Mit Goethe gegen den Systembruch |
Cornelia Dölger |
08.10.2024 16:00 Uhr |
Angesichts von Apothekensterben und sinkenden Betriebsergebnissen warnte der NARZ-Vorsitzende Jörn Graue: »Wird der Trend nicht sofort gestoppt, gibt es morgen die vollversorgende Apotheke nicht mehr.« / © PZ/Daniela Hüttemann
Mit Zitaten und Vergleichen unter anderem aus Goethes »Faust« sowie dem »Erlkönig« war Graues Rede garniert, die zur Mitgliederversammlung am vergangenen Wochenende gehalten wurde. Neben der Geschäftsbilanz des NARZ kamen darin die aktuellen Themen zur Sprache, die die Apotheken umtreiben.
Die Geschäftsergebnisse der Firmengruppe seien »außerordentlich gut«, bilanzierte Graue laut dem Manuskript, das der PZ vorliegt. Es sei gelungen, den Vertrieb zu stärken, die Prozesse zu optimieren und die Zahlungswege zu kürzen – trotz eines widrigen Umfelds. Hoch sei auch die Eigenkapitalquote aller Unternehmensteile, ein Ausweis für die »fortwährend hohe Bonität des NARZ«. Graue betonte: »Unsere Liquidität beurteile ich als komfortabel.«
Die Stimmung im Apothekenmarkt bleibe aber angespannt, die wirtschaftliche Lage bleibe schwierig. Immer mehr Apotheken müssten schließen. Trotz wachsender Umsätze sei infolge der Kostensteigerungen das Betriebsergebnis stark rückläufig. »Wird der Trend nicht sofort gestoppt, gibt es morgen die vollversorgende Apotheke nicht mehr«, warnte Graue.
Womit die Sprache auf die geplante Apothekenreform kam. Vor diesem Hintergrund hatte Graue für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einige Goethesche Zuschreibungen parat. Lauterbach sei der »Geist, der stets verneint«, ein »Teufel«, den die Wählerschaft zum zweiten Mal »durch die gleiche Tür hineingelassen« habe, damit er vollenden könne, was er mit seiner vormaligen Amtsvorgängerin Ulla Schmidt »ausgeheckt« habe. »Das also ist des Pudels Kern«, schloss Graue.
Der Minister sei »die staatlich gewordene Verneinung der deutschen Apotheke«. Die Apothekervereinigungen hätten zu lange auf Kooperation gesetzt. Andererseits sei es »naiv und sogar grob fahrlässig« gewesen, den Minister beim vergangenen Apothekertag in Düsseldorf mit sechs Fragen zur Zukunft der Apotheken zu konfrontieren. Daher dürfe man sich nicht wundern, dass es bei der Umsetzung der Anliegen stocke.
Lauterbachs aktuelle Reformpläne thematisierte der NARZ-Vorsitzende im Detail. So sei die zwischenzeitliche Erhöhung des Kassenabschlags nichts als »eine seiner genialen Eingebungen, um ein Loch mit dem anderen zu stopfen«, kritisierte Graue. Im geplanten Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) ist festgehalten, den Abschlag im kommenden Jahr wieder auf 1,77 Euro zu senken – dieser Schritt war allerdings ohnehin vorgesehen und findet sich schon im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz.
Weil derlei Maßnahmen nicht genug Geld in die Kassen spülten, habe der Minister kurz vor den jüngsten Landtagswahlen obendrein über mögliche GKV-Beitragserhöhungen gesprochen. »Masochistischer geht es ja wohl nicht. Arme Tante SPD«, kommentierte Graue.
Viel Hoffnung, dass in dieser Legislatur noch etwas Positives bewegt werden kann, gebe es wohl nicht, auch wenn die FDP »hin und wieder stotternde Lichtblicke für die Schiffbrüchigen« aussende. Die Liberalen lehnen die »Apotheken light« vehement ab und haben angekündigt, das Gesetz blockieren zu wollen, sollte diese Passage nicht gestrichen werden.
Dass Lauterbach hingegen auf dem Plan besteht und bereits durchblicken ließ, dass es gar kein Gesetz geben werde, sollte die Passage nicht durchkommen, bezeichnete Graue als »Kampfansage«. »Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«, zitierte er passend aus dem »Erlkönig«. Und: »Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt.« Der Untergang der wegbrechenden Apotheken sei dem Erlkönig offenbar völlig egal – »die Versorgung der Versicherten jetzt auch?« Dem müssten die Apotheken sich entgegenstellen. Dem »Mantra des Ministeriums ›Ohne Systemveränderung keine bessere Honorierung‹« sei »alles entgegenzusetzen, was Beine hat«.
Was die Apotheken im Arbeitsalltag belastet, führte Graue, der auch Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins ist, am Beispiel von Retaxationen und Hochpreisern aus. Konkret benannte er Probleme mit dem Dienstleister Davaso bezüglich Hilfsmittelrezepten der IKK classic. Wegen angeblichen Ablaufs der Frist nach Vervollständigung sei in vielen Fällen nicht gezahlt worden. In dem Konflikt habe der Hamburger Apothekerverein das Sozialgericht Hamburg angerufen – erfolgreich. Nach der Verhandlung habe die Kasse die Kosten übernommen.
Erschwerend komme seit Einführung des E-Rezepts hinzu, dass bei Retaxationen bei digitalen Verordnungen die Apotheke den Retaxierungsgrund nicht erkennen könne, weil ihr der Datensatz nicht mehr wie bei den Papierrezepten in Klarschrift von den Krankenkassen übermittelt werde. Der zeitliche Aufwand für das E-Rezept sei wegen der vielen technischen Schwierigkeiten deutlich höher als der für Muster-16-Rezepte. Problematisch sei auch die lange Aufbewahrungsfrist für Daten aus E-Rezepten.
Hochpreiser – ein wachsendes Problem für Apotheken und auch den Großhandel, weil sie immer größere Anteile am Rx-Gesamtumsatz ausmachen. Für die Apotheken ist vor allem die riskante Zwischenfinanzierung und das erhebliche Retaxrisiko problematisch. Auch auf dieses Thema ging Graue ein.
Hier gehe es nicht darum, nur die Zahlungsfristen zu verschieben, sondern einen anderen, auch für die Krankenkassen kostenneutralen Finanzierungsweg einzurichten, forderte Graue. Sichergestellt werden müsse, dass eine Apotheke nur bei einem Rechenzentrum abrechnen darf. Ansonsten werde »das sorgfältig austarierte Zahlungssystem unterhöhlt und die Abschlagszahlungen gefährdet«.