Medizin
Zwischen 100 000 und 200 000 Paare suchen in Deutschland jährlich
einen Frauenarzt beziehungsweise eine Fachklinik auf, weil ihr Wunsch,
Kinder zu bekommen, unerfüllt bleibt. In 60 bis 70 Prozent aller Fälle stellt
sich nach ein bis zwei Jahren Nachwuchs ein. Bei der Fortbildung "Update in
der modernen Sterilitätsbehandlung" in Hamburg wurde über neueste
Erkenntnisse auf diesem Gebiet berichtet.
Den Schritt zur In-vitro-Fertilisation (IVF) gehen in Deutschland etwa 10 000
Paare. Eizelle und Sperma werden außerhalb des Körpers zusammengeführt und
das befruchtete Ei in den Körper zurückverpflanzt. Bei diesem Verfahren liegt die
Geburtsrate bei 32,3 Prozent, so Dr. Thomas Katzorke, Essen. Bei einem normal
fruchtbaren Paar liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft bei nur 15 bis
20 Prozent. Vier Behandlungsversuche, ein Retortenbaby zu bekommen, werden
von der Krankenkasse getragen.
Scheitert die IVT an der qualitativen beziehungsweise quantitativen Beschaffenheit
des Spermas, können aus dem Hodengewebe noch unvollständig ausgereifte
Spermien operativ gewonnen werden. Bei der intracytoplasmatischen
Spermainjektion (ICSI) ist nur eine geringe Spermamenge nötig, da es durch
Injektion direkt in die Eizelle eingesetzt wird. Die Schwangerschaftsrate bei
30jährigen Frauen beträgt etwa 45 Prozent, bei über 40jähriges lediglich rund 10
Prozent.
Die Grenze bei der Behandlung der ungewollten Kinderlosigkeit wird nicht zuletzt
durch den natürlichen Alterungsprozeß der Frau und damit ihrer Eizelle bestimmt.
Das Alter des Mannes übt einen Einfluß auf die Schwangerschaftsrate aus. Bei etwa
einem Drittel der ungewollt kinderlosen Paare ist die Unfruchtbarkeit des Mannes
der Grund. Ursachen hierfür können eine unzureichende Spermienproduktion oder
eine anatomische Fehlbildung sein. Auch häufiger Alkohol- und Nikotingenuß oder
estrogenähnliche Substanzen können eine Rolle spielen, erläuterte Katzorke. Doch
selbst bei ausgeprägtem Mangel an Samenfäden kann heute eine Befruchtung
erfolgreich verlaufen. Aus dem testikulären Gewebe können Spermienvorstufen
gewonnen werden.
Die Kryokonservierung, bei der Spermienzellen eingefroren und nach einer
Stimulation des Eisprungs verwendet werden, nimmt dem Paar den mit der zeitlichen
Koordination verknüpften Streß. Einmal befruchtete und tiefgefrorene Eizellen, so
berichtete Dr. Semsettin Koczak, können ohne erneute Punktion und somit ohne
größeren Aufwand zu einem späteren Zeitpunkt verwendet werden.
Nicht nur hormonelle und physiologische Faktoren verhindern manchmal die
Erfüllung eines Kinderwunsches, auch die Psyche ist stark beteiligt. "Das öffentliche
Bild der assistierten Befruchtung fördert die Vorstellung, da müsse etwas gemacht
werden, dann klappt das schon", sagte Professor Dr. Heribert Kentenich, Berlin.
Psychisch stabile Frauen werden schneller schwanger, deshalb ist es Aufgabe des
Arztes, mit den Paaren zu reden und sie psychisch zu festigen, statt der Faszination
der Technik zu erliegen.
PZ-Artikel von Matthias Bastigkeit, Lübeck
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