Muss der Blinddarm wirklich raus? |
Sven Siebenand |
06.02.2025 12:00 Uhr |
Eine akute Entzündung des Blindarms , die Appendizitis, ist eine der häufigsten Erkrankungen des Bauchraums. / © Adobe Stock/Seventyfour
Kinder sind besonders gefährdet, an einer Blinddarmentzündung zu erkranken. Die Appendizitis ist eine der häufigsten chirurgischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Im Jahr 2021 wurde laut Deutscher Gesellschaft für Chirurgie in Deutschland bei gut 23.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 20 Jahren der Blinddarmfortsatz entfernt.
Die Appendektomie, also die operative Entfernung des Blinddarmfortsatzes, gilt als Standardtherapie bei einer Blinddarmentzündung. In den vergangenen Jahren wurde aber immer wieder diskutiert, ob es nicht auch ausreicht, eine antibiotische Therapie einzuleiten. Dieser Frage ist ein Forscherteam um Professor Dr. Shawn D. St. Peter vom Children's Mercy Hospital in Kansas City, USA, in einer Studie nachgegangen. Im Journal »The Lancet« wurden die Ergebnisse nun veröffentlicht.
Ziel der randomisierten Studie war es, zu untersuchen, ob die Behandlung mit Antibiotika gegenüber der Operation gleichwertig ist. Insgesamt 936 Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 16 Jahren mit klinisch diagnostizierter, unkomplizierter, nicht durchgebrochener Appendizitis nahmen daran teil. Bei 459 von ihnen wurde der entzündete Blinddarm sofort operativ entfernt, während 477 Teilnehmer mit Antibiotika behandelt wurden. Diese Gruppe erhielt eine mindestens zwölfstündige intravenöse Gabe eines Antibiotikums im Krankenhaus, gefolgt von einer oralen Einnahme über zehn Tage.
Als primärer Endpunkt wurde Therapieversagen innerhalb eines Jahres festgelegt. Dieses Therapieversagen war in der Antibiotikagruppe definiert als die Notwendigkeit einer späteren Blinddarmoperation. In der operierten Gruppe wurde die Entfernung eines gesunden, nicht entzündeten Wurmfortsatzes als Therapieversagen gewertet.
Das Ergebnis: Innerhalb eines Jahren mussten in der ersten Gruppe 34 Prozent der Kinder später doch noch operiert werden. In der Gruppe der operierten Kinder lag die Versagensrate, also eine vermeintlich unnötige Appendektomie, dagegen bei nur 7 Prozent.
Was gibt es zum Thema Sicherheit zu sagen? Das Risiko für leichte bis mittelschwere Nebenwirkungen war in der Antibiotikagruppe höher als in der operierten Gruppe. Dazu gehörten vor allem Magen-Darm-Beschwerden. Schwere Nebenwirkungen oder Todesfälle traten in keiner der beiden Gruppen auf. Ein Vorteil der Antibiotikabehandlung war eine schnellere Rückkehr zur Normalität: Kinder in dieser Gruppe konnten früher wieder zur Schule gehen und benötigten seltener Schmerzmittel.
»Die Ergebnisse der Studie sprechen eindeutig dafür, dass die Antibiotikatherapie der Blinddarmoperation unterlegen ist«, sagt Professor Dr. Udo Rolle, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, in einer Pressemitteilung der Deutsche Gesellschaft für Chirurgie. Zwar biete die antibiotische Therapie kurzfristig eine weniger invasive Alternative, aber die hohe Versagerrate zeige, dass viele Patienten letztlich doch operiert werden müssten. »Wir schließen daraus, dass Antibiotika allein für die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen mit unkomplizierter Appendizitis keine langfristig sichere Option darstellen.«
Ein Cochrane-Review von Juni 2024 kam zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Bei einem Drittel der Teilnehmer, die zunächst mit Antibiotika behandelt wurden, war eine anschließende Blinddarmoperation erforderlich, bei zwei Dritteln wurde die Operation innerhalb eines Jahres vermieden.