Mehr Apotheke wagen |
Um zu unterstreichen, dass sie sich als Heilberufler sehen, die einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Patienten leisten, begrüßten die Delegierten des Deutschen Apothekertags den Bundesgesundheitsminister im weißen Kittel. Auch die ABDA-Präsidentin sprach zunächst im weißen Kittel. / © PZ/Alois Müller
Ihre Rede zu den Delegierten der Hauptversammlung fühle sich an wie ein Déjà-vu, sagte Overwiening zur Eröffnung des Apothekertags. Denn schon vor einem Jahr hätten die Apotheker in der Düsseldorfer Erklärung deutlich gemacht, dass die bewährten Strukturen der Arzneimittelversorgung über die heilberuflich geführten Apotheken stabilisiert und zukunftsorientiert weiterentwickelt werden müssen.
Verbessert habe sich seitdem aber nichts – im Gegenteil: Zu Kostenanstieg, Honorarstillstand und Fachkräftemangel sei als zusätzliche Belastung noch das schwerwiegende Skonti-Urteil hinzugekommen. Auch die Lieferengpass-Problematik bestehe nach wie vor. Das traurige Ergebnis dieser Entwicklungen sei ein Minusrekord von 500 Apotheken, die im Jahr 2023 ihre Türen für immer schließen mussten. Und im laufenden Jahr sei leider mit noch mehr Schließungen zu rechnen.
»Im Gegensatz zu diesem politischen Stillstand haben wir die vergangenen zwölf Monate tatkräftig genutzt.« Overwiening verwies auf den Protestmonat November 2023 sowie die anschließende Informationskampagne der ABDA. Apotheker im ganzen Land hätten im Sinne einer echten Graswurzelbewegung in unzähligen Gesprächen Politiker, Journalisten und Patienten über den derzeitigen Zustand der Arzneimittelversorgung aufgeklärt. »Ich bin überzeugt, dass uns genau dieser Weg zum Ziel führen wird«, sagte Overwiening und bedankte sich bei den Apothekern für deren Einsatz.
Denn in diesen Gesprächen sei deutlich geworden, dass das Vorhaben, die Apotheke vor Ort abzuwerten, von niemandem gewollt wird. »Apotheke ohne Apotheker ist ein exklusiver Wunsch nur des Bundesgesundheitsministeriums«, stellte die ABDA-Präsidentin klar. Auch zahlreiche Stellungnahmen und öffentliche Statements von verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen, die sich in dieser Frage hinter die Apotheker gestellt hätten, sprächen eine deutliche Sprache. Statt weniger, solle man mehr Apotheke wagen. »Gesundheit braucht mehr Apothekerinnen und Apotheker.«
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spüre diesen Widerstand – bis heute finde er innerhalb der Bundesregierung keine Mehrheit für sein Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) –, beharre aber auf seinen Plänen für den Strukturumbruch.
Da er eine mögliche Honorarreform, die aus Apothekersicht längst überfällig ist, an die Zustimmung zur sogenannten Apotheke light gekoppelt hat, stellten sich wohl etliche Apotheker die Frage, ob man bei den Strukturfragen nicht vielleicht doch ein Auge zudrücken solle, um beim Honorar einen Schritt voranzukommen. Doch dem erteilte Overwiening eine klare Absage: Hier einzulenken, würde nur zu faulen Kompromissen führen und die politische Position der Apothekerschaft schwächen. »Apotheke ohne Apotheker ist ein Frontalangriff auf unseren Berufsstand und nicht kompromisstauglich«, betonte sie.
Auch ein Blick über die Landesgrenzen zeige, dass Lauterbach mit diesem Vorhaben auf dem Weg in die falsche Richtung sei. »In vielen Ländern dieser Welt werden derzeit Gesetze verabschiedet, mit denen die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker ausgebaut und gestärkt werden«, sagte Overwiening. Dort habe die Politik erkannt, dass in älter werdenden Gesellschaften der heilberufliche Beratungsbedarf steigt. Die Abwertung der Apotheke durch die geplante Reform werde dagegen den Fachkräftemangel verstärken, da junge Kolleginnen und Kollegen in andere Bereiche abwandern würden, wenn Kreativität und Kompetenz in der Offizin immer weniger gefragt seien.
Lauterbachs Vorstellung von Telepharmazie, bei der ein Apotheker per Fernberatung in eine apothekerlose Abgabestelle zugeschaltet werden kann, stelle keine Innovation dar, sondern eine Schwächung des Apothekerberufs. Es sei ein Täuschungsmanöver, wenn der Minister argumentiere, dass er die Apothekerschaft damit vor der »Amazonisierung« schützen wolle. Denn: »Warum unterstützen ausländische Versender ein Gesetz, das die Apotheken vor Ort vor dem Versand schützen soll?«, fragte die ABDA-Präsidentin. Echte Telepharmazie »aus unseren Apotheken vor Ort« gebe es schon längst – und sie diene den Menschen, weil diejenigen, die nicht in die Apotheke kommen können, fernmündlich beraten würden.
Doch die Apotheken könnten erfolgreich sein – wenn sie zusammenhalten und gemeinsam für ihre Ziele kämpfen. Dabei warb sie auch um Vertrauen in die politische Arbeit der ABDA. »Wenn wir als Apothekerschaft untereinander eine Kultur des Vertrauens leben, gibt uns das die passende und notwendige Macht. Wir müssen uns über unsere gemeinsamen Ziele im Klaren sein und daran festhalten«, forderte Overwiening. »Hier und heute ist es an der Zeit, unsere Überzeugungen noch einmal klar zu benennen.«
Der Staat müsse dafür sorgen, dass die Apotheken ihren gesetzlichen Auftrag weiter ausführen können, und zwar wirtschaftlich rentabel und »mit Luft zum Atmen«. Die Apothekerschaft habe zahlreiche Ideen vorgelegt, wie man besser und gezielter honorieren könne. »Das Argument, dass es im GKV-System schlichtweg kein Geld für ein höheres Apothekenhonorar gebe, hat keinen Bestand«, konstatierte Overwiening und schlug vor, zum Beispiel bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen oder Fahrtkosten für Patienten anzusetzen, die beide jeweils deutlich höher liegen als die Ausgaben für die Apotheken.
Dass eine Honorarerhöhung bei den Apotheken Beitragssatzsteigerungen auslösen würde, sei ein »Totschlagargument«, dem man entgegenhalten könne: »Fragen Sie die Patientinnen und Patienten, wofür sie eher bereit wären, eine Erhöhung des Beitragssatzes in Kauf zu nehmen. Für eine sichere, niedrigschwellige Rund-um-die-Uhr-Arzneimittelversorgung und den verbindlichen Zugang zu einem vertrauten Apotheker vor Ort – oder für die Vorstandsgehälter und Verwaltungsausgaben der rund hundert Krankenkassen in Deutschland.«
Overwiening wehrte sich auch gegen Vorwürfe des Ministeriums, Modernisierung und Reformen grundsätzlich negativ gegenüberzustehen. Neben dem bereits vorgelegten Katalog sollen demnächst neue Ergebnisse einer Arbeitsgruppe über die »Apotheke der Zukunft« öffentlich werden.
Ziel sei es, die Kompetenzen der Apotheker noch stärker in die Versorgung einzubringen – mit mehr Entscheidungskompetenzen, deutlich weniger Bürokratie und neuen, vergüteten Leistungen, zum Beispiel in der Prävention und Adhärenzförderung. Zudem würden die Apotheken bei der weiteren digitalen Transformation im Gesundheitswesen eine entscheidende Rolle spielen. »Wir erklären den Menschen, wie neue, innovative Versorgungsformen funktionieren, helfen Ängste abzubauen und schaffen breite Akzeptanz für digitale Anwendungen«, so Overwiening.
Der Weg zum Erfolg werde ein Marathon, stimmte die ABDA-Präsidentin die Apothekerschaft ein. Doch niemand gehe diesen Weg alleine: »Wenn wir uns gegenseitig Kraft geben, schaffen wir, ausdauernd weiterzulaufen.«