| Theo Dingermann |
| 05.04.2024 15:00 Uhr |
Bei der Erbkrankheit Propionazidämie fällt das Enzym Propionyl-CoA-Carboxylase aus, weshalb schon im Säuglingsalter schwere Entgleisungen des Stoffwechsels auftreten können. / Foto: Adobe Stock/Wanmongkhol
Die Propionazidämie ist eine Erbkrankheit, die durch Mutationen in einem von zwei mitochondrialen Genen für das Enzym Propionyl-CoA-Carboxylase verursacht wird. Die Produkte dieser Gene bilden die beiden Untereinheiten (PCCA und PCCB) eines Enzyms, das für den effizienten Abbau bestimmter Eiweißbestandteile erforderlich ist. Ohne dieses Enzym können die Zellen einige Aminosäuren und Fettsäuren nicht richtig verstoffwechseln.
Als Folge kumulieren toxische Metabolite, darunter 2-Methylcitrat und 3-Hydroxyproprionat, und es kommt bereits bei Neugeborenen zu lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen, sogenannten metabolischen Dekompensationsereignissen (MDE). Diese gehen einher mit Erbrechen, Dehydratation, Gewichtsverlust und mit einer akuten Verschlechterung des klinischen Allgemeinzustands. Eine fortschreitende Hirnschädigung (Enzephalopathie), die durch Lethargie, Krampfanfälle, verminderte Erregbarkeit und Koma gekennzeichnet ist, führt bei nicht rechtzeitiger Behandlung zu schweren Behinderungen oder zum Tod. Das Wachstum der betroffenen Kinder ist verzögert und sie können neurologische Manifestationen, Kardiomyopathie, Herzrhythmusstörungen, rezidivierende Pankreatitis, Knochenmarksuppression und eine erhöhte Infektionsanfälligkeit entwickeln.
Pro 100.000 bis 150.000 Geburten ist ein Neugeborenes von dieser seltenen genetischen Erkrankung betroffen. Bisher gibt es keine zugelassenen Medikamente zur Behandlung der Krankheit, sodass die gefährlichen Stoffwechseldekompensationen nur durch eine spezielle proteinarme Diät kontrolliert werden können.
Nun publizieren Forschende um Professor Dr. Dwight Koeberl von der Duke University School of Medicine in Durham in North Carolina im Wissenschaftsjournal »Nature« eine Zwischenauswertung einer klinischen Phase-I/II-Studie, in der die Sicherheit und Wirksamkeit des mRNA-Therapeutikums mRNA-3927 des Unternehmens Moderna an 16 betroffenen Patienten im Alter von einem Jahr oder älter getestet wurde.
mRNA-3927 ist ein in spezielle Lipid-Nanopartikel (LNP) eingekapseltes mRNA-Therapeutikum, das zwei mRNA enthält. Eine mRNA kodiert für die humane PCCA- und die andere für die PCCB-Proteinuntereinheit. Die LNP, in denen die mRNA-Moleküle transportiert werden, sind so zusammengesetzt, dass ihre Aufnahme durch phagozytierende Zellen, darunter auch die Kupffer-Zellen in der Leber, minimiert und die Aufnahme in Hepatozyten favorisiert wird.
Initial wurden 16 Patienten im Alter von einem Jahr oder älter in vier Kohorten mit dem mRNA-3927-Therapeutikun behandelt. Zwölf Teilnehmer (75 Prozent) schlossen die Behandlungsphase der Dosisoptimierungsstudie ab und setzten die Studienbehandlung in der offenen Verlängerungsstudie fort.
In beiden Studienphasen wurden insgesamt 346 intravenöse Dosen von mRNA-3927 verabreicht. Es traten keine dosislimitierenden Toxizitäten auf. Behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse wurden bei 15von 16 Studienteilnehmern und mRNA-3927-bezogene unerwünschte Ereignisse bei neun Studienteilnehmern gemeldet. Zu den häufigsten Ereignissen gehörten Pyrexie, Diarrhö und Erbrechen. Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen (SAE) traten bei acht der 16 Studienteilnehmer auf. Bei 18 der insgesamt 346 (5,2 Prozent) verabreichten Dosen traten infusionsbedingte Reaktionen auf.
Die klinische Wirksamkeit wurde anhand der Häufigkeit von MDE bewertet. Insgesamt traten bei acht von 16 Teilnehmern eine oder mehrere MDE während des Vorbehandlungszeitraums auf. Während des Behandlungszeitraums im Rahmen der Dosisoptimierungsstudie mussten zwei Patienten wegen eines MDE behandelt werden. Während der Verlängerungsstudie erlitten drei Patienten ein MDE. Über den gesamten Behandlungszeitraum war das relative Gesamtrisiko für ein MDE im Vergleich zum Vorbehandlungszeitraum um 70 Prozent reduziert.
»Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung«, sagt die Nobelpreisträgerin Professorin Dr. Katalin Karikó, in einem »News«-Beitrag zu der Publikation in »Nature«. Aber eine optimale Lösung bietet diese Therapie noch nicht. Alle zwei oder drei Wochen muss das mRNA-3927-Therapeutikun über Stunden infundiert werden. Die Dosen, die hier erforderlich sind, sind nahezu hundertmal höher als die Dosen, mit denen die Covid-19-Impfstoffe verabreicht wurden.
Obwohl die Therapie das Risiko für die gefürchteten MDE deutlich senkte, wurde bezogen auf die kleine Zahl der Testpersonen die Schwelle der statistischen Signifikanz nicht erreicht. Und dennoch sei dies ein sehr ermutigender Schritt, äußert sich Professor Dr. Jerry Vockley, medizinischer Genetiker am University of Pittsburgh Medical Center gegenüber »Nature«.
Es gibt aber zweifelsfrei Raum für Verbesserungen. Zwar wurden anfängliche Befürchtungen ausgeräumt, dass eine wiederholte Verabreichung der mRNA Immunreaktionen gegen die gebildeten Proteine auslösen könnte. Doch angesichts des Nebenwirkungsprofils, das teilweise nahe an der »Obergrenze der Verträglichkeit« liegt, sind weitere Optimierungen erforderlich, bevor mRNA-Technologien bei Krankheiten eingesetzt werden können, die eine Substitutionstherapie erfordern. So sagt auch Dr. Romesh Subramanian, Biotechnologie-Berater in Framingham, Massachusetts: »Ich bezweifle einfach, dass dies eine Langzeittherapie sein wird. Ich denke, es muss eine viel seltenere Dosierung mit besserer oder effizienter translatierter mRNA geben.«