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Bis 2030

mRNA-Impfstoffe zur Krebstherapie

Auf therapeutischen mRNA-Impfstoffen gegen Krebs ruhen große Hoffnungen. Bis 2030 könnten sie verfügbar werden. Die Hersteller sind zuversichtlich.
Christina Hohmann-Jeddi
03.01.2024  09:00 Uhr

Wenn Tumoren entstehen, haben es einzelne entartete Körperzellen offensichtlich geschafft, dem Immunsystem zu entgehen. Dieses beseitigt nämlich nicht nur Krankheitserreger, sondern normalerweise auch mutierte, also »fremde« Körperzellen. Bei der Behandlung einer Krebserkrankung wäre es daher sinnvoll, das Immunsystem auf diese getarnten Tumorzellen anzusetzen. Nach diesem Prinzip funktionieren die Immun-Checkpoint-Inhibitoren und CAR-T-Zell-Therapien, die sich in den letzten Jahren etabliert haben und die das Immunsystem dazu bringen, Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen.

Eine weitere Möglichkeit für Krebsimmuntherapien sind therapeutische Krebsimpfstoffe, an denen seit Langem geforscht wird. Diese sollten für den Tumor typische Antigene enthalten, die dann vor allem zytotoxische T-Zellen für die malignen Zellen sensibilisieren. Ein Problem: Es gibt eine große Zahl von tumorspezifischen und -assoziierten Antigenen, die patientenindividuell in verschiedenen Kombinationen vorkommen.

An welchen Ansätzen wird geforscht?

Der klassische Ansatz sind Impfstoffe, die Proteine als Impfantigene enthalten. Eine weitere Möglichkeit ist, Antigen-präsentierende Zellen wie dendritische Zellen ex vivo mit tumorspezifischen Antigenen zu beladen. In den Körper zurückinfundiert präsentieren die Zellen dann die Antigene den Immunzellen, um eine Immunantwort auszulösen.

Einen weiteren Ansatz für Krebsimpfstoffe bietet die mRNA-Technologie, auf die seit der erfolgreichen Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe große Aufmerksamkeit gerichtet ist. Zahlreiche klinische Studien mit Kandidaten zu verschiedenen Tumorarten laufen bereits. Ganz vorne dran sind der Hersteller der mRNA-Coronaimpfstoffe, Biontech, aus Mainz und das US-Unternehmen Moderna aus Cambridge.

Noch in dieser Dekade sollen individualisierte Krebsimpfstoffe auf mRNA-Basis verfügbar sein, prophezeite Ugur Sahin, Geschäftsführer und Mitbegründer von Biontech, Ende November in der Zeitung »Bild«: »Wir erwarten, dass unsere ersten mRNA-basierten Krebsimpfstoffe noch vor 2030 zugelassen werden.«

Vorteile der mRNA-Technologie

mRNA-Impfstoffe weisen gegenüber herkömmlichen Impfstoffen zahlreiche Vorteile auf. So nutzen sie die Körperzellen als Produktionsorte der Impfantigene. Dadurch entfällt die langwierige Antigenproduktion in Bioreaktoren. Das erlaubt eine rasche und flexible Herstellung.

Die Vakzinen sind zudem sehr immunogen und lösen starke humorale und zelluläre Immunantworten aus; sie sind relativ sicher und verträglich. Weil anhand einer DNA-Vorlage jede gewünschte mRNA hergestellt werden kann, können mit dieser Technologie schnell personalisierte Impfstoffe produziert werden. Das birgt eine ganz neue Option: Jeder Patient bekommt »seinen« extra für ihn produzierten Impfstoff – abgestimmt auf das Mutationsmuster seines Tumors und unabhängig von der Lokalisation des Tumors im Körper.

Einen Überblick über die aktuelle Forschung an mRNA-basierten therapeutischen Krebsimpfstoffen gaben Bolin Wang und Kollegen von der Chinesischen Akademie für Medizinwissenschaften in Jinan im September 2023 im Fachjournal »Frontiers in Immunology« (DOI: 10.3389/fimmu.2023.1246682).

Die in therapeutischen mRNA-Krebsimpfstoffen enthaltene mRNA kodiere entweder für tumorspezifische Antigene (TSA), die nur in Tumoren vorkommen, oder tumorassoziierte Antigene (TAA), die auch auf gesunden Zellen vorkommen können, aber in Tumorzellen verstärkt exprimiert werden, oder für immunmodulatorische Faktoren wie Zytokine. Letztere können auch als eine Art Adjuvans in den neuartigen Impfstoffen enthalten sein, heißt es in dem Übersichtsartikel.

Impfstoffe mit TSA-kodierender mRNA

Insgesamt acht Kandidaten mit TSA-kodierender mRNA befinden sich in klinischen Studien, darunter zwei von Biontech und zwei von Moderna.

Am weitesten in der Entwicklung ist mRNA-4157 von Moderna, ein personalisierter mRNA-Impfstoff, der für bis zu 34 patientenindividuelle Antigene kodiert. Er wird zurzeit in Phase III bei Patienten mit Hochrisiko-Melanom untersucht. Erst vor Kurzem gab der Hersteller Drei-Jahres-Daten aus der Studie bekannt. Der Impfstoff mRNA-4157 (V940) reduziert in Kombination mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab das Risiko für ein Rezidiv oder Tod um 49 Prozent im Vergleich zu Pembrolizumab allein sowie das Risiko für Metastasen oder Tod um 62 Prozent, verkündeten Moderna und sein Partner MSD am 14. Dezember. Die finalen Ergebnisse werden für 2029 erwartet.

Moderna und MSD haben auch eine Phase-III-Studie mit dieser Kombination bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs gestartet und planen, weitere Indikationen zu untersuchen.

Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt Biontech mit seinem Kandidaten BNT122 (Autogene Cevumeran), der ebenfalls in Kombination mit einem Immun-Checkpoint-Inhibitor (Atezolizumab) bei verschiedenen Indikationen getestet wird. Zu fortgeschrittenem Melanom, Darmkrebs und Adenokarzinom der Bauchspeicheldrüse laufen bereits Phase-II-Studien. BNT122 enthält unmodifizierte, pharmakologisch optimierte mRNA, die für bis zu 20 patientenspezifische Neoantigene kodiert, die durch Echtzeit-Sequenzierung der Tumor-DNA und bioinformatische Neoantigen-Erkennung identifiziert wurden. Das Ziel ist laut Biontech, innerhalb von nur vier Wochen ab Erhalt der Blut- und Tumorprobe des Patienten einen individualisierten Impfstoff bereitstellen zu können.

Die TSA-kodierenden mRNA-Impfstoffe haben laut Wang und Kollegen zum Teil ihre Wirksamkeit schon nachgewiesen, aber noch einige Hürden zu nehmen, vor allem in Hinsicht auf Produktionsgeschwindigkeit und -kosten.

Impfstoffe mit TAA-kodierender mRNA

Impfstoffkandidaten, die für tumorassoziierte Antigene (TAA) kodierende mRNA enthalten, werden dem Übersichtsartikel zufolge inzwischen in 15 klinischen Studien geprüft. Biontech hat vier Kandidaten in der Entwicklung, davon drei in Phase II. So enthält BNT111 zum Beispiel mRNA, die für vier Melanom-assoziierte Antigene kodiert, und BNT112 mRNA für eine feste Kombination von fünf Prostatakrebs-assoziierten Antigenen. In beiden Fällen sind die mRNA-Moleküle in Liposomen verpackt und werden intravenös verabreicht.

Moderna hat mit mRNA-5671 einen tetravalenten Impfstoff entwickelt, der auf vier der häufigsten KRAS-Mutationen abzielt. KRAS spielt eine wichtige Rolle in der Regulation von Zellteilung und Differenzierung und ist in vielen Tumorarten verändert. Präklinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Immunisierung mit einer KRAS-Vakzine die CD8+-T-Zell-Reaktion auf KRAS-Antigene erheblich verbessert.

Zu mRNA-Impfstoffen, die für immunmodulatorische Faktoren kodieren, laufen laut Übersicht sieben klinische Studien. So hat Moderna zum Beispiel den Kandidaten mRNA-2752 in der Entwicklung, der für Interleukin-23, Interleukin-36γ  und OX40L kodiert, einen Liganden des Rezeptors OX40 auf Antigen-präsentierenden Zellen, der die Zytokinproduktion von T-Zellen mitreguliert. Der Impfstoff wird intratumoral appliziert und zusammen mit dem Immuntherapeutikum Durvalumab bei verschiedenen soliden Tumoren untersucht. Biontech hat mit BNT151, -152 und -153 ebenfalls drei Kandidaten in der klinischen Untersuchung, die jeweils für Interleukine kodieren. Auch Sanofi und Curevac arbeiten an ähnlichen Ansätzen.

Wie werden mRNA-Impfstoffe appliziert?

»Insgesamt stellen die mRNA-Krebsimpfstoffe einen vielversprechenden neuen Ansatz für Krebstherapien dar, der sowohl Chancen als auch Herausforderungen hat«, schließen die Autoren um Wang. Durch die flexible und rasche Produktion könne die Technologie hochgradig personalisiert und spezifisch eingesetzt werden und biete somit ein enormes Potenzial für die Präzisionsmedizin.

Herausforderungen stellten unter anderem die Heterogenität der Tumoren und die Identifizierung des bestmöglichen Applikationswegs der mRNA-Impfstoffe dar. Zurzeit würden sowohl die intramuskuläre, intranasale, intravenöse als auch die intradermale und intratumorale Applikation untersucht. Denn auch diese Frage ist essenziell und zu lösen, bevor mRNA-Impfstoffe zum Gamechanger in der Krebstherapie werden können.

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