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Neue Arzneistoffe
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Mögliche Innovationen in 2024

Mengenmäßig kamen im Jahr 2023 deutlich weniger neue Arzneistoffe auf den deutschen Markt als in den Vorjahren. Allerdings gibt es eine Reihe neuer Wirkstoffe, die die EU-Zulassung bereits in der Tasche haben, kurz davorstehen oder deren Zulassungsantrag zumindest gestellt ist. Eine Auswahl.
AutorKontaktSven Siebenand
Datum 29.12.2023  16:30 Uhr

Zu den Substanzen, die von der EU-Kommission bereits zugelassen sind, zählen zwei neue Migränemittel. Nachdem 2023 mit Lasmiditan (Rayvow®, Lilly Pharma) der erste Vertreter aus der neuen Klasse der Ditane auf den deutschen Markt kam, könnten 2024 zwei erste Substanzen aus der Gruppe der Gepante folgen: Rimegepant (Vydura®, Pfizer) und Atogepant (Aquipta®, Abbvie). Beide Wirkstoffe sind zugelassen zur Prophylaxe von Migräne bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat. Rimegepant ist zudem für die Akuttherapie der Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen zugelassen.

Die Gepante sind niedermolekulare Antagonisten am CGRP-Rezeptor. Das Kürzel steht für das Neuropeptid Calcitonin-Gene-Related Peptide, das an der Pathophysiologie der Migräne beteiligt ist. Es reguliert die nozizeptive Signalübertragung und wirkt gefäßerweiternd. Während eines Migräneanfalls steigt der CGRP-Spiegel. Vier CGRP-Antikörper für die Migränepropylaxe sind bereits im Handel. Vorteil der Gepante: Sie können oral eingenommen werden und müssen nicht wie die CGRP-Antikörper subkutan oder intravenös verabreicht werden.

Option bei chronischem Husten

Ebenfalls oral bioverfügbar ist ein bereits zugelassener Wirkstoff zur Behandlung von chronisch refraktärem Husten oder nicht geklärtem, chronischem Husten bei Erwachsenen: Gefapixant (Lyfnua®, MSD).

Gefapixant ist ein selektiver Antagonist des P2X3-Rezeptors. Dies ist ein ATP-abhängiger Ionenkanal, der sich auf sensorischen C-Fasern des Nervus vagus in den Atemwegen findet. Unter Entzündungsbedingungen wird ATP aus Schleimhautzellen der Atemwege ausgeschüttet und bindet an P2X3-Rezeptoren. Dies wird von C-Fasern als Signal für eine Schädigung wahrgenommen. Die Aktivierung von C-Fasern löst bei Patienten einen Hustenreflex aus. Dank der Blockade der ATP-Signalwege über P2X3-Rezeptoren durch Gefapixant werden eine übermäßige Aktivierung sensorischer Nerven und übermäßiger Husten reduziert.

Neue Wirkstoffklasse gegen HIV

Bereits im Jahr 2022 hat die EU-Kommission einen ersten Vertreter einer neuen Klasse von HIV-Medikamenten zugelassen. Möglicherweise kommt Lenacapavir (Sunlenca®, Gilead) 2024 auch in Deutschland in den Handel.

Lenacapavir stört die Funktion des Kapsids von HI-Viren. Für die Virusreplikation ist ein intaktes Kapsid essenziell. Lenacapavir bindet an die Monomere des Kapsids und stört so dessen Funktion. Zugelassen ist der Wirkstoff in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneistoffen zur Behandlung von Erwachsenen mit einer multiresistenten HIV-1-Infektion, wenn kein anderes supprimierendes antivirales Regime zusammengestellt werden kann.

Nach einer zweiwöchigen Einleitungsphase mit Tabletten wird Lenacapavir an Tag 15 subkutan injiziert. Die nächsten Gaben müssen dann nur noch alle 26 Wochen einmalig subkutan erfolgen. Die Injektionen werden jeweils von medizinischem Fachpersonal verabreicht.

Hormonfreier Ansatz bei Hitzewallungen

Ebenfalls in der EU zugelassen ist Fezolinetant (Veoza™, Astellas Pharma). Es darf – als hormonfreie Therapieoption – bei Frauen mit moderaten bis schweren vasomotorischen Symptomen, die mit der Menopause assoziiert sind, zum Einsatz kommen. Der oral verfügbare Wirkstoff wirkt als Neurokinin-3-Rezeptorantagonist. Ursprünglich waren Kandidaten aus dieser Substanzklasse als Schizophrenie-Medikamente gedacht. Die Studiendaten zeigen, dass der Wirkmechanismus auch bei menopausalen vasomotorischen Beschwerden von Nutzen sein kann.

Die Aktivität der sogenannten Kisspeptin-Neurokinin-B-Dynorphin-Neuronen (KNDy-Neuronen) ist für die Thermoregulation im Hypothalamus von Bedeutung. Diese Zellen werden durch Neurokinin B (NKB) angeregt und durch Estrogen gehemmt. Sinkt der Hormonspiegel in der Menopause, wird die »Bremse« schwächer. Die KNDy-Neuronen sind dann überaktiv und das thermoregulatorische Zentrum wird übermäßig stimuliert. Vasomotorische Beschwerden wie Hitzewallungen und Nachtschweiß sind die Folgen. NKB wirkt über den Neurokinin-3-Rezeptor – und Fezolinetant als Antagonist an diesem Rezeptor.

Ähnlich wirkt Elinzanetant, ein Antagonist am NK1- und NK3-Rezeptor. Für diese Substanz wurde bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA aber noch kein Zulassungsantrag gestellt.

Zulassungsanträge für zwei Alzheimer-Antikörper

Dagegen liegt ein solcher Antrag für zwei Alzheimer-Antikörper bereits vor. Die EMA prüft derzeit die Daten zu Lecanemab und Donanemab.

Charakteristisch für die Alzheimer-Demenz sind Ablagerungen von β-Amyloid-Plaques. Beide Antikörper zielen auf die schädlichen β-Amyloid-Plaques ab. Sie tun dies allerdings in unterschiedlichen Stadien der Plaque-Bildung im Gehirn. Das in den USA bereits zugelassene Lecanemab (Leqembi®, Biogen/Eisai) bindet an lösliche Amyloid-β-Moleküle und soll die Entstehung von Plaques verhindern. Donanemab von Eli Lilly zielt darauf ab, auch abgelagerte Plaques zu entfernen, anstatt nur die Ablagerung neuer oder das Wachstum bestehender Plaques zu verhindern.

Eine Heilung der neurodegenerativen Erkrankung ist mit beiden Antikörpern nicht zu erwarten. Allerdings besteht die Hoffnung, dass das Fortschreiten des kognitiven Abbaus verlangsamt werden kann.

Bei der Prüfung der Zulassungsanträge wird die EMA neben der Wirksamkeit auch das Thema Sicherheit genau unter die Lupe nehmen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf eine Nebenwirkung der Antikörper namens ARIA (Amyloid-Related Imaging Abnormality) hinzuweisen. Das sind bestimmte Auffälligkeiten auf MRT-Aufnahmen des Gehirns, die sich als vasogene Ödeme oder Mikroblutungen darstellen können. Im Raum steht der Verdacht, dass ARIA eine Volumenabnahme des Gehirns bewirken könnten.

Erste Therapie mit der Genschere CRISPR/Cas9

Auch für viele weitere neue Arzneistoffe sind bereits Zulassungsanträge bei der EMA eingegangen und werden dort geprüft. Eine kleine Auswahl: Delgocitinib ist ein Pan-Januskinasehemmer, der eine topisch anzuwendende Therapieoption beim chronischen Handekzem werden könnte.

Omecamtiv Mecarbil könnte als Pharmakon bei Herzinsuffizienz eine Zulassung erhalten. Anders als der bei der kardialen Hypertrophie zugelassene Myosin-Inhibitor Mavacamten, der 2023 in den Handel kam, wirkt Omecamtiv Mecarbil genau andersherum, nämlich als Myosin-Aktivator. So verbessert der Arzneistoff die kardiale Kontraktilität, wirkt also positiv inotrop.

Auch im Bereich Diabetes könnte im Jahr 2024 Neues bevorstehen. Die EMA prüft die Zulassung des Glucagon-Analogons Dasiglucagon. Es könnte eine neue Option bei schwerer Unterzuckerung bei Menschen mit Diabetes werden.

Last, but not least wird es vielleicht schon bald zur EU-Zulassung für eine erste Therapie auf Basis der Genschere CRISPR/Cas9 kommen. In Großbritannien ist Exagamglogen autotemcel (Casgevy®, Vertex und CRISPR Therapeutics) seit Kurzem bei der Sichelzellanämie und der β-Thalassämie zugelassen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA hat sich Mitte Dezember für die Zulassung in der EU ausgesprochen.

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