, kämpfen Kammer und Verband schon lange nicht nur für einen Neubau des sehr in die Jahre gekommenen pharmazeutischen Instituts in Jena. Dieser wurde 2022 von der Landesregierung endlich bewilligt. Sondern sie pochen auch auf eine Aufstockung der derzeit 75 Studienplätze/Jahr. Leider bislang vergebens. »Wir haben uns eine Erhöhung auf 100 Studienplätze gewünscht. Denn Fakt ist, dass diese auch dringend gebraucht werden«, so Neidel.
»Die zugesagte Modernisierung, die wir für das Jahr 2035 erwarten, kommt viel zu spät und wird ohne eine gleichzeitige Erweiterung den Anforderungen an die Zukunft nicht gerecht«, kritisiert der Geschäftsführer. »Im Grunde ist ein zu kleines Institut ein politisch herbeigeführter Mangel.«
Im Land Brandenburg sieht es noch düsterer aus mit der Nachwuchsgewinnung vor Ort und dem vielzitierten »Klebeeffekt«. Dort wäre man schon froh, wenn es überhaupt eine Möglichkeit zum Pharmaziestudium gäbe. Das Land Brandenburg ist neben Bremen das einzige Bundesland in Deutschland, das keine eigenen Pharmazeuten ausbilden kann.
Jens Dobbert, Präsident der LAK Brandenburg, kämpft seit 2012 für ein pharmazeutisches Institut vor Ort. »Wir benötigen dringend einen Studiengang Pharmazie in unserem Land. Es bewerben sich viele Abiturienten aus Brandenburg für einen Studienplatz Pharmazie in Deutschland. Wenn wir einen Teil dieser Bewerber durch ein pharmazeutisches Institut in Brandenburg halten könnten, wäre die Lage womöglich entspannter.«
Demnach haben sich zuletzt 90 Abiturienten aus Brandenburg um einen Pharmaziestudienplatz beworben und 69 einen bekommen– »das ist genau die Zahl an Studienplätzen, die wir uns hier wünschen«, betonte Dobbert kürzlich auf dem PZ-Management-Kongress auf Mallorca. Das Studium im eigenen Bundesland bringe den Klebeeffekt mit sich– die Absolventen bleiben.
Derzeit wird in Cottbus eine neue Universität nur für Medizin gegründet. 2026 sollen hier 200 Medizinstudierende starten– aber die Pharmazie fehlt immer noch, beklagt die LAK. Dabei hätten sich Humanmediziner, Zahnärzte und Apotheker für eine gemeinsame »Hochschule der Heilberufe« ausgesprochen. Für die Apothekerschaft in Brandenburg ist die Verweigerungshaltung der Landesregierung nicht nachvollziehbar.
Auch in Brandenburg sinkt die Zahl der Apotheken kontinuierlich. Im vergangenen Jahr schlossen zehn Offizinen für immer; im ersten Quartal 2023 waren es bereits vier. Ende 2022 gab es demnach noch 553 öffentliche Apotheken; 2017 gab es noch 576 Offizinen. Besonders der Fachkräftemangel erzwinge immer häufiger Schließungen– auch gut gehender Apotheken– im ländlichen und städtischen Bereich. Es sei oft schlichtweg kein Nachfolger oder Personal zu finden.
Wie sehr sich der Nachwuchsmangel im Land verschärft, lässt sich Kammerangaben zufolge auch am massiven Zuwachs an Anfragen für »Schließungen aus besonderem Grund« festmachen. Laut § 23 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ist eine Apotheke »zur ständigen Dienstbereitschaft« verpflichtet. Abweichungen hinsichtlich Öffnungszeiten beziehungsweise individuellen Schließzeiten sind Ländersache.
Können Inhaber die Vorgaben nicht gewährleisten und wollen sie ihre Öffnungszeiten verkürzen oder vorübergehend schließen, müssen sie bei der Kammer eine entsprechende Erlaubnis einholen. Im vergangenen Jahr erhielt die Kammer 169 solcher Anfragen, 140 davon hat sie stattgegeben.
Bei fehlender Vertretung ist die Situation oft problematisch. Was tun bei Krankheit, Urlaubswunsch oder familiären Gründen? In 142, also in rund einem Viertel der Brandenburger Apotheken, gibt es nur einen einzigen Apotheker, also keine Vertretungsberechtigten. »Da ist es oft sehr schwierig, den Laden am Laufen zu halten«, so Dobbert.
Um Inhabern zumindest bei den Öffnungszeiten mehr Flexibilität zu bieten, hat die Kammer kürzlich eine geänderte Allgemeinverfügung erwirkt. Mit der neuen Regelung, die seit dem zweiten Quartal 2023 in Kraft ist, kann die Apotheke die sechs Stunden Öffnungszeit selbst festlegen.
Dobbert sieht den Nachwuchsmangel auch dem veränderten Lebenskonzept der jungen Generation geschuldet. In den Bewerbungen junger Absolventen spiegle sich eine moderne Vorstellung von Leben und Arbeiten. Eine Vollzeitstelle werde leider selten angestrebt. Das sei kein Phänomen im Apothekenbereich, sondern ein Ausdruck der Generation, die jetzt in das Berufsleben hineinwächst. »Ich kann nur hoffen, dass sich diese Einstellung einmal ändert, denn eine Versorgung der Bevölkerung kann nun mal nicht nur am Vormittag stattfinden.«
In Teilzeit zu arbeiten, stellt für das meist weibliche Personal in Apotheken eine gute Möglichkeit dar, Job und Familie miteinander in Einklang zu bringen. Schon lange ist deshalb der Anteil der Teilzeitverträge hoch. Viele Unternehmen werben inzwischen sogar mit flexiblen Arbeitszeitmodellen wie mobiles Arbeiten, Jobsharing oder Viertagewoche. Könnte beziehungsweise dürfte eine Apotheke so etwas auch? Immerhin unterliegen Offizinapotheken strengen arbeitsrechtlichen Vorgaben.
In der Tat seien die Möglichkeiten eher begrenzt, sagt Rechtsanwältin Jasmin Herbst von der Koblenzer Kanzlei Dr.Schmidt und Partner. Natürlich stehe außer Frage, dass arbeitszeit- oder arbeitsortflexibles Arbeiten für Unternehmen besonders reizvoll ist, um sich attraktiv für Bewerber zu präsentieren, erklärt Herbst gegenüber der PZ. Dies stehe nicht zwingend im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben für Apotheken. »Äußerst misslich«, betont die Arbeitsrechtlerin.
So sei etwa Jobsharing für die Filialleitung in Apotheken ungeeignet. Ein solches Konzept habe rechtlich keine Chance, so Herbst. Zwar gebe es bei der Filialleitung keine gesetzlich vorgeschriebene Mindestarbeitszeit, doch müsse die Tätigkeit hauptberuflich erfolgen, dürfe also eine Arbeitszeit von in der Regel 30 Wochenstunden nicht unterschreiten. Vor allem aber sei vorgeschrieben, eine einzelne Person als apothekenrechtlich Verantwortliche(n) zu benennen. Tatsächlich macht sich der Personalmangel bei der Suche nach einer Filialapothekenleitung besonders bemerkbar. Doch laut Herbst gibt es gesetzlich keine Möglichkeit, diesem Problem mit Jobsharing zu begegnen.
Zwei weitere Modelle könnten ihr zufolge aber in Apotheken zum Einsatz kommen. Erstens die sogenannte Brückenteilzeit. Vom Gesetzgeber 2019 in § 9a TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) nach dem Motto »Arbeitszeit, die zum Leben passt« geregelt, werde dieses Modell ihrer Erfahrung nach noch viel zu selten angewandt. Die »Brücke« solle eine vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit mit – und das sei neu – anschließendem Rückkehrrecht zur vorherigen Arbeitszeit möglich machen. Angestellte arbeiten also für einen im Voraus festgelegten Zeitraum weniger als ihre reguläre Arbeitszeit, zum Beispiel in einem Blockmodell, und das Entgelt wird entsprechend angepasst.
Teilzeitarbeitsmodelle stehen heute hoch im Kurs – nicht nur bei Frauen, die Familie haben. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Bei Perioden mit hohem Arbeitsanfall könne ein Jahresarbeitszeitkonto sinnvoll sein. Bei diesem Modell vereinbaren die Vertragsparteien eine reguläre wöchentliche Arbeitszeit, also eine sogenannte Soll-Arbeitszeit, mit einem festen Bruttogehalt. Alles, was darunter oder darüber liegt, wird als Ist-Arbeitszeit in einem Zeitkonto festgehalten. Binnen eines Jahres können die Abweichungen durch entsprechend mehr oder weniger Arbeit ausgeglichen werden.
Bei einem sogenannten Lebensarbeitszeitkonto erfassen Arbeitnehmer und -geber Überstunden in dem Konto. Diese gelten dann gesammelt als Freistellungsphase, die dem eigentlichen Eintritt in die Regelaltersrente vorgeschaltet wird.
»Ein Normalarbeitsverhältnis im Sinn einer regulären Vollzeitbeschäftigung gibt es heutzutage nicht mehr«, so Herbsts Resümee. »Im Ergebnis dürfte der Ruf nach flexiblem Arbeiten für beide Parteien von Interesse sein.«
Angesichts der für das Jahr 2030 prophezeiten 10.000 fehlenden Apothekerinnen und Apotheker haben auch die Pharmaziestudierenden das Problem auf dem Schirm. Sie sehen die Bundespolitik in der Pflicht, den Trend aufzuhalten. Diese müsse sich jetzt fragen, wie die Gesundheitsversorgung mit einem solchen Defizit künftig gesichert werden solle, heißt es vom Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD). Dabei reiche es nicht aus, eindimensional zu denken.
Insbesondere bei der Studiensituation sieht der BPhD noch Luft nach oben. Er bestätigt die Einschätzungen aus Brandenburg, Thüringen und Rheinland-Pfalz, dass es schlichtweg zu wenige Pharmazie-Studienplätze gebe. Die aktuelle Anzahl könne den zukünftigen Bedarf an Apothekern nicht annähernd decken, kritisiert Laila Haroon, BPhD-Beauftragte für Lehre und Studium, gegenüber der PZ.
Auch bei den Inhalten bestehe Verbesserungsbedarf. So würden klinisch-pharmazeutische Aspekte während des Studiums bislang vernachlässigt und notwendige Fähigkeiten für die Offizin wie die Kommunikation zwischen Apothekern und Ärzten nicht ausreichend vermittelt, so Haroon. Studierenden fehle während der universitären Ausbildung der Praxisbezug. Trainingsapotheken seien nicht flächendeckend etabliert und die bestehenden würden zu wenig genutzt.
Und nach dem Studium? Auch hier hat der BPhD klare Vorstellungen. »Wir verstehen unseren Beruf als Heilberuf und möchten gerne den Patienten und Patientinnen helfen und nicht nur bessere Verkäufer sein«, sagt Lisa Meyer, BPhD-Beauftragte für PJ und Beruf. Dieser Ruf eile dem Offizinapotheker leider immer noch voraus. Meyer schlägt vor, ein stärkeres Augenmerk auf die pharmazeutischen und auf eventuelle weitere Dienstleistungen zu legen.
Dadurch würden die Inhalte aus dem Studium breitere Anwendung finden und der Beruf an Attraktivität gewinnen. Zudem müsse das PJ besser bezahlt werden. »Wir wünschen uns neben der ideellen Bezahlung in Form einer guten Ausbildung auch einen dem bereits abgeschlossenen Studium angemessenen monetären Lohn.«
Julian Held, BPhD-Beauftragter für Gesundheitspolitik, findet es wichtig, sich klarzumachen, was die Apotheker in Deutschland alles könnten. Zudem gelte es, ungenutztes Potenzial auszuschöpfen. »Weg von bürokratischem Verwaltungsaufwand, hin zum Gesundheitsdienstleister mit echtem Versorgungsmehrwert für Patientinnen und Patienten.«
Einen solchen Versorgungsmehrwert hat Apothekeninhaber Stefan Göbel für seinen Betrieb herausgearbeitet. Er hat es mit Motivation durch Wertschätzung und Kompetenzsteigerung geschafft, seine Apotheke im osthessischen Heringen vor Personalmangel zu schützen. Obwohl im ländlichen Raum angesiedelt, habe er kein Problem, engagiertes Personal zu finden.
Göbels Rezept: Seine Offizin bietet bereits seit Jahren Medikationsanalysen an – ein Service, von dem nicht nur die Patienten, sondern auch Göbels Mitarbeitende profitieren. Denn mit dieser pharmazeutischen Dienstleistung werde die herkömmliche Beratung aufgewertet, was wiederum einen Kompetenzeffekt nach sich ziehe: Sowohl Patienten als auch Ärzte nähmen das Apothekenpersonal aufgrund ihres Engagements anders wahr, wie Göbel im Frühjahr beim PZ-Managementkongress auf Mallorca berichtete. Das erfülle die Mitarbeiterinnen mit Stolz und dem Gefühl, wertgeschätzt zu werden – ein echter Pull-Faktor (nicht nur) für pharmazeutisches Personal.
Foto: Adobe Stock/BreizhAtao
Nicht nur hierzulande fehlen Fachkräfte. Gleichermaßen düster sieht es im benachbarten Ausland aus. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es viel zu wenig pharmazeutisches Personal. Die dortigen Standesvertretungen wollen deshalb Nägel mit Köpfen machen. Seit Kurzem laufen in beiden Alpenrepubliken unabhängig voneinander Kampagnen zur Nachwuchsförderung.
Pharmasuisse, der Apothekerverband der Eidgenossen, setzt dabei auf ein mehrjährig angelegtes digitales Nachwuchsförderprojekt mit eigener Website. »Choose Your Impact« heißt die Kampagne, die vor allem junge Menschen ansprechen soll. Neben der bunt designten Website sollten auch Social-Media-Posts für den Apothekerberuf oder den Beruf »Fachmann oder Fachfrau Apotheke« werben, erklärt eine Pharmasuisse-Sprecherin im Gespräch mit der PZ. Mit Vorträgen will Pharmasuisse gezielt auf Schülerinnen und Schüler zugehen.
Auch Österreich hat die Generation Z im Visier. Im März startete der Apothekerverband eine Personalkampagne, die sich vor allem an die 14- bis 24-Jährigen richtet. Mit Videos und Infopaketen sollen diese für eine Lehre als Pharmazeutisch-kaufmännische Assistenz oder für ein Pharmaziestudium begeistert werden, erklärt ein Verbandssprecher der PZ. Auch deren Eltern sowie potenzielle Quereinsteiger sollten sich angesprochen fühlen.
Die Kampagne läuft 2023 auf sämtlichen Kanälen mit Schwerpunkt auf den digitalen Plattformen der GenerationZ– TikTok, Instagram, Twitch, YouTube, Spotify und Google. Auch auf Plakaten, in TV und Kino sowie auf Facebook seien die Botschaften zu sehen. Im April sei ein Schulpaket mit Informationen zu Studium und Lehre an 1300österreichische Schulen verschickt worden; für Apotheken stünden Folder und Plakate zu Studium und Lehre zum Verteilen in der Apotheke sowie als Unterstützung für Apotheker, die in Schulen eingeladen werden, bereit.
Nicht weniger anziehend für potenzielle neue Mitarbeitende dürfte es ein, wenn der Betrieb für seinen wertschätzenden Umgang mit dem Team ausgezeichnet ist. Einen solchen Effekt verfolgt der Award »Apotheke der neuen Zeit – Great Apo to work«. Etabliert hat ihn Apothekencoach Nicole Müller, die unter anderem Mentoring-Programme für weibliche Führungskräfte anbietet. Im Rahmen dieser Programme wird das Siegel je für ein Jahr verliehen. Die Auszeichnung honoriere »die besten Apotheken mit der besten Entwicklung nach einem festen Kriterienkatalog«, so Müller zur PZ.
Das Siegel bescheinigt, »dass man als Team zu 100 Prozent einen wertschätzenden und inspirierenden Umgang lebt – und zwar täglich und mit vollem Einsatz«. Das binde das Personal und erleichtere zudem, weiteres zu finden, sagt die PTA, die auch als Apothekenreferentin sowie als Verkaufs- und Marketingdirektorin eines Pharmaunternehmens arbeitete.
Stichwort Personal: Warum dieses bei der Personalsuche eigentlich nicht einbinden? »Bevor man eine Stellenanzeige schreibt, kann man zuerst gemeinsam mit dem Team überlegen, wen man eigentlich genau braucht«, rät Müller. Es gelte herauszufinden, welche persönlichen und fachlichen Eigenschaften die neue Person mitbringen sollte. »Wer das Team mit einbezieht, kann von Synergien profitieren: Die Mitarbeitenden merken, dass ihre Meinung gehört und geschätzt wird.« Auch hier leuchtet sie also wieder, die Strahlkraft der Wertschätzung – die laut Müller ein nachhaltigerer Motivator sein könne als ein hohes Gehalt.
Die ABDA will ihre Nachwuchskampagne ab Juni zünden. Zielgruppe ist einerseits die Generation der 15- bis 16-Jährigen. Die Kampagne soll die Berufe der PTA und PKA, für die kein Abitur erforderlich ist, bekannter machen und den Facettenreichtum dieser Arbeitsfelder mit jugendaffiner Social Media (TikTok, YouTube) bewerben.
Auch eine gute Ausbildung in der Apotheke macht diese als Arbeitsplatz attraktiv. / Foto: Getty Images/Aja Koska
Die zweite Zielgruppe sind die Pharmaziestudierenden. Wobei es hier nicht an Bewerbern mangele, sondern an Studienplätzen, unterstreicht auch ABDA-Vize Mathias Arnold im Gespräch mit der PZ. Ziel dieser Kampagnenarbeit sei es, die Studierenden für die Arbeit in der stationären Apotheke zu begeistern. »Hier geht es vor allem um eine Charme-Offensive«, so Arnold. Das Schöne, Positive, Erfüllende der pharmazeutischen Arbeit soll im Fokus stehen.
Bei einer Nachwuchsveranstaltung der ABDA am 16. Mai haben alle Mitgliedsorganisationen über künftige Offensiven zur Nachwuchsgewinnung beraten. Grundlage ist eine Umfrage unter den Mitgliedsorganisationen über deren bisheriges Engagement zu diesem Thema sowie künftige Initiativen.
Wichtig sei vor allem, dass Interessenten auch Ansprechpartner haben, betont Arnold. Die Apotheken sollen deshalb Werkzeuge für Kommunikation und Interaktion erhalten. Dabei geht es um interaktive Angebote, begehbare 3-D-Welten und ähnlich innovatives Infotainment. Die ABDA will Arnold zufolge die Offizinen koordinierend unterstützen, das Interesse am Apothekenberuf beim Nachwuchs zu schüren – sowohl auf Landesebene als auch in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit. Der ABDA-Vizepräsident betont aber auch: »Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort müssen das Interesse an ihrer Arbeit auch selbst unmittelbar vermitteln.«
Der Apothekerberuf ist wie viele andere Berufe im Wandel. Digitalisierung und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz führen zu Veränderungen. »Wissen wird sich in Zukunft sozialisieren«, prognostiziert Arnold. Aber die Empathie sowie das Vertrauen zwischen Apotheker und Patient seien durch nichts ersetzbar. »Das bleibt. Und das macht den Apothekerberuf auch künftig faszinierend.«
Ev Tebroke studierte Kommunikationswissenschaften und Nordamerikastudien an der FU Berlin. Als Journalistin arbeitete sie im Bereich TV, Hörfunk und für diverse Zeitungen und Onlinemedien, unter anderem als Redakteurin und Blattmacherin für die Zeitungen »Welt« und »Welt am Sonntag«. 2012 stieg sie bei der PZ als Redakteurin im Ressort Politik/Wirtschaft ein. Seit 2021 ist sie verantwortliche Redakteurin.
Cornelia Dölger ist Redakteurin im Ressort Politik/Wirtschaft der Pharmazeutischen Zeitung. Sie studierte Germanistik und Politikwissenschaften in Münster, volontierte bei der Neuen Osnabrücker Zeitung und arbeitete dort als Politikredakteurin. 2015 stieg sie bei der PZ ein.