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»Social prescribing«

Museumsbesuch statt Medikament 

Vor über zehn Jahren begann in Großbritannien ein Experiment, das heute weltweit Nachahmer findet. Ärztinnen und Ärzte verschreiben kostenlos Museumsbesuche – gegen Stress, Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Vielleicht führt auch in Deutschland der Weg zur Genesung bald nicht mehr in die Apotheke, sondern ins Museum.
dpa
08.09.2025  14:00 Uhr

Was in Deutschland noch wie Zukunftsmusik klingt, ist in Großbritannien längst Realität. Dort läuft der Museumsbesuch unter dem Dach des »Social Prescribing« – also der Verschreibung sozialer oder kultureller Aktivitäten zur Gesundheitsförderung, einem festen Baustein des staatlich finanzierten Gesundheitssystems NHS (National Health Service).

Die ersten Museumsrezepte – »Museums on Prescription« – starteten 2014 in einem dreijährigen, preisgekrönten Pilotprojekt, zunächst für ältere, sozial isolierte Menschen. Heute sind Kunst- und Museumsbesuche fest im Gesundheitssystem verankert – und die Wirkung ist messbar: 37 Prozent weniger Hausarztbesuche, 27 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen. Die Zahlen stammen aus den 2023 erhobenen Daten der »Culture Health & Wellbeing Alliance«, einem landesweiten Netzwerk kreativer Gesundheitsinitiativen.

Von Montreal bis Belgien und Frankreich

Auf Großbritannien folgte Kanada. Seit 2018 verschreiben Ärztinnen und Ärzte in Montreal Besuche im Museum of Fine Arts (MMFA). Pro Jahr kann jede Ärztin und jeder Arzt bis zu 50 Rezepte ausstellen, die von der Krankenkasse übernommen werden. Studien des dortigen AgeTeQ-Labors belegten: Wer auf Rezept kommt, zeigt messbar höhere Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden. Das Konzept fand schnell weitere Anhänger.

In Brüssel begann 2021 ein ähnliches Programm: Gestartet mit fünf Museen und 33 Medizinerinnen und Medizinern, sind heute mehr als zehn Museen und 18 medizinische Einrichtungen beteiligt. Den Eintritt in die Brüsseler Museen übernimmt die Stadt. In Frankreich wird die Idee landesweit umgesetzt – von Rennes in der Bretagne bis an die Côte d'Azur. In Nizza erlaubt ein »L'art c'est la santé«-Rezept (»Kunst ist Gesundheit«) auch den Besuch des renommierten Matisse-Museums. Parallel erforschen im ganzen Land zahlreiche Forschungsprojekte, welchen Einfluss Kunstbesuche auf das Wohlbefinden haben.

Kultur als Sport des 21. Jahrhunderts?

Kunsthistorikerin Nathalie Bondil, Ex-Direktorin des Museum of Fine Arts (MMFA) und heute Leiterin des Institut du Monde Arabe in Paris, ist überzeugt: Kultur wird im 21. Jahrhundert für unsere Gesundheit das, was Sport im 20. Jahrhundert war. Im Radiosender »France Info« erklärte sie: »Der Mensch ist biologisch darauf ausgelegt, von Schönheit berührt zu werden und dadurch Wohlbefinden zu empfinden.« In Montreal setzte Bondil die Idee 2018 schließlich praktisch um.

Den Erfolg solcher Museumsbesuche beschreibt Catherine Hanak, leitende Psychiaterin an der Uniklinik Brugmann in Brüssel anschaulich in der Wochenzeitung »Le Nouvel Obs«: »Wenn wir etwas Angenehmes tun, reagiert unser Gehirn wie bei einem kleinen Feuerwerk – Dopamin wird freigesetzt, und wir fühlen uns sofort wohl. Das passiert beim Sport, bei einem Spaziergang im Wald – und genauso, wenn uns ein Kunstwerk berührt.«

Deutschland: Forschung, aber kein offizielles Ticket

Auch in Deutschland zeigt die Forschung, dass Museumsbesuche Depressionen, Demenz und Einsamkeit lindern können – und das oft wirksamer und günstiger als Medikamente. Ein Bericht der TU Dresden empfahl daher, die Besuche in die Regelversorgung aufzunehmen. Darin heißt es: »Eine Jahreskarte fürs Museum wirkt offenbar deutlich wirksamer als Medikamente – besonders bei der Linderung depressiver Symptome von Menschen mit Demenz.«

Gemeinsam mit der Charité erprobt das Bode-Museum das Projekt »Das heilende Museum«. Es will die Achtsamkeit vor Kunstwerken erzielen. Dafür steht ein eigens dafür hergerichteter Raum zur Verfügung, in dem verschiedene Meditationstraditionen präsentiert werden. Wer teilnehmen möchte, kann die Übungen per Audioguide, Smartphone oder Website abrufen; dabei fallen Museumseintritt und ein Teilnehmerbeitrag an.

Von Kunsttherapie zur Museumstherapie

Schon 2019 wertete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über 3.000 Studien aus – mit klarem Ergebnis: Kunst- und Kulturangebote stärken die psychische und physische Gesundheit – sie helfen, Leiden zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern. Darauf basiert die Museumstherapie. Anders als die bekanntere Kunsttherapie erfordert sie kein künstlerisches Talent – nur die Bereitschaft, Kunst bewusst zu erleben, etwa nach dem Slow-Art-Prinzip, bei dem man sich Zeit für einzelne Werke nimmt. Neu ist die Erkenntnis: Schon die reine Begegnung mit Kunst kann heilsam sein – ganz ohne eigenes kreatives Schaffen.

Wachsende Debatte, aber offene Fragen

Seit 2014 nehmen die Initiativen Fahrt auf, und die Museumstherapie erlebt laut Forscherin Leslie Labbé ihren Moment des Aufbruchs. Doch so verlockend die Idee klingt, bleibt eine Hürde: Im Gespräch mit »France Culture« räumte Labbé ein, dass der medizinische Nutzen noch nicht abschließend wissenschaftlich belegt ist. Trotzdem machte sie deutlich, warum Museumsbesuche so wertvoll sein können: »Wer eine Krankheit behandelt, therapiert nicht nur die Symptome, sondern begleitet den Menschen als Ganzes – und dazu bietet ein Museum unzählige Ansatzpunkte, die sich therapeutisch nutzen lassen.«

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