Mehrere Bundesländer stellen Inspektionen in China ein |
Lukas Brockfeld |
28.05.2024 14:30 Uhr |
Im vergangenen Jahr erließ die chinesische Regierung ein Anti-Spionage-Gesetz, das eine Gefahr für die Arzneimittelversorgung in Deutschland werden könnte. / Foto: IMAGO/ITAR-TASS
Die Volksrepublik China hat im vergangenen Jahr ein neues Anti-Spionage-Gesetz erlassen. Die Paragraphen sind bewusst vage gehalten, sodass sie geeignet sind, jede Form der Informationsbeschaffung unter Strafe zu stellen. Für die Arzneimittelversorgung in Deutschland ist das ein Problem.
Damit in China produzierte Medikamente importiert werden dürfen, reisen deutsche Inspekteure regelmäßig in die Volksrepublik, um vor Ort die Herstellung zu überprüfen. Dafür fordern sie Dokumente an, inspizieren die Produktionsabläufe und sprechen mit den Verantwortlichen. Wenn alles in Ordnung ist, stellen sie ein sogenanntes GMP-Zertifikat aus.
Schon im April wurde darüber berichtet, dass viele deutsche Inspekteure nicht mehr nach China reisen, da sie befürchten, dort wegen Spionage verhaftet zu werden. Inzwischen haben laut einer neuen Recherche der »Welt am Sonntag« die Gesundheitsbehörden in Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein die Inspektionsreisen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Zur Begründung werden demnach »erhebliche Sicherheitsbedenken« angegeben. Andere Bundesländer führen zwar noch Inspektionen durch, klagen allerdings über erschwerte Bedingungen.
Das Land Baden-Württemberg, das für die meisten GMP-Kontrollen verantwortlich ist, teilte der »Welt am Sonntag« mit, dass man derzeit eine erste geplante Inspektionsreise prüfe. Dabei müsse man Fragen bezüglich der Freiheit und Sicherheit der Mitarbeitenden evaluieren.
Da viele Arzneimittel in China hergestellt werden, könnte sich die Situation zu einer ernsten Bedrohung für die Versorgungssicherheit in Deutschland entwickeln. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erklärte auf Nachfrage der PZ: »Diese Situation schafft größte Unsicherheit bei den Inspektoren und führt zur Weigerung, diese Auditierungen in chinesischen Produktionsanlagen vorzunehmen. Sie sind aber gesetzliche Vorgabe für die Einfuhr. Einige Wirkstoffzertifikate sind bereits abgelaufen oder drohen in den nächsten Monaten abzulaufen, was zum Stillstand in der Lieferkette bei verschiedenen Medikamenten führen wird.«
Der BPI kann noch nicht abschätzen, welche Medikamente genau betroffen wären. Man spüre aber deutlich, dass Deutschland und Europa sich in den vergangenen Jahren in eine Position der Abhängigkeit begeben hätten.
Der BPI steht bereits seit vergangenem Jahr mit dem Kanzleramt und verschiedenen Ministerien in Kontakt, bisher konnte allerdings keine Lösung erzielt werden: »Wir appellieren sehr an die deutsche Regierung, hier schnellstmöglich eine Lösung im Sinne der Unternehmen, vor allem aber im Sinne der funktionierenden Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten zu finden oder voranzutreiben. Zusätzliche Arzneimittelengpässe kann sich niemand leisten«, betonte Verbandssprecher Andreas Aumann.
Als Lösung wünscht sich der BPI eine schriftliche Klarstellung der Volksrepublik China, dass das Anti-Spionage-Gesetz nicht bei Inspektionen im Kontext von GMP und anderen Zertifikaten im pharmazeutischen Bereich Anwendung findet. »Hier ist aber die Bundesregierung gefragt, dies politisch umzusetzen. Um Zeit zu gewinnen, wären natürlich auch Verlängerungen der bestehenden Zertifikate möglich, um zumindest vorübergehend Produktions- und Lieferausfälle von Arzneimitteln zu verhindern. Beides liegt nicht in der Hand der Unternehmen; sie sind hier auf die Arbeit der Behörden angewiesen«, so Aumann.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) scheint die Sorgen des BPI nicht zu teilen. Auf Nachfrage der PZ erklärte das Ministerium, dass eine ernste Bedrohung der Arzneimittelversorgung in Deutschland durch das chinesische Gesetz aktuell nicht zu befürchten sei. »Auch vor der Verschärfung des Anti-Spionage-Gesetzes bestand ein gewisses Risiko für unwägbares Handeln der chinesischen Behörden im Zusammenhang mit Inspektionsreisen. Das Bundesministerium für Gesundheit steht in engem Austausch mit dem Auswärtigen Amt und den Ländern, um mögliche Bedenken und Risiken bei zukünftigen Inspektionsreisen zu minimieren«, so eine Sprecherin des BMG.