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β-Amyloid sensibilisiert Zellen für den Zelltod

16.06.2003  00:00 Uhr
Morbus Alzheimer

β-Amyloid sensibilisiert Zellen für den Zelltod

von Conny Becker, Eschborn

Extrazelluläre Plaques aus β-Amyloid gelten seit Jahren als typisches Zeichen einer Alzheimer-Demenz. Weniger bekannt ist, dass sich das Peptid auch innerhalb der Zelle zu Oligomeren zusammenlagert. So scheint es Zellfunktionen zu beeinflussen und die Zellen in den programmierten Zelltod zu treiben –erste Schritte in der neurotoxischen Kaskade.

Morbus Alzheimer gilt als die am besten erforschte neurodegenerative Erkrankung. Dennoch liegt noch vieles im Dunkeln, was die pathologischen Prozesse angeht. Fest steht, dass sich im Gehirn der Patienten durch oxidativen Stress veränderte Proteine ansammeln. Intrazellulär akkumulieren so genannte neurofibrilläre Bündel aus tau-Protein, extrazellulär finden sich die typischen Plaques aus β-Amyloid (Aβ). Entzündungen als Reaktion auf die Ablagerungen verschlimmern die Lage in der betroffenen Hirnregion, da einwandernde Mikrogliazellen zytotoxische Radikale freisetzen und so weitere Proteine schädigen.

Die Zahl der Amyloid-Plaques korreliert jedoch nicht immer mit dem Grad der Erkrankung. Wahrscheinlich spielen zusätzliche Mechanismen bei der Entstehung der Demenz eine Rolle. Daher untersucht Dr. Anne Eckert vom Pharmakologischen Institut, Biozentrum der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, toxische Effekte von Aβ innerhalb der Zelle. Sie präsentierte ihre Daten am 10. Juni während eines Pressegesprächs im Biozentrum, zu dem die „Alzheimer Forschung Initiative“, Düsseldorf, eingeladen hatte.

Etwa 10 Prozent aller Alzheimer-Erkrankungen liegt ein genetischer Defekt zugrunde. Wissenschaftler identifizierten Alzheimer-spezifische Mutationen bislang in drei Regionen der Erbsubstanz: dem Gen für das Amyloidvorläuferprotein (APP) sowie den Genen für Präsenilin 1 und 2 (PS1/2). Alle etwa 60 bekannten genetischen Veränderungen bewirken, dass β- und γ- Sekretase das Amyloidvorläuferprotein verstärkt schneiden. Dadurch produzieren die Zellen vermehrt das krank machende Peptid Aβ.

Mitochondrien im oxidativen Stress

Ein zusätzlicher Faktor bei der Entstehung der Demenz ist offenbar oxidativer Stress. Die bei älteren Menschen ohnehin stärker ausgeprägte Freisetzung der schädlichen Sauerstoffradikale ist bei Alzheimer-Patienten zusätzlich erhöht. Dabei spielt die Anreicherung von Metallionen zwischen den Zellen eine Rolle. Aβ erzeugt auch selbst oxidativen Stress, indem es Redox-aktive Metalle wie Zink, Kupfer und Eisen mit einer hohen Affinität bindet. So produziert es Wasserstoffperoxid und bewirkt die Autooxidation des Metallopeptid-Komplexes.

Oxidative Stressoren schädigen außerdem Enzyme der Atmungskette wie die Cytochromoxidase, so dass zusätzlich Sauerstoffradikale entstehen. Ausgerechnet das Mitochondrium als Hauptquelle der Radikale reagiert jedoch äußerst sensibel auf die aggressiven Verbindungen. Mit fortschreitender Schädigung geht die mitochondriale ATP-Synthese zurück, so dass weniger Energie für Reparaturprozesse vorhanden ist. Zudem sinkt das Membranpotenzial, die Mitochondrienmembran wird durchlässiger und zum Beispiel Cytochrom C verstärkt freigesetzt. Dies stößt die apoptotische Signalkaskade an, die das Absterben der Zelle einleitet.

Das Mitochondrium spielt somit bei der Apoptose eine zentrale Rolle. In der Kaskade vorgeschaltete Enzyme wie die Caspase 2 und die so genannte „Stresskinase“ JNK vermitteln zudem ihre Apoptosereize über das Zellorganell. Dabei erhöht die Caspase 2 offensichtlich die Permeabilität der Mitochondrienmembran und induziert so die Freisetzung von Cytochrom C. JNK phosphoryliert nach Aktivierung durch oxidativen Stress c-Junc und andere Transkriptionsfaktoren im Zellkern und aktiviert auf diese Weise die mitochondriale Apoptose-Maschinerie.

β-Amyloid sensibilisiert für Apoptose

Um diese Vorgänge weiter zu untersuchen, verwendete Eckert Rattenzellen, die eine bestimmte Mutation im Amyloidvorläuferprotein (APPsw) trugen. Dadurch entstanden pathologische Aβ-Konzentrationen. Zum Vergleich dienten Zellen mit genetisch nicht verändertem Amyloidvorläuferprotein (APPwt), die Aβ in physiologischen Konzentrationen produzierten, sowie Zellen, denen das Protein vollständig fehlte.

Die Untersuchungen ergaben, dass eine vier- bis fünffach erhöhte Aβ-Konzentration allein die Apoptoserate nicht steigerte. Allerdings ließen sich bereits erste Veränderungen an den Mitochondrien der Zellen nachweisen, die Aβ anreicherten: Das Membranpotenzial und die ATP-Produktion waren reduziert. Eckert setzte daraufhin die Zellen oxidativem Stress als einem zusätzlichen Alzheimer-Risikofaktor aus. Nach Zugabe von Wasserstoffperoxid starben 51,4 Prozent der Zellen ab – verglichen mit 28,4 Prozent der Zellen, die Aβ in physiologischen Konzentrationen enthielten und 21,3 Prozent der Kontrollzellen ohne Aβ.

 

Mit einer Demenz werden in der immer älter werdenden Gesellschaft mehr und mehr Menschen konfrontiert. Schon jetzt leiden 1 bis 1,2 Millionen Deutsche an Alzheimer, der häufigsten neurodegenerativen Erkrankung. Im Jahr 2030 sollen sogar 2 Millionen Menschen betroffen sein, so die Prognosen. Angesichts dieser Zahlen bemüht sich die „Alzheimer Forschung Initiative“ nicht nur darum, die Öffentlichkeit über diese Demenzform zu informieren. Seit 1996 fördert der Verein jedes Jahr Forschungsprojekte zu Ursachen und Diagnose der Erkrankung sowie klinische Studien. Darüber hinaus hat sie eine Reihe von Publikationen für Erkrankte oder deren Familien erstellt, die Interessierte kostenlos erhalten können. Weitere Informationen finden sich unter www.alzheimer-forschung.de.

 

Eckert zeigte damit, dass die zur Apoptose führende Caspase-Kaskade bei erhöhten Aβ-Konzentrationen angestoßen wird. Die den Mitochondrien vorgeschaltete Caspase 2 wies in den APPsw-Zellen eine vierfach erhöhte Aktivität gegenüber den Wildtyp- und Vektor-Zellen auf. Überdies war die Konzentration von Cytochrom C und damit verbunden die Expression von Caspase 9 gegenüber den Zellen, die kein Aβ enthielten, erhöht. Zellen, die Aβ in physiologischen Mengen bildeten, zeigten dabei jedoch die gleichen Werte. Eckert vermutet, dass schon geringe Mengen Aβ ausreichen, um diesen Weg zum Zelluntergang frei zu schalten.

Auch die Aktivität der Caspase 3 war unter den höheren Aβ-Konzentrationen deutlich gegenüber beiden Kontrollansätzen erhöht. Ursache dafür war unter anderem, dass Caspase 8 in den APPsw-Zellen dreifach aktiver ist. Caspase 8 gehört jedoch zu denjenigen Apoptoseenzymen, die auf Reize außerhalb der Zelle reagieren. Sie wird über einen in der Zellmembran sitzenden Todesrezeptor freigesetzt und aktiviert ebenfalls Caspase 3. Ob ihr Aktivitätsanstieg jedoch mit dem intrazellulären Aβ Anstieg oder dem extrazellulär sezernierten Aβ via Todesrezeptoren zusammenhängt, ist noch unklar.

Pharmakologischer Angriffspunkt

Neben dem Caspase-Weg aktivierte eine erhöhte Aβ-Konzentration in vitro auch JNK und c-Jun. Dieser Effekt war dosisabhängig, auch in den Zellen mit physiologischer Aβ-Menge ließen sich erhöhte Werte nachweisen. Hier sieht Eckert einen potenziellen Angriffspunkt, um die Zelle vor dem Untergang zu schützen. Während Caspase-Inhibitoren nur mäßige Schutzwirkung zeigten, konnte der selektive JNK-Inhibitor SP600125 im Zellmodell die Aktivität der Caspasen 9 und 3 deutlich reduzieren. Eine Vorbehandlung der APPsw-Zellen mit dem Inhibitor senkte die Apoptoserate bis fast auf das Niveau der Zellen ohne Aβ. In einem derart frühen, die Mitochondrien schützenden Eingriff sieht Eckert Möglichkeiten für die zukünftige Alzheimer-Therapie. Da die Mitochondrien eine zentrale Stellung im Apoptosegeschehen einnehmen, gilt für sie die Stabilisierung des Zellorganells als essenziell.

 

Quellen

  • Eckert, A., et al., Neurotoxic Mechanisms Caused by the Alzheimer´s Disease-linked Swedish Amyloid Precursor Protein Mutation. The Journal of Biological Chemistry 278 (2003)
  • Müller, W. E., et al., Mitochondrial dysfunction, apoptotic cell death, and Alzheimer´s disease. Biochem. Pharmacol. (2003) im Druck

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