| Theo Dingermann |
| 19.04.2023 09:00 Uhr |
Die Mückenart Aedes aegypti kann der Überträger von mehreren Viren sein, darunter Dengueviren. / Foto: Adobe Stock/Tacio Philip
Mücken sind nicht nur klein und lästig, sondern bekanntermaßen auch gefährlich. So gilt die Stechmücke als das tödlichste Tier der Welt. Schätzungen zufolge sterben jährlich zwischen 750.000 und einer Million Menschen an Krankheiten, die von Stechmücken übertragen werden.
Wie das Fachjournal »Nature« auf seiner Nachrichtenseite berichtet, hat die Non-Profit-Organisation World Mosquito Program (WMP) nun angekündigt, in den nächsten zehn Jahren in vielen städtischen Gebieten Brasiliens modifizierte Mücken freizusetzen. Diese sind mit einem Wolbachia-Bakterium infiziert, wodurch sie kaum Viren übertragen können.
Das Bakterium Wolbachia pipientis infiziert natürlicherweise etwa die Hälfte aller Insektenarten, nicht aber Mücken der Gattung Aedes aegypti, die Dengue-, Zika-, Chikungunya- und andere Viren übertragen können. Dem australischen Biologen Professor Dr. Scott O’Neill gelang es jedoch nach Tausenden von Versuchen, mit Wolbachia infizierte Mücken zu züchten. In diesen Insekten vermehren sich Dengueviren praktisch nicht. Diese Eigenschaft können wenige Wolbachia-Mücken innerhalb weniger Monate in einer ganzen Population verbreiten.
Das Prinzip wurde bereits mehrfach in ausgewählten Städten in Ländern wie Australien, Brasilien, Kolumbien, Indonesien und Vietnam erprobt. Mehrere Studien belegen den Erfolg solcher Freisetzungsexperimente. Am umfassendsten wurde der Ansatz in einer randomisierten kontrollierten Studie in Yogyakarta, Indonesien, getestet. Das Ergebnis dieser Studie war, dass die Technologie das Auftreten von Denguefieber um 77 Prozent reduzieren konnte.
Doch nicht alle Versuche waren so erfolgreich. In Brasilien, wo die modifizierten Mücken bisher in fünf Städten getestet wurden, waren die Ergebnisse bescheidener. In der Stadt Niterói wurde ein Rückgang der Denguefälle um 69 Prozent beobachtet, in Rio de Janeiro betrug der Rückgang 38 Prozent. Eine weitere große randomisierte kontrollierte Studie wird derzeit in Belo Horizonte durchgeführt, um das Auftreten von Denguefieber in Gebieten, in denen sich Wolbachia-infizierte Mücken ausbreiten, mit dem in anderen Gebieten zu vergleichen.
Zum ersten Mal wird die Technologie nun flächendeckend in einem Land eingesetzt. In Zusammenarbeit mit der Oswaldo Cruz Foundation (Fiocruz), einer öffentlichen brasilianischen Wissenschaftseinrichtung in Rio de Janeiro, wird eine Mückenfabrik in Brasilien gebaut, um die ehrgeizige WMP-Initiative mit modifizierten Mücken zu versorgen. Die Anlage soll 2024 in Betrieb gehen und bis zu fünf Milliarden Tiere pro Jahr produzieren. Die Mücken werden dann mit Drohnen, Motorrädern und Autos im ganzen Land verteilt.
»Es wird die größte Anlage der Welt sein«, um mit Wolbachia infizierte Mücken zu produzieren«, sagte O’Neill, der das WMP leitet, gegenüberdem Fachjournal »Nature«. Damit könnten mehr Menschen pro Zeiteinheit geschützt werden als in jedem anderen Land. Tatsächlich hat Brasilien eine der höchsten Denguefieber-Infektionsraten der Welt; 2022 gab es mehr als zwei Millionen Fälle.
Mit Wolbachia infizierte Stechmücken sind in Brasilien bereits zugelassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diese Technologie jedoch noch nicht zugelassen. Zwar hat die Vector Control Advisory Group der WHO die modifizierten Tiere begutachtet. Mit einer Entscheidung ist aber frühestens beim nächsten Treffen der Gruppe Ende dieses Monats zu rechnen. Erst dann wäre ein solcher Freisetzungsversuch auch in anderen Endemiegebieten möglich.
Dr. Luciano Moreira, leitender Wissenschaftler bei Fiocruz und WMP-Mitarbeiter in Brasilien, mahnt gegenüber »Nature«, trotz der bisherigen Erfolge nicht von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der Entwicklung von Impfstoffen gegen Denguefieber abzulassen. »Die Wolbachia-Methode ist komplementär, und wir sollten mit integrierten Methoden arbeiten, um Dengue, Zika und Chikungunya zu kontrollieren. Die Wolbachia-Methode ist keine Wunderwaffe.«