Resistente Erreger breiten sich aus |
22.03.2004 00:00 Uhr |
Tuberkulose ist heilbar, wenn sie rechtzeitig diagnostiziert und umgehend und effektiv behandelt wird. Zum Welttuberkulosetag 2004 berichtet die WHO nun von einer Besorgnis erregenden Resistenzentwicklung gegenüber den Standardmedikamenten.
„In einigen Regionen der Erde haben Antibiotikaresistenzen bei Tuberkuloseerregern erschreckende Ausmaße angenommen“, sagte Dr. Kitty Lambregts von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Vorstellung des Third Global Report der WHO im Berliner Robert-Koch-Institut. Jedes Jahr versterben weltweit etwa zwei Millionen Menschen an den Folgen der Tuberkulose (TB) und dies trotz wirksamer Medikamente und einer effizienten Strategie der WHO zur Behandlung und Kontrolle der Infektionskrankheit.
In den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion hat sich die Sterblichkeit an TB seit 1990 fast verdreifacht. Die schlechte wirtschaftliche Situation habe zu einer Vernachlässigung der nationalen Tuberkulose-Programme geführt, sagte Professor Dr. Robert Loddenkemper vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK). Darüber hinaus nannte der Experte mangelnde hygienische Verhältnisse, schlechte Ernährung und geschwächte Abwehrkräfte, zumeist auch in Folge von Aids, als Gründe für die Misere. Zudem behindert die Überbelegung in russischen Gefängnissen eine wirksame Infektionskontrolle. Etwa 20 Prozent der über eine Million Inhaftierten leiden an einer TB mit resistenten Erregern und tragen sie mit ihrer Entlassung nach außen.
Widerstandsfähige Bakterien
Antibiotikaresistenzen bauen sich insbesondere dort auf, wo Ärzte die Medikamente nicht adäquat verschreiben, Patienten ihre Arzneimittel unregelmäßig einnehmen beziehungsweise die Therapie abbrechen oder das Land keine vernünftigen Vertriebswege für die benötigten Medikamente aufgebaut hat. Dazu müssen Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol beziehungsweise Streptomycin gleichzeitig und überall im Land erhältlich sein.
Reagieren Patienten nicht mehr auf die zwei wichtigsten Standardmedikamente Isoniazid und Rifampicin, spricht man von einer MDR-Tuberkulose (Multi Drug Resistant Tuberculosis). Und die resistenten Bakterien werden laut WHO immer widerstandsfähiger. Fast 80 Prozent der an MDR-TB-Erkrankten haben die neuen „super strains“, die gegen drei oder sogar vier der Standardmedikamente resistent sind. Eine MDR-TB ist oftmals fatal. So kann der Behandlungserfolg mit einer Second-line-Therapie nicht garantiert werden, sagte Lambregts. Außerdem sind hier die unerwünschten Wirkungen erheblich, die Kosten steigen über das Hundertfache einer normalen Behandlung und auch der Aufwand vergrößert sich. Eine Therapie dauert dann nicht mehr wie üblich sechs Monate, sondern kann sich über mehr als zwei Jahre erstrecken.
Von den jährlich rund neun Millionen neu an Tuberkulose Erkrankten weltweit weisen etwa 300.000 eine MDR-TB auf. Besonders betroffen sind Estland, Kasachstan, Lettland, Litauen, Usbekistan und Teile der Russischen Föderation. In diesen Ländern erkranken bis zu zehnmal mehr Menschen an der MDR-TB als in anderen Erdteilen. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Erreger infiziert zu werden, der gegenüber allen vier Standardmedikamenten resistent ist, liegt dreißigfach höher. Dabei ist das Risiko für eine MDR-TB besonders hoch, wenn eine latente Tuberkulose nach Jahren erneut ausbricht. So zeigt inzwischen über die Hälfte aller wiedererkrankten Menschen in Kasachstan eine Multiresistenz.
Viele Länder, darunter diejenigen mit dem größten Risikopotenzial, sind noch nicht umfassend untersucht, sagte Lambregts. So fehlen in Indien, Indonesien, Russland und China nach wie vor die notwendigen Labore und entsprechende Untersuchungs-Programme. In einigen Regionen Chinas leiden bereits 10 Prozent aller Neuerkrankten unter einer MDR-TB. Die wenigen Daten aus Afrika zeigen, dass MDR-TB auf diesem Kontinent kein wirkliches Problem darstellt, berichtete die WHO-Expertin. Da es dort außerhalb internationaler Hilfsprogramme kaum TB-Arzneimittel gibt, konnten diese auch nicht missbraucht werden. Lediglich Südafrika zähle bis zu 4000 neue MDR-Patienten pro Jahr.
Problemfall Deutschland
In Deutschland wird häufig nicht an die Möglichkeit einer Tuberkulose gedacht und daher die Diagnose TB erst nach Monaten gestellt. Auch die Tuberkulosetherapie ist hierzulande nicht immer optimal. Nur bei 80 Prozent der Patienten wird das empfohlene Kombinations-Schema mit den vier Standardmedikamenten verwandt. Das abnehmende Wissen zur Tuberkulose unter den deutschen Ärzten kann angesichts der kommenden EU-Erweiterung und der damit verbundenen Zuwanderung durchaus gefährlich werden, sagte Loddenkemper.
Pro Jahr treten in Deutschland zwischen 7000 und 8000 Neuerkrankungen auf. Besonders sind Menschen zwischen 20 und 40 Jahren sowie Ältere über 60 Jahre betroffen. In der mittleren Altersgruppe entwickeln vor allem ausländische Staatsbürger eine aktive TB, über ein Viertel dieser Menschen ist in Osteuropa geboren und aufgewachsen. „Dies kann auch an der Resistenzsituation abgelesen werden“, sagte Dr. Walter Haas vom Robert-Koch-Institut. Denn der Anteil an MDR-Tuberkulose ist bei diesen Patienten achtfach höher als bei in Deutschland geborenen.
Inzwischen treten auch in Deutschland immer mehr Resistenzen auf. So wuchs der Anteil der Tuberkuloseerreger, die gegen mindestens eines der fünf Standardmedikamente resistent sind, von 10,9 Prozent im Jahr 2001 auf 12,1 Prozent in 2002. „Für die Bundesregierung besteht daher ein verstärktes Interesse, sich wieder mit dieser Erkrankung zu beschäftigen“, sagte Dr. Volker Grigutsch vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Soll und Ist
Zur Lösung des Resistenzproblems müssen weltweit DOTS-basierte Strategien eingeführt werden, darüber sind sich die Experten einig. Die DOTS-Strategie (directly observed treatment short course) zur Verhinderung und Behandlung der TB setzt auf eine möglichst vollständige Entdeckung der Tuberkulosefälle, eine kontrollierte Kombinationstherapie über sechs Monate und eine Überwachung der Behandlungsergebnisse. In DOTS-Plus-Ländern wie Deutschland werden die Bakterien im Labor zusätzlich auf Resistenzen geprüft. Nur so können Arzneimittel gezielt gegeben werden.
Negativbeispiele in der TB-Behandlung sind jedoch weiterhin aktuell. So wird derzeit auf den Philippinen das Antibiotikum Ofloxacin ohne Strategie eingesetzt. Neben der Therapie verschiedenster Infektionskrankheiten nutzen es Ärzte dort verstärkt zur TB-Bekämpfung. In der Folge steigt die Zahl der Resistenzen gegenüber Ofloxacin erheblich.
Loddenkemper zeigte am Beispiel der ehemaligen Sowjetunion, dass Medikamente eine gesicherte Qualitätskontrolle brauchen. Dort wurden billige Tuberkulosemittel aus Indien vertrieben, die auf Grund ihrer Qualität erst recht Resistenzen hervorriefen.
Hilfe für ärmere Länder
Inzwischen hat die WHO mit der Pharmaindustrie spezielle
Arzneimittelpreise für ärmere Länder mit Nachlässen bis zu 95 Prozent
ausgehandelt. Länder, die in den Genuss dieser günstigen Medikamente
kommen möchten, können sich an das von der WHO gegründete Green Light
Committee wenden. Dieses international besetzte Gremium legt fest, wie in
länderweiten Programmen MDR-TB diagnostiziert und behandelt werden sollte.
Eine erste Richtlinie hierzu wird in diesem Jahr erwartet. Zudem prüft das
Green Light Committee, ob diese Programme in den Staaten eingeführt sind,
und gibt erst dann die Genehmigung für die Einfuhr von
Zweitrangmedikamenten frei.
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