Melphalan-Konjugat beim Multiplen Myelom |
Annette Rößler |
01.11.2022 09:00 Uhr |
Am Multiplen Myelom erkranken vor allem ältere Menschen. Meist erhalten sie mehrere Therapielinien, da es im Verlauf zu Rezidiven kommt. / Foto: Getty Images/Nadofotos
Melphalanfluphenamid (Pepaxti ® 20 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Oncopeptides) ist in Deutschland seit dem 1. Oktober auf dem Markt. Bei der Online-Pressekonferenz anlässlich der Einführung des Präparats gab Dr. Hans Salwender, Sektionsleiter Hämatologie am Asklepios Tumorzentrum in Hamburg, einen Überblick über die verfügbaren Therapieoptionen beim Multiplen Myelom und ordnete den Stellenwert von Pepaxti ein.
»An der Wirksamkeit von Melphalan besteht kein Zweifel«, berichtete Salwender. Auch 70 Jahre nach Einführung des Alkylans in die Therapie würden laut geltender europäischer Leitlinie alle Patienten mit Multiplem Myelom, die dafür infrage kommen, in der Erstlinie mit Hochdosis-Melphalan (200 mg/m2) behandelt. Anschließend erfolge eine autologe Stammzelltransplantation (ASCT). »Dabei ist das Melphalan der Wirkstoff, nicht die ASCT«, stellte der Hämatologe klar. Die ASCT sei nur erforderlich, damit die Melphalan-Dosis so hoch gewählt werden könne. Ohne anschließende ASCT würden die Patienten das Zytostatikum, dessen wichtigste Nebenwirkung eine Hemmung der Blutbildung sei, in dieser Dosis nicht vertragen.
Trotz eines initialen Ansprechens auf die Therapie kommt es bei den meisten Patienten mit Multiplem Myelom im Verlauf zu Rezidiven. Als Alternativen für die Erstlinie sowie für die Zweitlinie, Drittlinie und spätere Therapielinien gibt es mittlerweile eine große Auswahl an Wirkstoffen: Immunmodulatoren wie Lenalidomid oder Pomalidomid, Proteasom-Inhibitoren wie Bortezomib oder Ixazomib, Anti-CD38-Antikörper wie Daratumumab oder Isatuximab, Anti-SLAMF7-Antikörper wie Elotuzumab, gegen BCMA gerichtete Therapeutika wie das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Belantamab-Mafodotin und jetzt ganz neu auch XPO1-Inhibitoren wie Selinexor.
Laut Salwender ist diese Auswahl allerdings nur auf den ersten Blick immens, da immer häufiger auch bereits in frühen Therapielinien Kombinationen gegeben würden, wodurch die entsprechenden Wirkstoffklassen dann nach einem Rezidiv im weiteren Verlauf nicht mehr zur Verfügung stünden. Er begrüßte daher die Einführung von Pepaxti als weitere Option für intensiv vortherapierte Patienten.
Melphalanfluphenamid stellt ein Peptid-Melphalan-Konjugat dar, das aufgrund seiner Lipophilie schnell per passiver Diffusion in Zellen aufgenommen wird. Intrazellulär wird der Peptid-Anteil von der Melphalan-Komponente durch Aminopeptidasen abgespalten und so das Alkylans freigesetzt. Da Aminopeptidasen in Myelomzellen besonders aktiv sind, geschieht dies bevorzugt in den Krebszellen. »Mit Melphalanfluphenamid haben wir die Möglichkeit, Melphalan höher dosiert in die Plasmazellen zu transportieren«, fasste der Referent zusammen.
Das neue Präparat darf laut Zulassung in Kombination mit Dexamethason bei erwachsenen Patienten mit Multiplem Myelom angewendet werden, die zuvor mindestens drei Therapielinien erhalten haben. Die Patienten müssen gegen mindestens einen Proteasom-Inhibitor, einen Immunmodulator und einen Anti-CD38-Antikörper refraktär sein. Bei Patienten mit vorangegangener ASCT sollte die Zeit bis zur Progression nach der Transplantation mindestens drei Jahre betragen.
Die letztgenannte Bedingung sei wichtig, da ohne entsprechenden zeitlichen Abstand zu einer vorausgegangenen Melphalan-Hochdosistherapie kaum eine Wirkung zu erwarten sei, sagte Salwender. Bei Patienten, bei denen schon die Melphalan-Hochdosistherapie nicht angeschlagen habe, sei die Gabe von Pepaxti sehr kritisch zu hinterfragen, da sie davon wahrscheinlich kaum profitierten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei das neue Präparat aber eine Bereicherung für die Therapie.
Abschließend ging Salwender auf die Ergebnisse der für die Zulassung von Pepaxti ausschlaggebenden Studien HORIZON und OCEAN ein. In HORIZON sei eine Ansprechrate von knapp 30 Prozent zu verzeichnen gewesen. »Das hört sich erst einmal wenig an, aber man muss bedenken, dass die teilnehmenden Patienten stark vorbehandelt waren«, betonte der Mediziner. Auch mit Daratumumab oder Pomalidomid seien in diesem fortgeschrittenen Krankheitsstadium keine höheren Ansprechraten zu erwarten.
Melphalanfluphenamid wird mit 40 mg an Tag 1 jedes 28-tägigen Behandlungszyklus gegeben. Patienten, die weniger als 60 kg wiegen, erhalten 30 mg. Toxizitäten können eine Dosisreduktion, eine Unterbrechung der Therapie oder ein dauerhaftes Absetzen erforderlich machen. Die häufigsten Nebenwirkungen von Pepaxti sind laut Fachinformation Thrombozytopenie (83 Prozent der Behandelten), Neutropenie (72 Prozent), Anämie (66 Prozent), Übelkeit (21 Prozent), Diarrhö (19 Prozent) und Fieber (19 Prozent). Als häufigste schwerwiegende Nebenwirkungen werden Pneumonie (11 Prozent), Thrombozytopenie (5 Prozent) und Atemwegsinfektionen (4 Prozent) genannt.