Medizin
Erkrankungen durch Lebensmittel nehmen weltweit zu. In Deutschland
sind Salmonelleninfektionen seit dem großen Ausbruch 1992 nicht mehr auf
das Ausgangsniveau abgesunken. Die Behörden rechnen mit 100.000
Erkrankungen pro Jahr. Stark ansteigend sind die "übrigen Formen" der
Enteritis infectiosa, darunter besonders Campylobacter-Infekte, berichtete
Dr. Paul Teufel vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz
und Veterinärmedizin (BgVV) auf einer Pressekonferenz anläßlich des
Weltkongresses für Lebensmittelinfektionen in Berlin.
"Den wahren Grund für den Anstieg der Infektionen kennen wir nicht" sagte Teufel.
Wahrscheinlich kommen viele Ursachen zusammen: die Anpassungsfähigkeit der
Erreger, die bessere Erfassung, die Globalisierung des Handels mit Lebensmitteln,
der weltweite Tourismus, aber auch das veränderte Ernährungsverhalten. Frisch ist
in - viele Lebensmittel werden nicht mehr richtig durcherhitzt und stattdessen gekühlt
angeboten. Listerien beispielsweise könnten sich so besonders gut vermehren, sagte
Teufel.
Er warnte vor rohem Fleisch wie Carpaccio oder Tatar. Keime und Sprossen von
künstlichen Nährböden könnten, Meldungen aus den USA zufolge,
EHEC-Bakterien (enterohaemorrhagische Escherichia coli) übertragen. Nur Kochen
töte den Erreger effektiv ab, Waschen nutze meist wenig (manche Bakterien sind
sogar im Pflanzengewebe zu finden). Rohmilch oder Vorzugsmilch sei nicht gesünder
als pasteurisierte Milch, sie müsse in jedem Fall abgekocht werden.
Der Verbraucher sei überhaupt stärker in die Pflicht zu nehmen. Hauptursachen für
eine Ansteckung im privaten Haushalt sind auch mangelnde Kühlung, unzulängliche
persönliche Hygiene oder Kreuzkontaminationen (zum Beispiel, wenn erst rohes
Fleisch und dann Obst auf demselben Brett geschnitten werden).
Vorsicht ist besonders bei Kleinkindern geboten, ergänzte Dr. Irene Lukassowitz,
Pressesprecherin des BgVV. EHEC-Bakterien sind für sie besonders gefährlich.
Schwerste Nierenerkrankungen, lebenslange Dialyse oder Todesfälle können Folgen
einer solchen Infektion sein. Die weitaus häufigeren Salmonellen- und
Campylobacter-Infektionen verursachen überwiegend Durchfall, Todesfälle sind
eher selten.
Damit stellt sich aber auch die Frage, wie die finanziellen Mittel zur Bekämpfung
dieser Infektionen verteilt werden. Sind 100.000 Salmonellenerkrankungen
schwerwiegender als einige tödliche EHEC-Infektionen? Risk assessment heißt das
Stichwort in den Zeiten knapper Gelder. Welche Maßnahmen kosten wieviel?
Nützen wieviel? Wie werden die vorhandenen Mittel sinnvoll und angemessen
eingesetzt? Jeder Schritt, erklärte Dr. Ewen Todd, Kanada, von der Herstellung bis
zur Verwertung müsse dahingehend geprüft werden.
Insgesamt heißt es aber aus dem BgVV: "Das Niveau der Lebensmittelsicherheit in
industrialisierten Ländern ist hoch." Lebensmittelinfektionen sind hier nicht "die
großen Killer", sagte Teufel. Anders in den Entwicklungsländern: Hier sind sie bei
Kindern unter 4 Jahren eine der Haupttodesursachen. Die Überwachungs- und
Erfassungssysteme seien sehr unterschiedlich, meinte Professor Rodney Cartwright,
England. Genaue Zahlen gebe es noch seltener als in den Industrienationen. Das sei
aber kein Grund, nicht zu handeln: "Wenn wir die Daten nicht haben, heißt das nicht
zwangsläufig, daß wir nichts dagegen tun können", sagte er und forderte schon in der
Schule Unterricht in Grundlagen der Hygiene. Institutionen wie das BgVV oder die
Carl-Duisberg-Gesellschaft unterstützen zudem die Weiterbildung im Fach
Lebensmittelhygiene. Japan, das 65 Prozent seiner Nahrungskalorien importiere, sei
in der Kooperation besonders engagiert, sagte Dr. Fritz Käferstein von der World
Health Organisation.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de