Metaanalyse findet höheres Risiko bei Kindern von Diabetikerinnen |
Sven Siebenand |
09.04.2025 10:30 Uhr |
Es gibt verschiedene Formen von Diabetes, an denen eine Frau vor oder während der Schwangerschaft erkranken kann: die häufigsten Formen sind Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Während der Schwangerschaft kann eine Frau auch Gestationsdiabetes entwickeln. / © Adobe Stock/Andrey Popov
Im Fachjournal »The Lancet Diabetes & Endocrinology« hat ein Forscherteam um Wenrui Ye und Cong Luo, beide von der Central South University in Changsha, China, auf Grundlage von 202 Studien und mehr als 56 Millionen Mutter-Kind-Paaren das relative Risiko für das Kind errechnet, von einer neurologischen Entwicklungsstörung betroffen zu sein, wenn die Mutter bereits vor der Schwangerschaft Diabetes hat oder die Erkrankung während der Schwangerschaft erwirbt.
Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass das von Störfaktoren bereinigte relative Risiko (RR) für Kinder von Frauen mit Diabetes insgesamt um 28 Prozent erhöht (RR 1,28) war, wenn sie alle betrachteten neurologischen Entwicklungsstörungen gemeinsam auswerteten. Es war um 25 Prozent für Autismus (RR 1,25), um 30 Prozent für ADHS (RR 1,30), um 32 Prozent für eine geistige Behinderung (RR 1,32), um 27 Prozent für eine spezifische Entwicklungsstörung (RR 1,27), um 20 Prozent für eine Kommunikationsstörung (RR 1,20), um 17 Prozent für eine motorische Störung (RR 1,17) und um 16 Prozent für eine Lernstörung (RR 1,16) erhöht. Zudem war ein bereits vor der Schwangerschaft bestehender Diabetes stärker mit dem Risiko der meisten neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern verbunden als Schwangerschaftsdiabetes (RR 1,39 versus 1,18).
Wichtig: Um einschätzen zu können, wie hoch die absolute Zahl der betroffenen Kinder ist, für die sich das Risiko erhöht, muss die Hintergrundprävalenz für die einzelnen Entwicklungsstörungen bekannt sein. Absolute Angaben finden sich in der Studie aber nicht. Dies ist auch ein Punkt, den Professor Dr. Christoph Bührer von der Berliner Charité in einem Statement gegenüber dem Science Media Center (SMC) deutlich hervorhebt. »Da das absolute Risiko dieser Störungen klein ist, sind die allermeisten Kinder nicht betroffen.« Ausschau zu halten nach Entwicklungsverzögerungen und neuropsychiatrischen Erkrankungen sei ohnehin Gegenstand der Vorsorgeuntersuchungen gemäß der Kinderrichtlinie. »Die kleine Zunahme des absoluten Risikos bei Kindern diabetischer Mütter rechtfertigt keine Sonderbehandlung und bärge eher die Gefahr einer Stigmatisierung.«
Auch Professor Dr. Alexandra Kautzky-Willer von der Medizinischen Universität Wien äußert sich gegenüber dem SMC zu der Publikation. Sie bestätigt, dass es sich um die bisher größte Metaanalyse zum Einfluss von Hyperglykämie in der Schwangerschaft auf die neuronale Entwicklung der Kinder in Form von verschiedenen Störungen/Erkrankungen handelt. Allerdings handele es sich bei den eingeschlossenen Studien um Kohortenstudien und Observationsstudien, die teilweise sehr heterogen seien und auch verschiedene Bias aufwiesen. »Es besteht also eine gewisse Evidenz für Assoziationen, aber kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang. Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse, der sozioökonomische Status und die frühkindliche Entwicklung – insbesondere die Ernährung und die Stilldauer – sowie der spätere Lebensstil tragen wesentlich zu all diesen Effekten bei.«
Ein Problem ist laut der Medizinerin, dass in den meisten eingeschlossenen Studien der Metaanalyse viele wichtige Einflussfaktoren nicht berücksichtigt wurden. »Besonders wichtig wäre die Berücksichtigung des Body-Mass-Index und der Stoffwechselkontrolle der Mütter in Form von HbA1c-Werten und/oder Glucoseprofilen gewesen.«
Wie auch die Studienautoren selbst sieht Kautzky-Willer weiteren Forschungsbedarf – auch zu den möglichen Ursachen und wie diese verhindert werden können. Zum Beispiel, ob eine frühe Behandlung und Optimierung des mütterlichen Stoffwechsels und der mütterlichen Ernährung und Überwachung der Gewichtszunahme einen positiven Einfluss auf die kindliche neuronale und metabolische Entwicklung hat.