Anreiz für Verringerung von Fehlzeiten: Grundsätzlich ist es arbeitsrechtlich umsetzbar, mit Angestellten Anwesenheitsprämien zu vereinbaren. Doch die Maßnahme ist umstritten. / © imago images / Westend61
Die Krankheitstage der Arbeitnehmer in Deutschland erreichten mit durchschnittlich 15 Ausfalltagen im Jahr 2023 ein Rekordhoch. 2024 waren es noch 14,8 Tage. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Dabei geht man davon aus, dass Langzeiterkrankungen (mehr als sechs Wochen Ausfallzeit) zwar mehr als ein Drittel aller Ausfalltage verursachen. Gleichzeitig machen sie aber nur etwa 3,5 Prozent der Fallzahlen aus. Anders verhält es sich bei Kurzzeiterkrankungen, also Ausfallzeiten von bis zu drei Tagen. Deren Anteil beträgt etwa 30 Prozent aller Fälle, die Fehltage machen allerdings nur etwa 5 Prozent aus.
Für Arbeitgeber bedeuten krankheitsbedingte Ausfallzeiten vor allem einen Zusatz an Planungsaufwand, die Koordinierung von Vertretung und Unsicherheit darüber, wann Arbeitnehmer wieder einsatzfähig sind. Hier steht immer wieder die Frage im Raum, ob finanzielle Anreize, etwa in Form von Anwesenheitsprämien, das Problem verringern könnten.
Doch zunächst eine Begriffsklärung. Was bedeutet Präsentismus beziehungsweise Absentismus überhaupt?
Unter »Präsentismus« versteht man das Erscheinen der Arbeitnehmer zur Arbeit, obwohl sie krankheitsbedingt geschwächt und damit nur eingeschränkt leistungsfähig sind. Hierfür werden diverse Antreiber als Erklärung herangezogen: gesteigertes Pflichtbewusstsein, Erfüllung von äußerem Erwartungsdruck, Schuldgefühle gegenüber Arbeitgeber und Kollegen bis hin zu der persönlichen Einstellung, unentbehrlich zu sein.
»Absentismus« meint hingegen zunächst lediglich die bloße Abwesenheit von der Arbeitsstelle, also das Fernbleiben von der Arbeit. Die Begrifflichkeit wird aber auch gerne herangezogen, um das gewohnheitsmäßige Nichterscheinen zu beschreiben als eine »verhaltensbedingte Abwesenheit«, die auf steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen ist.
Aus Sicht des Arbeitgebers dürfte ein gesteigertes Pflichtbewusstsein, auch von arbeitsunfähigen Arbeitnehmern, im ersten Moment günstig erscheinen, um die Öffnungszeiten des Apothekenbetriebs personell abzudecken und damit Ausfallzeiten abzufedern.
Diverse Studien verdichten jedoch die Annahme, dass dieser Ansatz zu kurz gedacht ist. Dies rührt zum einen daher, dass arbeitsunfähige Arbeitnehmer weniger leistungsfähig sind und damit sowohl Quantität als auch Qualität der Leistung gemindert sind. Neben verminderter Produktivität und gesteigerten Fehlerquoten darf auch die Ansteckungsgefahr nicht außer Acht gelassen werden, die je nach Art der Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern ausgeht, sodass für das gesunde Personal ein gesteigertes Risiko der Ansteckung bestehen kann.
Aufgrund hoher Dunkelziffern lassen sich die Effekte und Auswirkungen des Präsentismus in Zahlen nur schwierig messen. Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass eigentlich arbeitsunfähige Arbeitnehmer weitaus mehr Kosten als Nutzen für den Apothekeninhaber bringen. Es sollte genau abgewogen werden, ob es wirklich sinnvoll ist, diese Haltung zu dulden oder sogar zu fördern.
Grundsätzlich ist es arbeitsrechtlich umsetzbar, mit den Arbeitnehmern Anwesenheitsprämien zu vereinbaren. Die Art und Weise ist in weiten Teilen frei verhandelbar: Dahingehende Prämien und Boni können monatlich ausgelobt werden oder als Jahreseinmalzahlung. Zu beachten ist dabei die gesetzliche Restriktion des § 4a Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG). Hiernach können Zusatzzahlungen, die zusätzlich zum verstetigten Gehalt geleistet werden, um Tage der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit gekürzt werden. Diese Kürzung darf jedoch ein Viertel eines durchschnittlichen arbeitstäglichen Entgeltes nicht übersteigen.
Ob Anwesenheitsprämien personalpolitisch ein angemessenes Zeichen sind, soll an dieser Stelle offenbleiben. Es mag einerseits geeignet sein, die Zahlen der »Montag-Freitag-Krankheiten« zu vermeiden. Andererseits bleibt es ein Signal des Misstrauens, denn die Grundannahme sollte nach wie vor sein, dass auch tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Klar sein dürfte außerdem, dass das Phänomen des Präsentismus schon deswegen gefördert würde, damit Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Prämienzahlung nicht verlieren. Dies will gut überlegt sein.
Fakt ist: Die Etablierung von Anwesenheitsprämien im Apothekenbetrieb ist vor allem aus personalpolitischer Sicht gut abzuwägen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass hierdurch die Behauptung einhergeht, krankheitsbedingte Ausfalltage gingen auf steuerbares Verhalten zurück. Dies kann erheblichen Diskussionsstoff mit sich bringen.
Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Entgelt in Höhe von 4000 Euro brutto bei einer 5-Tage-Woche. Er soll eine Prämie von 2.000 Euro brutto erhalten, wenn er im Kalenderjahr keine Arbeitsunfähigkeitstage aufweist. Für jeden Ausfalltag der Arbeitsunfähigkeit soll die Prämie um 200 Euro brutto gekürzt werden. Er fällt im Jahr 2024 11 Tag krankheitsbedingt aus.
1. Ermittlung des Bruttojahresgehaltes: 12 x 4000 Euro = 48.000 Euro brutto
2. Errechnung der jährlichen Arbeitstage: 52 Wochen x 5 Tage = 260 Tage
3. Ermittlung des arbeitstäglichen Verdienstes: 48.000 Euro : 260 Arbeitstage = 184,62 Euro
4. Quotelung zu einem Viertel des arbeitstäglichen Verdienstes: 46,16 Euro brutto.
Ergebnis: Der Ausfallsatz in Höhe von 200 Euro brutto/ Tag ist aufgrund des Verstoßes gegen § 4a EFZG unwirksam, da er 46,16 Euro brutto/ Tag nicht hätte übersteigen dürfen.
Die Autorin Jasmin Herbst ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mediatorin bei der Kanzlei Dr. Schmidt und Partner in Koblenz.
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