Mit »Kindergipfel« und Task Force gegen Engpässe |
Cornelia Dölger |
15.12.2023 12:30 Uhr |
Immer wieder von Lieferengpässen betroffen sind Fiebersäfte für Kinder. / Foto: IMAGO/Fotostand
Seit vielen Jahren führe das Land Nordrhein-Westfalen Gespräche mit der pharmazeutischen Industrie im Rahmen des nordrhein-westfälischen Pharmadialogs. Wegen der gravierenden Lieferengpässe seien diese Gespräche in den letzten Monaten intensiviert worden, auch die jeweiligen Bundesverbände sowie Akteure des pharmazeutischen Großhandels und der Apothekerschaft seien mit eingebunden worden, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) auf PZ-Anfrage.
Dieser Pharmadialog werde um eine Arbeitsgruppe zum Thema »Arzneimittelversorgung« unter der Leitung des MAGS erweitert. Zudem führe das MAGS hierzu Gespräche auf EU-Ebene: So habe Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit der für Gesundheit zuständigen EU-Kommissarin Stella Kyriakides über das geplante EU-Pharmapaket gesprochen.
Bei der Gelegenheit sei nochmals die Besorgnis über die bestehende Arzneimittelversorgungslage zum Ausdruck gebracht worden, so die Sprecherin. Auch wurde die aus Sicht des MAGS dringende Notwendigkeit der Lieferengpassbekämpfung und der Ansiedelung an europäischen Produktionsstandorten besprochen. Diese Aspekte sollten laut der EU-Kommissarin Eingang in die 2024 startende EU-Gesetzgebung finden.
Das Gesundheitsressort Bremen stehe zum Thema Lieferengpässe im engen Austausch in den Bund-Länder-Arbeitsgruppen, erklärte eine Sprecherin der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz. Die Senatorin habe als Folgemaßnahme der gravierenden Lieferengpässe im vergangenen Herbst und Winter eine Initiative mit der Bezeichnung »Kindergipfel« gestartet. Dazu lud das Gesundheitsressort demnach Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Einrichtungen des Gesundheitswesens, etwa Krankenhäuser, Arztpraxen und Berufsverbände, zu Treffen ein.
Der Themenschwerpunkt lag auf der Versorgung von Kindern, da diese von den Lieferengpässen im vergangenen Herbst und Winter ambulant und stationär besonders betroffen waren. Zudem gebe es einen stetig aktualisierten Austausch zwischen Notdiensthabenden Apotheken und Praxen bezüglich einer Liste der aktuell verfügbaren Antibiotikazubereitungen.
Das Gesundheitsressort Bremen habe zur Linderung von Lieferengpässen die Eigenherstellung von Fieber- und Schmerzsäften in Apotheken unterstützt und gemeinsam mit der Apothekerkammer dazu Handreichungen an die Apotheken inhaltlich abgestimmt.
Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung stehe zum Thema Engpässe in ständigem Austausch mit den jeweiligen Kollegialbehörden der Bundesländer sowie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Bundesgesundministerium (BMG), sagte eine Sprecherin. Darüber hinaus fänden regelmäßig Gespräche zwischen dem Minister und den Standesvertretungen der Apothekerinnen und Apotheker wie der Apothekerkammer Niedersachsen oder dem Landesapothekerverband Niedersachsen statt.
Seit 2015 hat Bayern laut einem Ministeriumssprecher einen eigenen Bayerischen Pharmagipfel, der jährlich tagt. Im vergangenen April benannte dieser Maßnahmen und Regelungen für eine stabile Versorgung mit Arzneimitteln in einem Positionspapier. Forderungen daraus seien nunmehr auch in der Pharmastrategie des Bundes aufgegriffen worden, sagte der Sprecher zur PZ.
Der Fokus des Südschienengipfels (dazu gehören Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz) war demnach ein anderer. In diesem Rahmen sei hauptsächlich über die Stärkung des Forschungs- und Entwicklungsstandorts sowie über die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland und Europa beraten worden. Deswegen seien Gesundheits- und Wirtschaftsministerien aus vier Bundesländern sowie Vertreter von Pro Generika, des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) beteiligt gewesen. Hierbei hätten die Länder Forderungen und Maßnahmenvorschläge an den Bund adressiert. Einige dieser Forderungen seien ebenfalls in die Pharmastrategie eingeflossen.
Bayern habe zudem bereits Ende 2022 die Task-Force Arzneimittelversorgung installiert, mit der kurz- bzw. mittelfristig Liefer- und Versorgungsengpässen entgegengewirkt werden kann. Daran beteiligt sind etwa der Bayerische Apothekerverband, die Bayerische Landesapothekerkammer, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, Ärzteverbände, Verbände und Vertreter von pharmazeutischen Unternehmen und pharmazeutischen Großhändlern sowie der gesetzlichen Krankenkassen und der Krankenhausapotheken.
Im Saarland wurde laut einer Sprecherin des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit im Januar 2023 ein Runder Tisch einberufen, um das Problem der Lieferengpässe bei paracetamol- und ibuprofenhaltigen Fertigarzneimittel zu erörtern. Teilgenommen haben demnach Vertreterinnen und Vertreter der Apothekerkammer, Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen.
Als Ergebnis gab es eine Vereinbarung mit der AOK Rheinland/Saarland, der IKK Südwest und den saarländischen Apothekenorganisationen, nach der es Apotheken ermöglicht wurde, »entsprechende Arzneimittel in der ganzen Bandbreite unter Berücksichtigung der pharmazeutischen Voraussetzungen in der Apotheke abzugeben«. Die Apotheken konnten demnach auch je nach Verfügbarkeit sowohl Fertigarzneimittel abgeben als auch notwendige Rezepturen anfertigen.
Das Gesundheitsministerium befinde sich nach wie vor in einem steten Austausch mit der Apothekerkammer, aber auch mit saarländischen Pharmaunternehmen. Darüber konnten demnach verschiedene Arzneimittel aus dem europäischen Ausland nach Deutschland importiert werden, allein über einen gut vernetzten Arzneimittelimporteur aus dem Saarland 5000 Packungen Antibiotika-Säfte für Kinder.
Das Gesundheitsministerium in Rheinland-Pfalz unterhalte eine enge Kooperation mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV). Das versetze es in die Lage, flexibel und pragmatisch reagieren zu können, sagte ein Sprecher zur PZ. Der per Allgemeinverfügung erklärte Versorgungsmangel bei antibiotikahaltigen Säften für Kinder sei bis zum 31. März 2024 verlängert worden. Solange das Bundesgesundheitsministerium den Versorgungsmangel nicht für beendet erkläre, könne das LSJV die Allgemeinverfügung entsprechend verlängern. Dadurch gebe es die Möglichkeit, dass antibiotikahaltige Säfte, die nicht in Deutschland zugelassen sind, aus dem europäischen Ausland eingeführt werden.
Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums verwies darauf, dass erst vor wenigen Wochen eine Landtagsdebatte zum Thema Lieferengpässe stattgefunden habe. Dabei habe Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) betont, dass Apotheken im vergangenen Winter entscheidend zur Versorgungssicherheit beigetragen hätten. Es sei wichtig, dass die in der Apotheke hergestellten Arzneimittel nicht den gleichen aufwändigen Zulassungsanforderungen wie industriell hergestellte Produkte unterliegen, habe Lucha betont.
Weil seiner Meinung nach das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) keinen grundlegenden Umschwung bringen werde, hätten die Länder in einem Beschluss zur Arzneimittelknappheit auf der GMK-Hauptkonferenz Forderungen an den Bund adressiert, auf deren Umsetzung sie hinwirkten. »Wir erwarten vom Bund, in einen umfassenden und konstruktiven Dialog mit der Pharmabranche unter Beteiligung der Länder einzutreten.«
Das System der inhabergeführten Apotheken habe sich über Jahrzehnte in Deutschland bewährt und sei unbedingt beizubehalten. »Ansätze, dieses System mit dem Ziel einer vermeintlich besseren Flächenabdeckung aufzuweichen, sind nicht zielführend und gefährden das Apothekennetz als solches.«
Weiter führt die Sprecherin aus, dass das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg sich in den letzten Monaten intensiv mit der Problematik beschäftigt und alle beteiligten Akteurinnen und Akteure an einen Tisch gebracht habe. Es seien Handlungsempfehlungen erarbeitet worden, an denen Vertreterinnen und Vertreter von Apotheken, Krankenhausapotheken, pharmazeutischer Industrie, Großhandel und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration beteiligt seien. Diese sollten zeigen, was auf Landesebene in Baden-Württemberg kurz- und mittelfristig gegen Lieferengpässe bei Medikamenten getan werden kann.
Als erstes Bundesland habe der Freistaat Sachsen erhebliche Flexibilisierungen in Bezug auf die Auslegung des Arzneimittel- und Apothekenrechts durchgesetzt, hieß es von einem Sprecher des Gesundheitsministeriums. Hierzu zähle etwa die Gestattung der Vorratshaltung importierter Arzneimittel in Apotheken sowie der Arzneimittelaustausch zwischen Apotheken ohne das Erfordernis einer Großhandelserlaubnis.
Seit 2016 finde zudem regelmäßig mindestens einmal jährlich ein Austausch mit der Pharmaindustrie statt, zu dem die gesamte Pharmabranche in Sachsen eingeladen sei.