Morgen beginnt der »Demovember« – Thüringen startet |
Melanie Höhn |
31.10.2023 13:00 Uhr |
Bereits am bundesweiten Protesttag am 14. Juni protestierten die Thüringer Pharmazeuten in der Erfurter Innenstadt und klärten die Bürger über die Lage der Apotheken auf. / Foto: PZ/Christina Hohmann-Jeddi
In immer mehr Thüringer Ortschaften und Stadtteilen verschwindet das vertraute rote Apotheken-A, kritisiert die Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT) in einer Mitteilung kurz vor der morgigen Demonstration der Thüringer Apothekerschaft gemeinsam mit anderen Heilberufen in Erfurt. Die Entwicklung der letzten Jahre habe sich im Jahr 2023 noch einmal dramatisch beschleunigt. Schon jetzt seien es 11 Apotheken, die für eine sichere und flächendeckende Arzneimittelversorgung im Freistaat verlorengegangen sind.
»Und weitere Schließungen sind angekündigt«, moniert die LAKT und ruft die politisch Verantwortlichen im Freistaat Thüringen dazu auf, den Trend endlich zu stoppen und die wohnortnahe Arzneimittelversorgung zu stabilisieren. »Handeln Sie und setzen Sie sich für eine Stärkung der Pharmazie an der Universität Jena sowie die nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems ein«, fordert Danny Neidel, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Thüringen.
In dem Freistaat habe sich der Rückgang der Apothekenzahl seit der Honorarkürzung durch den höheren Kassenabschlag noch einmal beschleunigt. Schon heute stehe fest, dass es dieses Jahr zur bisher größten Schließungswelle in der Geschichte des Thüringer Apothekenwesens kommen wird. In diesem Jahr werde die Zahl der Apotheken im Freistaat im 13. Jahr in Folge sinken, so Neidel. Seit Jahresbeginn sei die Zahl der Betriebsstätten in Thüringen bereits von 507 auf 496 gefallen. Weitere Apothekenschließungen seien für die nächsten Monate bereits angekündigt. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 gab es in Thüringen noch 583 Apotheken.
Da der Anteil der über 65-Jährigen in der Zwischenzeit deutlich gewachsen ist und immer weiter ansteigt, wirken sich die Schließungen der Apotheken auf diese Altersgruppe laut LAKT sehr viel stärker aus. Für immer mehr Thüringerinnen und Thüringer stehen immer weniger Apotheken zur Verfügung, die diese Aufgabe übernehmen können. »Das heißt, für jede einzelne Patientin und jeden einzelnen Patienten steht immer weniger Zeit zur Verfügung. Weniger Zeit für Beratung und Information. Weniger Zeit für das Gespräch zu den im Alter immer wichtiger werdenden Fragen zur eigenen Gesundheit. Weniger Zeit für den Menschen und damit weniger Nähe. Ein spürbarer Verlust von Lebensqualität«, sagt Apotheker Neidel.
Zudem sei die Lage in vielen Apotheken ernster als je zuvor: Nach Angaben der Treuhandgesellschaft Hannover ist bereits ein Drittel der noch bestehenden Apotheken in ihrer Existenz gefährdet. Vor diesem Hintergrund sei die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger oft sehr schwierig, von denen es ohnehin zu wenige gebe, so Neidel.
»Gerade die kurzfristige Kürzung des Apothekenhonorars zum Stopfen der Löcher in den GKV-Haushalten hat vor Augen geführt, welches finanzielle Risiko man eingeht, wenn man den Schritt in die Selbstständigkeit wagt«, erklärt der Kammergeschäftsführer das Dilemma. »Es geht um die Sicherheit und das Vertrauen in eine verlässliche Politik, welche die selbstständige Apotheke als unverzichtbaren Teil der lokalen Infrastruktur und der wohnortnahe Gesundheitsversorgung stabilisieren«, so Neidel abschließend.
Auch in Rheinland-Pfalz steht die Apothekerschaft schon in den Startlöchern. Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung bleiben in diesem Bundesland am 15. November 2023 die meisten Apotheken ganztags geschlossen. Eine Abfrage des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz (LAV RP) hat bereits eine hohe Protestbereitschaft gezeigt. Zudem werden laut einer Mitteilung des Verbands mehrere Hundert pharmazeutische Fachkräfte aus den Apothekenteams an der zentralen Protest-Kundgebung der Apotheken in Dortmund teilnehmen. Dort protestieren die Apothekenteams aus NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland gemeinsam. Die Notdienst-Apotheken sichern die Versorgung mit Arzneimitteln an diesem Tag.
»Es geht nicht nur um unsere Interessen – wir demonstrieren auch für unsere Patientinnen und Patienten«, erklärt Apothekerin Petra Engel-Djabarian, Pressesprecherin des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz. Eine wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln in gewohnter Qualität gelinge nur, wenn es wieder attraktiv wird, eine Apotheke zu gründen oder zu übernehmen. Die Zahl der Apotheken in Rheinland-Pfalz ist in den zurückliegenden 10 Jahren von 1.084 Apotheken im Jahr 2012 auf derzeit nur noch 865 Apotheken gesunken. Das Apothekensterben werde sich in den nächsten Jahren noch beschleunigen, da gut ein Drittel (34 Prozent) der Apothekeninhaberinnen und -Inhaber in Rheinland-Pfalz älter als 60 Jahre ist.
Gründe für das ungebremste Apothekensterben sind aus Sicht des Apothekerverbandes unfaire gesetzliche Rahmenbedingungen, der Nachwuchsmangel und überbordende Bürokratie. »Seit Jahren weisen wir auf die brisante Lage hin. Die Apothekerinnen und Apotheker bemühen sich jeden Tag, die Arzneimittelversorgung trotz widriger Umstände aufrechtzuerhalten«, sagt Andreas Hott, 1. Vorsitzender des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz. In den Gesetzesvorhaben würden die Probleme der öffentlichen Apotheken so gut wie keine Berücksichtigung finden.
Diese Missachtung durch die Politik führe zu einer Destabilisierung der Arzneimittelversorgung in Deutschland. »Immer weniger Apotheken, eine von Engpässen geprägte Patientenversorgung, zehn Jahre Honorar-Stillstand bei den Apotheken und bisher keine Einsicht der Bundesregierung – so kann und darf es nicht weitergehen!« – dies ist laut Hott die Botschaft. Bereits am 14. Juni hatten sich fast alle Apotheken in Rheinland-Pfalz an einem bundesweiten Apotheken-Protesttag beteiligt und die Apotheken geschlossen gehalten.
Kaum ein anderer Berufszweig ist laut Hott auf faire gesetzliche Rahmenbedingungen so angewiesen wie die Apotheken, denn diese können ihre höheren Kosten nicht einfach auf die Verkaufspreise umlegen. Die Arzneimittelpreise und das Apothekenhonorar seien durch die Arzneimittel-Preisverordnung staatlich festgelegt. Die Honorierung der Apotheken orientiere sich weitestgehend nicht am Umsatz, sondern an der Anzahl der abgegebenen Packungen, für die der Gesetzgeber ein Fixum (seit 2013: 8,35 Euro) festlegt. Dieses Fixum habe der Gesetzgeber seit über zehn Jahren nicht angepasst. Damit seien Apotheken von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. Überdies habe der Gesetzgeber in diesem Jahr das Apothekenhonorar zugunsten der gesetzlichen Kassen sogar befristet um 23 Cent je Packung gekürzt. Die von Karl Lauterbach veröffentlichten Apothekenreformpläne und die beabsichtigte Erleichterung für Filialgründungen (ohne Apotheker, ohne Labor, ohne Nacht- und Notdienst) setzt laut Hott »die Axt an die wirtschaftliche Auskömmlichkeit der Haupt-Apotheken, denen durch derartige Abgabestellen weiter Absatz und Wirtschaftskraft entzogen würde«. Diese Pläne würden zu einer Zwei-Klassen-Versorgung führen.