Ob spezielle Babynahrung Allergien verhindert, entscheiden die Gene |
03.06.2002 00:00 Uhr |
Eine Allergiekarriere nimmt zumeist mit einer Nahrungsmittelallergie im Kleinkindalter ihren Anfang. Stillen in den ersten sechs Monaten ist die beste Möglichkeit, dieser Entwicklung zu stoppen. Was aber, wenn die Mutter nicht stillen kann oder will? Halten hypoallergene Säuglingsnahrungen, was sie versprechen? Eine Antwort gab es letzte Woche auf der Allergica.
"Aus unerfindlichen Gründen ist die Bevölkerung auf das Thema Nahrungsmittelallergien extrem sensibilisiert", informierte Professor Dr. Stephan Bischoff von der Medizinischen Hochschule Hannover auf der Allergica Ende Mai in Frankfurt. 20 bis 30 Prozent der Deutschen glauben, auf Nahrungsmittel krankhaft zu reagieren. 25 Prozent der US-Bürger geben in Umfragen an, ihre Ernährungsgewohnheiten wegen einer Nahrungsmittelallergie umgestellt zu haben.
In der Tat hat die Prävalenz von Nahrungsmittelallergien zugelegt, sie liegt aber weit unter den Befürchtungen der Bevölkerung. "Sie macht sich meist im Kleinkindalter bemerkbar, bei der Einschulung sind die Kinder dann oft schon wieder tolerant. Die Nahrungsmittelallergie hat bei Kindern eine Prävalenz von vier, bei Erwachsenen von einem Prozent." Allerdings entpuppt sich eine Nahrungsmittelallergie häufig (bis zu 80 Prozent der Fälle) als Vorreiter einer Inhalationsallergie, mit der dann die Erwachsenen zu kämpfen haben. Die häufigsten Nahrungsmittelallergene im Vorschulalter sind Kuhmilch, Hühnereiweiß, Weizen, Soja und Erdnüsse.
Weil eine Nahrungsmittelallergie zumeist ein Leben mit Allergien einläutet und der frühe Allergenkontakt neben der genetischen Disposition eine nicht unerhebliche Rolle spielt, "macht die alimentäre Allergieprävention Sinn", sagte Andrea von Berg, Marienhospital Wesel. Stillen sei unantastbar die Nummer eins, wenn es um die Verhinderung von Allergien geht. Wenn die ausschließliche Ernährung mit Muttermilch in den ersten vier bis sechs Monaten nicht möglich ist, werden Kindern mit genetischer Disposition zur Allergie Hydrolysatnahrungen (HA-Nahrungen) empfohlen. Berg ging der Frage nach, ob sie wirklich dazu beitragen können, eine Allergie zu verhindern.
Angebot entwirren
Unter HA-Nahrungen versteht man Säuglingsnahrungen, deren Antigengehalt durch Bearbeitung der Nahrungsproteine mit Hilfe lebensmitteltechnologischer Verfahren (enzymatische Spaltung, Ultraerhitzung, -filtration) in unterschiedlichem Ausmaß reduziert wurde. Das Angebot an HA-Nahrungen ist groß und verwirrend; grundsätzlich kann man sie jedoch in schwache und starke beziehungsweise partiell und extensiv hydrolysierte Nahrungen sowie in Molken- und Caseinhydrolysate einteilen, erklärte von Berg. Erstere Unterscheidung bezieht sich auf die Art der Bearbeitung und den resultierenden Restantigengehalt, gekennzeichnet durch das Molekulargewicht, letztere ist bedingt durch das Protein, aus dem die Ersatzmilch aufgebaut ist.
Früher setzte man zur Prävention nur schwache und zur Therapie starke Hydrolysate ein. Das hat sich geändert. Jetzt werden auch starke Hydrolysate zur Allergieprävention empfohlen. Wichtig: Partielle Hydrolysate sind für die Therapie von Kindern mit einer Kuhmilcheiweißallergie tabu, weil sie wegen ihres hohen Restantigengehaltes eventuell einen anaphylaktischen Schock auslösen können.
"Zwar konnten viele Studien der letzten Jahre zeigen, dass sowohl extensive als auch partiell hydrolysierte Säuglingsnahrungen eine Allergie verhindern helfen. Allerdings weisen viele dieser Studien methodische Mängel auf", sagte von Berg. "Es wurde immer der Effekt auf Nahrungsmittelallergien und atopische Dermatitis beobachtet; inwieweit respiratorische Allergien verhindert werden können, wurde bislang nicht untersucht." Dem soll die GINI-Studie (German Infant Nutritional Intervention Program) Abhilfe schaffen, von Berg stellte erste Teilergebnisse vor. Die GINI-Studie vergleicht prospektiv, randomisiert und doppelblind den vor Allergien schützenden Effekt von drei unterschiedlichen HA-Nahrungen mit einer herkömmlichen Kuhmilchformel. An der Studie haben 2252 Neugeborene mit mindestens einem atopischen Familienmitglied ersten Grades teilgenommen, die ein schwaches und ein starken Molken- sowie ein starkes Caseinhydrolysat erhielten. Da Stillen nicht randomisierbar ist, wurden die ausschließlich Gestillten als Sondergruppe analysiert.
Nur starkes Caseinhydrolysat wirksam
Bei der Zwölf-Monats-Auswertung war nur das starke Caseinhydrolysat im Vergleich zur herkömmlichen Kuhmilchformula in der Lage, signifikant die Manifestation eines atopischen Ekzems, einer Urtikaria und/oder Nahrungsmittelallergie zu reduzieren (9,1 Prozent versus 15,6 Prozent). Von Berg: "Die Studie zeigt erstmals, dass der alimentäre Präventionseffekt durch das genetische Risiko des Kindes beeinflusst wird." Eine atopische Dermatitis bei einem Angehörigen ersten Grades erhöhte nicht nur die Inzidenz für eine Neurodermitis bei den Kindern im Alter von einem Jahr in allen Ernährungsgruppen, sondern beeinflusste wesentlich den Effekt der einzelnen HA-Nahrungen.
Bei den Kindern, die zwar familiär belastet sind, bei denen aber weder Eltern noch Geschwister eine atopische Dermatitis haben, konnte mit allen drei HA-Nahrungen das relative Risiko einer atopischen Dermatitis um 45 bis 58 Prozent im Vergleich zur Kuhmilchformula gesenkt werden. Wenn dagegen eine Neurodermitis in der engsten Familie ausgebrochen war, hatten das schwache und starke Molkenhydrolysat im Vergleich zur Kuhmilchersatznahrung keinen Effekt. Dagegen senkte das starke Caseinhydrolysat das relative Risiko um mehr als die Hälfte. Von Berg schließt daraus, dass die präventive Wirkung von HA-Säuglingsnahrung nicht allein vom Molekulargewicht und dem Basisprotein abhängt. "Wie gut sie vorbeugt, hängt vor allem vom individuellen Risiko ab, eine Allergie zu bekommen."
Für Mitte dieses Jahres wird die Endauswertung der GINI-Studie erwartet. Dann sind die untersuchten Kinder drei Jahre alt, und es können Aussagen getroffen werden, inwieweit HA-Nahrung inhalative Allergien verhindern hilft.
Eine Frage der Psyche?
Menschen, die glauben, auf Lebensmittel allergisch zu reagieren, sind psychisch labiler, haben häufiger Neurosen oder geriatrische Erkrankungen als Gesunde, stellte Bischoff verschiedene Untersuchungen vor. "Es gibt allerdings keine Beweise dafür, dass Störungen der Psyche einer Nahrungsmittelallergie Vorschub leisten können." Tatsache dagegen sei, dass Neurodermitiker ein 30 bis 35 Prozent höheres Risiko haben, eine solche auszubilden. Auch Personen mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa machen manche Lebensmittel häufiger Beschwerden. "Über auslösende Faktoren der Nahrungsmittelallergie wissen wir recht wenig. Sie könnte Ausdruck einer gesteigerten Darmpermeabilität kombiniert mit einer mukosalen Hypersensitivität sein", mutmaßte Bischoff. Jedoch sei sie nicht mit "einer Allergie des Gastrointestinaltrakts" gleichzusetzen, denn parallel könnten sich auch Reaktionen auf der Haut und der Lunge zeigen. "Warum der eine Patient so reagiert und der andere nicht oder warum sich die Beschwerden im Laufe des Lebens ändern, ist nicht bekannt."
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