Medizin
"Vorbeugen ist besser als heilen", das weiß eigentlich jeder. Bei
genauerer Betrachtung stellt man dann fest, daß es - vom Sicherheitsgurt
bis zum Gentest - sehr viele verschiedene Möglichkeiten der Vorbeugung
gibt. Ist wirklich alles sinnvoll oder manches einfach nur teuer, vielleicht
sogar schädlich?
Seitdem sich die Früherkennung durchgesetzt hat, werden Brustkrebserkrankungen
eindeutig erfolgreicher behandelt, konstatierte Professor Dr. Kurt Possinger,
Chefarzt an der Charité, auf einer Podiumsdiskussion in Berlin. Eine neue Studie
beweist dies, denn trotz zunehmender Brustkrebsraten ist die Mortalität rückläufig.
Der Fortschritt werde auf die bildgebenden Verfahren und das verbesserte
Bewußtsein in der Bevölkerung zurückgeführt, betonte Possinger, denn in der
Therapie gebe es keine wesentlichen Neuerungen.
Schwieriger ist die Früherkennung von Prostatakrebs. Der Test auf das
prostataspezifische Antigen (PSA-Test) fällt oft fälschlicherweise positiv aus. In
jedem Fall müsse er durch Ultraschall und Abtasten vom Darm aus ergänzt werden,
meinte Dr. Manfred Richter-Reichhelm, Urologe und Vorsitzender der
Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Ferner sei bei einem positiven Befund nicht
immer eine Therapie notwendig. Die Krankheit schreitet meist langsam voran,
zunächst wird sie oft nur beobachtet.
Was aber, wenn eine Krankheit erkannt wird, bevor sie ausbricht, jedoch keine
Therapie zur Verfügung steht? Das Standardbeispiel hierfür ist der Test auf
Brustkrebsgene. Hinzu kommt, daß ein positiver Befund nicht zwingend eine spätere
Erkrankung bedeutet. Auch Possinger weiß dafür keine Lösung: "Wir werden
überrollt von der modernen Diagnostik" sagte er, "aber den Informationen sind wir
nicht gewachsen".
Prophylaxe spielt sich nicht nur in Praxen und Krankenhäusern ab. Information und
Aufklärung stehen ganz am Anfang und können durchaus effektiv sein. Ein gutes
Beispiel seien die Kampagnen zur Aids-Prävention, berichtete Dr. Elisabeth Pott
von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung in Köln. Die Erfolge sind
indirekt meßbar: Die Bevölkerung ist besser informiert, der Kondomabsatz ist
deutlich gestiegen, und im internationalen Vergleich ist die Zahl der jährlich neu
infizierten Menschen in Deutschland recht niedrig.
Leider werden nicht alle Einsichten so konsequent umgesetzt. Einigen Mitgliedern
des Podiums schien das Thema "Rauchen" besonders auf der Seele zu liegen. Gute
Ansätze würden nicht hinreichend finanziert, bemängelte Pott. Professor Dr. Rolf
Rosenbrock, Leiter der Arbeitsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum in
Berlin, bezweifelte den Nutzen mancher Gesetze. Der Abstand zwischen einem
Zigarettenautomaten und einer Schule müsse mindestens fünfzig Meter betragen,
doch - "schon Achtjährige sollen heute fünfzig Meter laufen können". Es gehe nicht
darum, die Leute zu bestrafen, ergänzte Rosenbrock, vielmehr sollten Anreize
gesetzt werden, um den Anfängen zu wehren. Andresen wünschte sich außerdem
etwas mehr Professionalität und Konsequenz: Es habe keinen Sinn, einem
Jugendlichen die gesundheitlichen Folgen im Alter von fünfzig Jahren vorzuhalten,
das sei für ihn "absurd spät".
Zähneputzen, Sport, gesunde Ernährung, positive Lebenseinstellung ..., die Liste der
vorbeugenden Maßnahmen ist natürlich noch viel länger und an sich auch allgemein
bekannt. Oder vielleicht doch nicht? Rosenbrock wies darauf hin, daß die
Wahrscheinlichkeit, ernsthaft zu erkranken, für das sozial unterste Fünftel unserer
Gesellschaft in jedem Lebensalter doppelt so hoch sei wie für das oberste soziale
Fünftel. Deshalb ist auch die Lebenserwartung des obersten Fünftels im Durchschnitt
um sechs bis acht Jahre höher. Es sei also wichtig, so Rosenbrock, gerade die sozial
Schwachen umfassend aufzuklären, zu informieren und zu beraten.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
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