Mit Getöse durch die Würzburger Innenstadt |
Cornelia Dölger |
14.06.2023 15:00 Uhr |
Zukunft sichern, das haben sich die PTA-Schülerinnen (v.l.) Anna-Lena Czajka, Sophia Franz und Leah Marie Groß im wahrsten Sinn auf die Fahnen geschrieben. / Foto: PZ/Dölger
Sonnig ist es am heutigen Mittwoch, als Hunderte Apothekerinnen, Apotheker, PTA, Pharmaziestudierende und weitere Apothekenmitarbeitende aus der Region vom Würzburger Hauptbahnhof losziehen, um für ihre Branche zu kämpfen. Beim bundesweiten Apotheken-Protesttag soll es um nichts weniger gehen als darum, den Bestand und die Zukunft ihrer Berufe zu sichern. »Der Protest ist überfällig und für uns war klar, dass wir daran teilnehmen und dabei möglichst viele mitnehmen wollen«, sagt Co-Organisator Michael Sax. Der Würzburger Apotheker ist wie sein Mitstreiter Bernward Unger, Apotheker aus Dettelbach, im Bayerischen Apothekerverband organisiert und hat seine Kontakte genutzt, um die Menschen zu mobilisieren. Für 500 Personen ist die Demonstration heute angemeldet, bis zu 600 Menschen sind gekommen, wie die Polizei schätzt.
Die Stimmung ist locker, als sich der Zug in Richtung Marktplatz in Bewegung setzt. Unter dem blauen Himmel strahlen gut gelaunte Gesichter. Weniger freundlich sind die Botschaften auf den Plakaten, die zu Dutzenden aus der Menge herausragen. Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister und heute erklärtes Ziel der Kampfansagen, wird auf einem als Apothekenterminator bezeichnet, auf anderen geht es ums Kaputtsparen oder um unzumutbare Arbeitsbedingungen. Auch ein symbolischer Sarg wird getragen. Anhaltende Lieferengpässe, ein seit Jahren eingefrorenes Honorar, überbordende Bürokratie und all das bei stetig steigenden Kosten – unter all dem leiden die Apotheker und das soll sich endlich ändern.
Das Fixum von 8,35 auf 12 Euro hoch, deutlich mehr als die geplanten 50 Cent fürs Lieferengpassmanagement, kein Nullretax mehr, weniger Bürokratie, mehr Austauschfreiheiten, das fordern die Apotheker, heute lautstark nicht nur in Würzburg, sondern auch in anderen großen Städten. »Ich erwarte, dass die Politik in Berlin unsere Anliegen endlich ernst nimmt. Unsere Forderungen sind realitätsnah und finanzierbar«, sagt Sax, während sich der Zug, der langsam dem Polizeifahrzeug folgt, unter teils ohrenbetäubendem Getöse – Pfeifen, Rasseln, Hupen, Tröten – dem Würzburger Marktplatz nähert.
Passanten weichen den Demonstranten aus, bleiben stehen, schauen, bekommen Flyer mit den Apothekenforderungen in die Hände gedrückt. »Ich kann den Protest der Apotheker verstehen. Wer will sich schon totsparen lassen«, sagt eine Dame am Straßenrand. Andere vertiefen sich in die Flyer. Vielleicht haben sie bislang noch nichts von den Umständen gehört, unter denen Apothekenteams arbeiten müssen. Oder vom Apothekensterben, das seit Jahren anhält. Die Apothekenzahl in Deutschland hat im vergangenen März mit weniger als 18.000 Betrieben einen neuen Tiefststand erreicht.
Darum geht es Michael Sax dann auch, als der Zug sich auf dem Marktplatz an der Marienkirche sammelt. Der Platz füllt sich nach und nach rund um die Marktbuden mit Obst und Fisch. »Ich möchte den Bürgerinnen und Bürgern erklären, worum es uns geht«, sagt Sax, als er das Megaphon ergreift. Und dann listet er die Sorgen der Apotheker auf, an passender Stelle begleitet von Applaus, von Pfiffen und Rufen. Die Apotheker, sie sind außerordentlich laut heute.
Warum zum Beispiel sollte der Wunsch nach einer Honorarerhöhung legitim sein? Weil diese Erhöhung überfällig sei und im Übrigen die GKV-Finanzen nicht überstrapaziere, so Sax. Sie stelle nur einen Bruchteil der GKV-Gesamtausgaben dar. Für die Apothekenvergütung mussten die Kassen demnach im vergangenen Jahr 2 Prozent ihrer Gesamtausgaben berappen – während ihre Verwaltungsausgaben mit mehr als 4 Prozent deutlich höher ausfielen. »Wir sind also nicht die Kostentreiber«, ruft Sax unter Applaus in die Menge.
Dann spricht er weitere neuralgische Punkte an. Den auf zwei Euro erhöhten Kassenabschlag zum Beispiel, also Geld, das die Apotheken den Kassen gewähren müssen und das von ihrem Fixum abgeht. Oder die derzeit im geplanten Lieferengpassgesetz vorgesehenen 50 Cent pro Engpassfall. »Da muss ich aufpassen, dass ich nicht ausfällig werde«, sagt Sax. »Das ist der Witz schlechthin.« Deutlicher könne die Politik ihre Missachtung der Apothekerarbeit nicht zum Ausdruck bringen. Applaus, Johlen, Pfiffe.
»Halten Sie uns Apothekern die Stange«, ruft Sax. Patienten könnten ihre Apotheke vor Ort unterstützen, wenn diese mit Lieferengpässen zu kämpfen habe. Etwa indem sie sich früh um die Folgerezepte für ihre Dauermedikation kümmerten, sodass die Apotheken mehr Spielraum bekämen. Oder indem sie den Apotheken eben treu blieben und nicht auf Versender auswichen. Um die Demonstrierenden herum schauen und hören Passanten den Ausführungen zu. Zu Mittag läuten die Glocken der Marienkirche und übertönen den Redner, der deshalb kurz pausieren muss. »Ich freue mich ja, dass wir Hilfe von ganz oben bekommen«, sagt er und lacht.
Am Rande halten drei PTA-Auszubildende ein Plakat in die Höhe. Darauf steht: »Wir streiken nicht – wir kämpfen für Ihre Zukunft.« Sie hätten ihren Beruf gewählt, weil er abwechslungsreich sei und es Spaß mache, Menschen zu helfen. Angesichts der dramatischen Lieferschwierigkeiten bei vielen wichtigen Arzneimitteln sei die Stimmung bei den Patienten aber oftmals schlecht. Viele ließen ihren Frust darüber am Apothekenpersonal ab. Es gibt aber auch andere Beispiele. »Viele Menschen sind dankbar, wenn wir ihnen trotz Lieferengpässen doch helfen können«, sagt Anna-Lena Czajka, eine der Schülerinnen. Darum sind sie heute hier. Weil sie sich für sich und ihre Patienten eine gesicherte Zukunft wünschen.