Mehr Geschlechtergerechtigkeit im Gesundheitswesen |
Melanie Höhn |
19.10.2023 09:00 Uhr |
Bei der automatisierten Auswertung von Daten, zum Beispiel mit KI, wird häufig keine ausreichende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte gewährleistet, kritisiert der Runde Tisch »Frauen im Gesundheitswesen«. / Foto: Adobe Stock/ipopba
Um eine Fehlversorgung von Frauen in der Gesundheitsversorgung zu verhindern, müssen vorhandene Wissenslücken in der geschlechtersensiblen Medizin geschlossen und Gender-Bias in der künstlichen Intelligenz (KI) ausgeschlossen werden, wie auf einer Podiumsdiskussion zum Thema »Digitales Gesundheitswesen ohne Gender-Bias« in Berlin gefordert wurde.
Für Diagnostik, Therapie und Versorgung sei KI inzwischen ein wichtiger Bestandteil – und für die korrekte Interpretation von Symptomen und Vitaldaten sei das Geschlecht als Information unerlässlich. Frauen seien jedoch in klinischen Studien nach wie vor unterrepräsentiert, wie in einem Positionspapier der 12 Trägerorganisationen des Rundes Tisches »Frauen im Gesundheitswesen« deutlich wurde. Dies führe dazu, dass die Datengrundlagen, auf die sich die Analysen der KI beziehen, unzureichend seien und somit ein Gender-Bias – sozusagen ein geschlechterbezogener Verzerrungseffekt – bestehe. Hinzu komme, dass bei der automatisierten Auswertung von Daten, zum Beispiel mit KI, häufig keine ausreichende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte gewährleistet sei. Eine in diesem Maße nicht gendergerechte Versorgung könne bereits als Fehlversorgung verstanden werden und »fatale Folgen« für die Frauengesundheit haben, heißt es in dem Papier weiter.
»Algorithmen und KI können nur so gut sein, wie die Daten, mit denen sie gefüttert werden«, betonte auch Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf dem Parlamentarischen Abend. Kirsten Kappert-Gonther, Abgeordnete der Grünen-Bundestagsfraktion und Vize-Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, ergänzte: »In der aktuellen medizinischen Landschaft ist es für eine bestimmte Diagnostik oder Therapie ein Risiko, eine Frau zu sein, weil bei Frauen bestimmte Erkrankungen nicht adäquat diagnostiziert werden«. Therapien seien häufig auf den männlichen Normkörper ausgerichtet, so die Politikerin weiter. »Zum Schaden aller, auch von Männern, die keinen männlichen Normkörper haben.«
Auch Professorin Silvia Thun vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) betonte, dass klinische Studien »sehr ungerecht« seien, weil nicht unterschieden werde zwischen Männern und Frauen.
Damit die digitale Transformation des Gesundheitswesens gelingen könne, fordern die 12 Partnerorganisationen die Entwicklung eines Leitbilds, das alle Geschlechter beim Aufbau von KI-gestützten Lösungen gleichermaßen mit einbezieht. »Geschlechtsspezifische Aspekte müssen in Ausbildung, (Grundlagen-) Forschung und Versorgung berücksichtigt werden, damit digitale Anwendungen sich zeitgemäß und divers an allen Geschlechtern orientieren können«, heißt es in dem Positionspapier weiter. Zudem wird eine höhere Repräsentanz von Frauen in der Datengrundlage, die Förderung von Parität in Lehre, Forschung und Führung im digitalen Bereich und die vermehrte Besetzung von Führungspositionen in der Gesundheits-IT durch Frauen gefordert.
Zu den Organisationen gehören der Bundesverband Managed Care (BMC), das Berlin Institute of Health (BIH), der Zusammenschluss Denkfabrik Apotheke, der Verband der Zahnärztinnen (Dentista), der Deutsche Ärztinnenbund, der Verein Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR), der Verein Healthcare Frauen, das Institut für Gendergesundheit, die Initiative Pro Quote Medizin, die Initiative SheHealth, der Verein Spitzenfrauen Gesundheit und der Verband der Zahnärztinnen (vzä).