Medizin
"Es gibt klare psychische Einflüsse auf das Immunsystem. Unbekannt ist
allerdings, wie das auf die Krankheit abfärbt", sagt Professor Dr. Uwe
Gieler vom Zentrum für Psychosomatische Medizin in Gießen. Eine starke,
kämpferisch eingestellte Psyche scheint den Krankheitsverlauf in positiver
Weise zu modulieren. Gieler bricht deshalb auch eine Lanze für
Selbsthilfegruppen: "Bei Patienten, die in Selbsthilfegruppen ihre Krankheit
aufzuarbeiten versuchen, hat man bis zu doppelt so hohe Heilungsraten
nachweisen können."
Die Redaktion der Apothekenkundenzeitschrift "Neue Apotheken Illustrierte" lud
Mitglieder zahlreicher Selbsthilfeverbände nach Eschborn ein, um über aktuelle
Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie zu informieren. Statistische Erhebungen
gibt es nach den Worten Gielers bisher wenige. Als Beispiel nannte er eine große
US-amerikanische, epidemiologische Studie, die nach dem Erdbeben in San
Francisco vor einigen Jahren eine dramatisch angestiegene Herzinfarktrate
nachweisen konnte. Auch Fußball-Weltmeisterschaften seien gar nicht gut fürs Herz:
Es komme zu vermehrten Angina-pectoris-Anfällen.
Als Bindeglied zwischen Körper und Seele haben Wissenschaftler das Immunsystem
ausgemacht. Das Zentralnervensystem kommuniziert mit dem Immunsystem über das
endokrine System. Der dreigliedrige hierarchische Regelmechanismus
Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde übernimmt hier die
Informationsübermittlung. Der Hypothalamus ist letztlich dafür verantwortlich,
welche Hormone wann in welcher Menge ausgeschüttet werden.
Ein Blick zurück ins Pharmakologiebuch: Der Hypothalamus aktiviert durch die
Ausschüttung von Releasing- oder Release-Inhibiting-Hormonen die Hypophyse
(Hirnanhangsdrüse, Glandula pituitaria), diese reagiert ihrerseits mit der Freisetzung
von glandotropen Hormonen. Gleich einem Dominoeffekt wird dadurch
beispielsweise die Bildung von Cortisol in der Nebennierenrinde angestoßen.
Cortisol bewirkt in der Peripherie die Freisetzung von Zytokinen, die als Botenstoffe
des Immunsystems wiederum periphere Immunantworten modulieren.
Der Hypothalamus ist für das Zusammenspiel von endokrinem System und
vegetativem Nervensystem verantwortlich. In ihm liegen nämlich übergeordnete
vegetative Zentren, die die Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus der
Hypophyse steuern. Wissenschaftler glauben, daß unter anderem das limbische
System Impulse an den Hypothalamus sendet. Im limbischen System werden
Erlebnisse bewertet und emotionale Reaktionen ausgelöst.
Manche Menschen produzieren unter Streß verzögert oder vermindert Cortisol oder
Prolaktin. Das gelte unter anderem für Neurodermitiker, führte Gieler aus. Er
berichtete von einer Studie an seinem Institut mit 30 Kindern. 15 Kinder hatten
Neurodermitis, die andere Hälfte war gesund. Die Kinder sollten Märchen erzählen.
Dann sagte man ihnen, das Märchen wäre schlecht vorgetragen, sie sollten es noch
mal versuchen. Der Streß wurde weiter erhöht, indem die Kinder das Märchen ein
weiteres Mal wegen angeblich mangelnder Leistung wiederholen sollten. Messungen
nach der Märchenstunde ergaben, daß die Neurodermitiker in der Streßreaktion
weniger Cortisol ausgeschüttet hatten als die gesunden Kinder. Dadurch ergibt sich
eine veränderte Immunreaktion.
Die Immunologie spielt bei der Neurodermitis eine große Rolle, da die Haut ein
Abwehrorgan ist und Immunparameter bei Entzündungen bedeutend sind. Gieler ist
sich sicher, daß Streßfaktoren nur dann Einfluß haben, wenn gleichzeitig eine
genetische Disposition vorliegt. Umweltfaktoren oder Streß triggern dann die
Krankheit. Relativ neu sei die Erkenntnis, daß die Nervenendigungen in der Haut auf
den Verlauf der Entzündung entscheidenden Einfluß haben, so Gieler. Die
Nervenzellen, etwa sieben pro mm
2, haben nämlich direkten Kontakt zu Mastzellen,
T-Lymphozyten oder anderen immunkompetenten Zellen. Das beweisen
elektronenmikroskopische Aufnahmen. Werden die Nervenendigungen gereizt, wird
die Immunkaskade in Gang gesetzt.
Psoriasis und Streß
Während bei Neurodermitis das Histamin im Mittelpunkt des
Entzündungsgeschehens steht, wird bei Psoriasis die Substanz P als Übeltäter
angesehen. Substanz P ist ein Neuropeptid, das ebenso wie Histamin durch die
Vermittlung der Nervenendigungen bei der Mastzellendegeneration ausgeschüttet
wird. Experimentell sind nach den Worten Gielers verschiedene Wirkungen
nachweisbar: gesteigerte Mitoserate der Lymphozyten, Wirkung auf eosinophile
Granulozyten (Allergien) sowie Steigerung der metabolischen Aktivität von
neutrophilen Granulozyten und Monozyten.
Ob diese Effekte in vivo tatsächlich so ablaufen, weiß man nach den Ausführungen
Gielers bisher noch nicht. Fest stehe aber, daß auch bei der Psoriasis Streßfaktoren
eine entscheidende Rolle spielen. So haben zwei Studien mit insgesamt über 350
Teilnehmern ergeben, daß Patienten, die um den Zusammenhang
Schuppenflechte/Streß wußten, weniger Rezidive hatten als die, die dem Streß hilflos
ausgesetzt waren. Die aufgeklärte Gruppe setzte sich nämlich intensiv mit ihrem
Problem auseinander und versuchte, Streß zu vermeiden. Die nicht informierten
Patienten waren der Meinung, sowieso nichts dagegen tun zu können.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Eschborn
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