Medizin
Weit häufiger als vermutet sind
offensichtlich Viren die Ursache einer dilatativen
Kardiomyopathie. Sie scheinen außerdem bei vielen
Patienten autoimmunologische Prozesse in Gang zu setzen,
die chronische Entzündungen verursachen und die
Herzkraft schwächen. Das impliziert für die Zukunft
völlig neue Therapiestrategien, wie Wissenschaftler in
Köln auf einem Kongreß zur Herzinsuffizienz der
"Working Group on Heart Failure" in der
Europäischen Gesellschaft für Kardiologie betonten.
Viral oder immunologisch vermittelte
Kardiomyopathien machen laut Professor Dr. Heinz-Peter
Schultheiss wahrscheinlich die größte Gruppe unter den
Erkrankungen des Herzmuskels aus. So ließ sich bei 40
Prozent der Myokarditiden und 30 Prozent der dilatativen
Kardiomyopathien ohne sonstige Zeichen einer Infektion
per Polymerase-Kettenreaktion (PCR) virale RNA
nachweisen; nicht selten kann mit den modernen
molekularbiologischen Methoden sogar eine aktive
Virusreplikation aufgedeckt werden.
Da die inflammatorischen Prozesse heutzutage weit besser
als früher zu identifizieren sind, sollte bei
dilatiertem Ventrikel auf eine Herzbiopsie nicht
verzichtet werden. Allerdings muß, so Schultheiss, die
Möglichkeit der molekularbiologischen Diagnostik gegeben
sein. Von 309 derart untersuchten Patienten, bei denen
normalerweise die Diagnose "idiopathische
Kardiomyopathie" gestellt worden wäre, wurde mit
dieser Methodik in 56 Prozent der Fälle ein histologisch
pathologischer Befund verifiziert. 90 Prozent der
Patienten zeigten eine verstärkte HLA-Expression als
Zeichen eines aktiven immunologischen Geschehens.
Gleichzeitig wurde eine stärkere Expression von
Adhäsionsmolekülen auf intrakardialem Gewebe
dokumentiert.
Die Virusinfektion kann offensichtlich einen
Entzündungsprozeß einleiten, der seinerseits zu
zellulären Infiltraten, zur Zytokinausschüttung und zur
Aktivierung des Endothels führt. Dies bewirkt eine
weitere Zytokinfreisetzung und wie in einem Teufelskreis
entwickelt sich ein chronischer Entzündungsprozeß mit
der Folge der Myokarditis und der Herzinsuffizienz.
Die weiteren Untersuchungen lieferten nach Angaben des
Mediziners den interessanten Befund einer Upregulation
des ADP/ATP-Carriers im kardialen Gewebe mit der
Verschiebung von Isoformen. Solche krankheitsspezifischen
Veränderungen könnten erklären, warum das Myokard in
ein Energiedefizit kommt. Sie korrelieren mit
tierexperimentellen Befunden, wonach die Herzarbeit um so
stärker eingeschränkt ist, je niedriger die ATP-Spiegel
in den Myokardzellen sind.
Derzeit geht man nach Schultheiss davon aus, daß es auf
dem Boden einer viralen Persistenz zur veränderten
Expression und zu Verschiebungen der Aktivität des
ADP/ATP-Carriers mit entsprechend verminderter
Transportaktivität kommt. Dies könne sich in einer
Störung des myokardialen Energiestoffwechsels
niederschlagen und eine Herzinsuffizienz provozieren.
Chronische Entzündungsprozesse stimulieren dabei
strukturelle Veränderungen im Sinne eines Remodelling,
forcieren Zelluntergänge und bewirken so eine
Progression des Geschehens.
Um diese Prozesse zu durchbrechen, bedarf es nach
Schultheiss einer nach Krankheitstypen differenzierten
Therapie, die der Pathogenese Rechnung trägt. Bei
chronisch persistierenden Virusmyokarditiden müsse die
Konsequenz in der Gabe von Interferon bestehen, während
bei chronisch autoimmunologischen Krankheitsformen eine
immunsuppressive Behandlung versucht werden sollte. Bei
rund 100 Patienten, die in Berlin nach dieser Strategie
therapiert wurden, zeigte sich laut Schultheiss in 60
Prozent der Fälle eine erhebliche Besserung.
Kontrollierte klinische Studien sollten nun folgen.
PZ-Artikel von Christine Vetter, Köln
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