Medizin
Welche Studie zu welchem Anlaß?
Nicht jede Untersuchungsmethode
eignet sich für jede medizinische Fragestellung. Die
Aussagekraft einer Studie hängt maßgeblich von ihrer
Konzeption ab. Auf einem Presseworkshop der Knoll AG
bewertete Professor Peter Elwood, University of Wales,
die vier wichtigsten Vorgehensweisen für
epidemiologische Untersuchungen.
1. Die kontrollierte Fallstudie (case-control
study) ist die preiswerteste und am einfachsten
durchzuführende Studienform. Die Untersuchungsleiter
stellen eine Gruppe kranker Patienten zusammen und
vergleichen jeden einzelnen Kranken mit einer gesunden
Person ähnlichen Alters und Gewichtes mit entsprechenden
Lebensbedingungen. Schwierigkeiten: Die Auswahl der
Patienten ist nicht repräsentativ, denn bei einigen
Krankheiten, etwa Herzinfarkt oder Krebs, stehen nur die
Überlebenden zur Verfügung. Bei anderen Krankheiten
werden nur schwere Fälle erfaßt, da leichtere
Krankheitsverläufe symptomfrei bleiben. Die Kranken
gehen deshalb nicht zum Arzt und bleiben unerkannt. Bei
langsam fortschreitenden Krankheiten liegt der
medizinisch interessante Beginn oft Jahre zurück.
Grenzen: Kontrollierte Fallstudien können nicht
zuverlässig zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden
(Ist der Patient herzkrank, weil er hohen Blutdruck hat
oder hat er hohen Blutdruck, weil er herzkrank ist?).
Aussagen über Parameter wie Prävalenz oder Inzidenz
können auf diese Weise nicht ermittelt werden.
2. Bei der Überblicksstudie (cross-sectional survey)
wird ein repräsentativer Teil der Bevölkerung oder
einer Bevölkerungsgruppe untersucht und befragt. Es
werden relevante Faktoren für eine Krankheit ermittelt.
Stärken: Es werden alle Krankheitsstadien von
präsymptomatisch bis Endstadium erfaßt. Verläßliche
Aussagen über die Prävalenz einer Erkrankung sind
zumeist möglich. Schwierigkeiten: Nur bei einer hohen
Beteiligungsquote über den gesamten
Untersuchungszeitraum werden valide Resultate gewonnen.
Grenzen: Wie bei der Fallstudie können Ursachen und
Wirkungen nicht zweifelsfrei getrennt werden.
3. Eine prospektive Kohortenstudie (prospective cohort
study) läuft zumeist über mehrere Jahre mit einer sehr
großen repräsentativen Probandengruppe. Die Teilnehmer
werden zu Studienbeginn untersucht, krankheitsrelevante
Faktoren werden regelmäßig gemessen. Dann werden die
Probanden über einen längeren Zeitraum beobachtet.
Stärken: Valide Aussagen über Inzidenz oder
Krankheitsrisiko sind möglich. Relevante Faktoren werden
bereits vor Ausbruch einer Krankheit gemessen, deshalb
kann auch die Frage nach Ursache und Wirkung beantwortet
werden. Risikofaktoren können so sicher bestimmt werden.
Schwierigkeiten: Für viele Krankheiten muß eine sehr
große Probandengruppe über einen langen Zeitraum
beobachtet werden. So wurden in einer amerikanischen
Herzstudie 5000 Menschen über fünf Jahre beobachtet.
Die Untersuchungsmethode ist deshalb sehr teuer. Die Zahl
der Aussteiger muß klein bleiben. Viele Probanden haben
für den Abbruch einen Grund, der möglicherweise für
eine Gesamtbeurteilung der Studie relevant ist, aber
nicht erfaßt wird.
4. Die randomisierte kontrollierte Doppelblindstudie
(randomised controlled trial) gilt für die meisten
Fragestellungen als Königsweg. Das Probandenkollektiv
wird nach dem Zufallsprinzip in zwei gleich große
Gruppen eingeteilt. Die eine wird behandelt,
beziehungsweise soll ihr Verhalten in einem bestimmten
Punkt ändern, die andere Gruppe erhält Placebo oder ein
bisher in die Therapie eingeführtes Vergleichspräparat
oder soll ihr Verhalten in einem nicht relevanten Punkt
ändern.
Stärken: Anhand dieser Studienform können sichere Daten
über die Effekte einer medikamentösen Intervention oder
der Vermeidung eines potentiellen Risikofaktors gegeben
werden. Schwierigkeiten: Diejenigen, die sich der
Behandlung entziehen, müssen trotzdem in der Auswertung
berücksichtigt werden. Für manche Erkrankungen gibt es
ein Zeitfenster, in dem eine medikamentöse Intervention
sinnvoll ist, dieses Zeitfenster wird in einer
Doppelblindstudie nicht unbedingt gefunden. Bei schweren
Krankheiten stellen sich zudem fundamentale ethische
Probleme für die Placebogruppe.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
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