Muntermacher, Motivator und Dünger |
Ein Luftsprung für die Gesundheit: Wer sportlich aktiv ist, stärkt seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. / Foto: Adobe Stock/ detailblick-foto
Kaum etwas wirkt sich so positiv auf den Körper aus wie Sport. Durch Bewegung wird Muskelmasse aufgebaut, eine Reihe von Proteinen und Wachstumsfaktoren freigesetzt, das Herz-Kreislauf-System gestärkt, der Stoffwechsel positiv beeinflusst, es werden Gelenke und Knochen stabilisiert sowie Abwehrkräfte erworben. Dass Muskeltraining aber sowohl unmittelbar auf biochemische Vorgänge im Gehirn einwirkt und längerfristig die Leistung des Denkorgans zu stimulieren vermag, ist in der Medizin eine relativ junge Erkenntnis.
»Bewegung spielt für das Gedächtnis eine bedeutende Rolle. Sie hält das Gehirn fit«, sagt Professor Dr. Stefan Schneider, der sich seit Jahren mit der Wechselbeziehung von körperlicher Aktivität und mentalen Fähigkeiten auseinandersetzt. Immer mehr Studien zeigen, dass Bewegung gar das Eintrittsalter in eine demenzielle Erkrankung hinauszögern und auch deren Verlauf positiv beeinflussen kann. So auch das internationale »Denksport«-Verbundprojekt, das Schneider als Koordinator von der Deutschen Sporthochschule in Köln betreut. Die Studie startete 2015 mit zuvor nicht aktiven Menschen über 65 Jahre und leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Das Projekt wurde unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der EU gefördert. Seit 2019 führt das Team um Schneider das Forschungsprojekt in Eigenregie weiter.
Die Trainingseinheiten umfassten etwa Aquajogging, Laufsport oder Workouts in der Turnhalle, um Koordination, Kraft und Ausdauer zu schulen. Nach etwa sechs Monaten begann die sportliche Betätigung nachweisbar Früchte zu tragen. »Bei einem Großteil der Probanden sahen wir nach sechs bis zwölf Monaten die Effekte des Sports. Diejenigen Teilnehmer, die sich mindestens zweimal pro Woche für etwa je eine Stunde betätigt hatten, hatten signifikant bessere kognitive Leistungen in entsprechenden Tests erbracht als ohne. Durch den Sport haben die Teilnehmer ihren Lebensstil verändert und damit ihre körperliche und geistige Fitness verbessert.« So hatten die Aufmerksamkeit, die Konzentrations- und die Reaktionsfähigkeit zugenommen, genauso wie die Gedächtnisleistung.
Schneider weist darauf hin, dass dafür nicht die Intensität entscheidend gewesen ist, sondern die Häufigkeit und die Regelmäßigkeit, mit der die Bewegung betrieben wurde. »Wir richten uns dabei nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die davon spricht, dass man sich zwei- bis dreimal pro Woche 45 bis 60 Minuten intensiver körperlich betätigen sollte.«
Wie ist es zu erklären, dass Walking, Schwimmen, Ballsport oder Krafttraining die Leistungen des Gehirns verbessern können? Und: Was kann Bewegung mehr leisten als Kreuzworträtsel lösen? »Ein ganz wichtiger Aspekt: Sport steigert die körperliche Fitness. Diese im Alter zu erhalten, ist letzten Endes die Grundlage für gesellschaftliche Partizipation.« Der Sportwissenschaftler und Theologe sieht in regelmäßiger Bewegung also den Schlüssel für die Teilnahme am sozialen Leben. »Im Alter ist es wichtig, körperlich fit zu sein, um gesellschaftlich zu partizipieren. Sie können nur noch selbst einkaufen gehen, wenn sie körperlich fit sind. Sie können nur auf Reisen gehen, neue Erlebnisse und Eindrücke gewinnen, wenn sie körperlich fit sind. Sie können mit ihren Enkelkindern nur dann spielen, wenn sie körperlich fit sind. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedingt wiederum, dass wir uns mit unserer Umwelt auseinandersetzen müssen.«
Wichtig für die Schaltzentrale in unserem Schädel ist, sich ständig mit neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Das Leben bietet dazu einen multisensorischen Input. Schneider gibt ein Beispiel: »Wenn man einkaufen geht, braucht man Navigationsfähigkeiten, um überhaupt dorthin zu kommen. Um im Supermarkt einkaufen zu können, muss man sich erinnern, was man überhaupt einkaufen wollte: Butter, Milch oder Toastbrot. Dann braucht man sein Langzeitgedächtnis, in welchem Regal überhaupt Butter, Milch und Toastbrot standen. Hier ist das Gehirn gefordert zu arbeiten, sich mit Problematiken auseinanderzusetzen, die exekutiven Funktionen zu benutzen. Das ist für den Erhalt von Biomasse, in dem Fall von Nervenzellen ganz wichtig.«
So wie der Muskel einen Trainingsreiz benötigt, um seine Funktion optimal ausführen zu können, benötigt auch das Gehirn ständigen Input, um lange agil und leistungsfähig zu bleiben. Und den bietet am besten die gesellschaftliche Partizipation. »Sozialer Rückzug ist ein bedeutender Risikofaktor für Demenz-Erkrankungen, weil durch fehlenden Austausch mit anderen Menschen das Gehirn weniger gefordert wird und weniger Reizen ausgesetzt ist - was den geistigen Abbau begünstigt. Und hier kommt Sport quasi über die Hintertür herein: Wer sportlich aktiv ist, steigert seine körperliche Leistungsfähigkeit«, erklärt Schneider die Zusammenhänge. Das sei auch der Grund dafür, warum Bewegung im Vergleich zum Kreuzworträtsel punktet. »Beim Kreuzworträtsel ist es so, dass wir Informationen abrufen, die vielleicht gar nicht da sind, weil wir nach den Worten suchen.«
Dabei ist es nicht entscheidend, dass durch Sport die Durchblutung angeregt wird. »Das hat keine funktionale Bedeutung. Die Durchblutung wird auch angeregt, wenn sie in Kopfstand oder in die Sauna gehen,“ erläutert Schneider. »Wir wissen inzwischen, dass Sport das Gehirn fit hält. Ausgelöst durch die Muskelkraft kommt es im Hirn zu einer Freisetzung von neurotrophen Proteinen wie dem BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor und IGF 1 (Insulin-like Growth Factor). Diese wirken auf das Gehirn wie Dünger.« Vor allem die Aufmerksamkeit, die Konzentration und die Gedächtnisleistung profitieren.
Diese seien aber erstmal überhaupt nicht wirksam. Schneider veranschaulicht mit folgendem Vergleich: »Man stelle sich vor: Auf einem Feld nur Dünger aufzubringen, ist nutzlos, wenn nicht auch Saat aufgetragen wird. Übertragen auf das Hirn und den Dünger in Form der neurotrophen Proteine bedeutet das: Wir brauchen Trainingsreize, damit es zu einer Synaptogenese kommt, dass sich also Nervenzellen neu miteinander verknüpfen, und die Neuroplastizität zunimmt.« Trainingsreize lassen also jene Region im Hirn wachsen, die zuständig für das Gedächtnis ist, der Hippocampus. »Diese Entstehung der nervalen Neuverbindungen wird durch die neurotrophen Proteine befeuert -aber eben nur dann, wenn es einen Trainingsreiz gibt, und der ist gerade für die kognitiven Funktionen die Auseinandersetzung mit der realen Umwelt.«
Rächt es sich, wenn man erst in der Lebensmitte oder gar erst im Seniorenalter mit der sportlichen Aktivität beginnt? Angepasst an das Alter und die individuelle Gesundheitssituation könne jeder von körperlicher Aktivität profitieren. »Natürlich ist es besser, frühzeitig zu beginnen und regelmäßig aktiv zu sein. Doch auch bei älteren Menschen kann Bewegung die kognitive Leistungsfähigkeit positiv beeinflussen. Bei Bewegung kommt es zur Freisetzung von neurotrophen Proteinen. Das ist relativ simpel.«
Der Experte bringt neben der neurophysiologischen auch die psychische Ebene mit ins Spiel. »Vor allem in höherem Alter ist es immer auch eine Frage der Motivation. Wie bringt man den Menschen zur Bewegung? Dafür ist die individuelle Bewegungshistorie wichtig: Was hat man schon als Kind gelernt und gerne gemacht beziehungsweise versäumt? Deshalb ist es so wichtig, schon früh mit den Kindern zu beginnen und ihnen eine umfassende Bewegungsausbildung zukommen zu lassen. Gewissermaßen als Invest in die Zukunft. Im Alter erinnert man sich dann daran, was man als Kind gerne gemacht hat und kann daran anschließen. Und das bringt letzten Endes auch Spaß am Sport – das ist der zentrale Punkt, um dranzubleiben.« Ob es Ausdauersport ist oder Krafttraining spiele nur eine untergeordnete Rolle. Sport in der Gruppe ist ein guter Motivator, langfristig am Ball zu bleiben.
Ein Skelettmuskel setzt sich aus Faserbündeln zusammen, die wiederum etliche Muskelfasern umfassen. Diese Stränge enthalten die nur tausendstelmillimeterdicken Myofibrillen. Diese wiederum bestehen aus einer Vielzahl an Sarkomeren. In diesen kleinsten kontraktilen Einheiten des Muskels befinden sich zahllos aneinandergereihte Pakete von winzigen Molekülfäden, die Myosin- und die Aktinfilamente. Sie sind die eigentlichen Krafterzeuger: Auf ein Nervensignal hin schieben sich die Filamente aufgrund komplexer biochemischer Prozesse, bei denen Calcium eine Schlüsselrolle einnimmt, teleskopartig ineinander und verkürzen die Fibrille. Geschieht dies gleichzeitig in abertausenden Einheiten, verkürzt sich auch der ganze Muskel. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Daneben spielt Sport für die Stressregulation eine entscheidende Rolle. »Für uns Menschen bedeutet Bewegung immer auch die Kompensation von Stress. Die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen soll uns ja eigentlich helfen, vor dem Säbelzahntiger zu fliehen oder das Mammut zu erlegen. Das gehört zu Jahrmillionen lang antrainierten Reaktionen des Körpers. Nur erfolgt heute in einer von Bewegungsarmut geprägten Welt keine Kompensation mehr. Sport wirkt dagegen wie ein Ventil, Stress abzubauen.«
Schneider weiß, wovon er spricht. Ist er doch schon seit Jahren eingebunden in die Betreuung von Menschen, die unter extremen Bedingungen leben wie etwa Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS. Seine Untersuchungen konnten zeigen, dass ein regelmäßiges, individualisiertes Sport- und Bewegungsprogramm während einer Weltraumexpedition nicht nur physisch einen Nutzen bringt, sondern den Weltraumforschern vor allem mental hilft, die Langzeitisolation zu bewältigen.
Mittlerweile wissen Neurowissenschaftler, dass zu viel Stress mit einer zunehmenden Aktivierung des präfrontalen Cortex verbunden ist. Also jener Ort im Gehirn, wo Pläne geschmiedet, Entscheidungen getroffen, Reize verarbeitet und emotional bewertet werden, also dort, wo exekutive Funktionen gesteuert werden. Schneider: »Umgangssprachlich könnte man sagen: Der Kopf ist voll, wir können nicht mehr Informationen bearbeiten. Unser Gehirn kann nicht sämtliche Teile zur gleichen Zeit intensiv am Laufen haben.« Durch Sport komme es nun zu einer Verschiebung kortikaler Aktivität: Während sie im motorischen Cortex hochgefahren wird, könne der präfrontale Cortex zur Ruhe kommen. »Dieses auch transiente Hypofrontalität genannte Phänomen ist das neurophysiologische Äquivalent zur Beschreibung vieler Sportler, beim Laufen den Kopf richtig freibekommen zu haben«, erklärt Schneider.
»Der eigentliche Benefit der Bewegung liegt vielleicht darin, dass wir das Gehirn mal abschalten können. Bewegung an sich macht ja eigentlich keinen Sinn. Aber gerade in dieser Sinnlosigkeit, in einer Zeit, in der eigentlich alles sinnvoll sein muss, liegt ein großer Wert.«