Pharmazeutische Zeitung online

"Ich bin wichtig und trage Verantwortung"

10.06.2002  00:00 Uhr

Trisomie 21

"Ich bin wichtig und trage Verantwortung"

von Brigitte M. Gensthaler, München

Marco Hans Jürgen Huber ist 27 Jahre alt und arbeitet seit sieben Jahren bei der Stadtverwaltung im hessischen Groß-Umstadt. Er ist Fußballfan und feiert gerne, wenn sein Verein gewinnt. Nicht weiter erwähnenswert? Das Besondere ist, dass der junge Mann am Down-Syndrom leidet.

Er geht gerne zur Arbeit und empfindet dies als etwas ganz Besonderes. "Ich gehe immer in Jackett, Hemd und mit Krawatte aus dem Haus. Ich bin der Mann mit der Krawatte." Marco Huber hat keine Scheu, vor Journalisten in München von seinem Leben und seinem Beruf zu erzählen. "Ich bin wichtig für die Arbeit in der Stadtverwaltung, und meine Kollegen sind wichtig für mich", sagt er. Als Bürohelfer richtet er sich nach einem Wochenplan. Er arbeitet am Aktenvernichter oder am Kopierer, verteilt Post und Dokumente, holt Auszüge und Post von der Bank, vom Stadtbüro oder vom Amtsgericht. Auch für die Kühlschränke ist er verantwortlich.

Wie in jedem Berufsalltag gibt es auch in der Stadtverwaltung Arbeiten, die Huber nicht gerne tut. Hofkehren zum Beispiel. "Ein Straßenfeger möchte ich nicht sein, aber ich bin verantwortlich für diesen Platz", sagt er selbstbewusst. Und wie für jeden Berufstätigen hat seine Arbeit einen sehr erfreulichen Nutzen. "Ich verdiene mein eigenes Geld. So kann ich einkaufen, was mir gefällt."

Wir gehören dazu

Bislang ist es keine Selbstverständlichkeit, dass junge Menschen mit Down-Syndrom außerhalb von beschützenden Werkstätten arbeiten. "Die Integration erfolgte in vielen kleinen Schritten, beginnend vom Kindergarten an", berichtet Marcos Mutter bei der Pressekonferenz, die den Startschuss für die bundesweite Aufklärungskampagne "Down-Syndrom - wir gehören dazu" gab. Die Kampagne, die bereits im zweiten Jahr läuft, möchte mit einem großen Wissensquiz, vielen Preisen und Informationen sensibilisieren für Menschen mit Trisomie 21 und mithelfen, Vorurteile und Wissensdefizite abzubauen. Die Aktion ist Teil der Initiative "Für eine bessere Zukunft" des Arzneimittelherstellers Hexal und wird von vielen Institutionen, Firmen, Vereinen und Selbsthilfeorganisationen unterstützt.

Schirmherr der Aktion ist der Schauspieler und Bambi-Preisträger Bobby Brederlow, der schon etliche Filme, unter anderem mit Senta Berger und Veronika Ferres gedreht hat. Auch Bobby - sein Vorname ist inzwischen zum Künstlernamen geworden - ist behindert. Er erzählt den Journalisten begeistert von seiner Arbeit beim Film, die zwar anstrengend, aber sehr schön sei. Die Texte und Rollen auswendig zu lernen, fällt ihm dank der langen Übung inzwischen schon leichter.

Von Geburt an fördern

"Eine frühzeitige individuelle Förderung eröffnet Menschen mit Trisomie 21 unglaubliche Entwicklungschancen", erklärt Professor Dr. Hubertus von Voß, Ärztlicher Direktor im Kinderzentrum München. Die Förderung könne bereits direkt nach der Geburt beginnen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Eltern behutsam an die Diagnose herangeführt und fortlaufend unterstützt werden. "Die Geburtshelfer müssen Zeit für die Mütter und Väter haben."

Viel zu oft werde die Diagnose "Ihr Kind ist mongoloid" quasi im Vorbeigehen mitgeteilt, kritisierte der Pädiater. Dies hinterlasse einen tiefen Schock bei den Eltern. Eltern und Kind seien für ihr Leben gezeichnet. Nach Studien wünschen sich 90 Prozent aller Eltern von Kindern mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen mehr Zeit für das Gespräch mit Ärzten und Fachleuten.

Von Voß mahnte eindringlich, mit Worten vorsichtig umzugehen. Der Begriff "Mongolismus" diskriminiert; man spreche präzise von "Menschen mit Trisomie 21". Den Begriff Down-Syndrom findet der Arzt ungünstig, da er in der Öffentlichkeit mit "tief" assoziiert wird. Kaum jemand weiß, dass der englische Arzt John Langdon Down 1866 erstmals Menschen mit den klassischen Merkmalen der Behinderung beschrieb. Wer von "Betroffenen" spricht, müsse sich überlegen, wer angesichts der erheblichen Integrationsprobleme eigentlich betroffen sei: die Gesellschaft oder die Menschen mit Behinderungen.

In der Sozialpädiatrie müsse der Arzt "das Kind mit seinen Entwicklungsbesonderheiten im Kontext seiner Umwelt" wahrnehmen sowie Kinder und Eltern stützen und begleiten, fordert von Voß. Menschen mit Trisomie 21 haben nach seiner Erfahrung sehr unterschiedliche Entwicklungspotenziale und können bei guter individueller Förderung auch Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen - was vor einigen Jahren noch als unmöglich galt. Durch Integration könne eine Behinderung überwunden werden.

Hilfe beim Berufseinstieg

Die Integration des Kleinkindes klappt inzwischen relativ gut. Ein Großteil der Kinder geht in den Regelkindergarten, berichtet Cora Halder, die in Lauf an der Pegnitz das "down-syndrom InfoCenter" leitet. Schwieriger gestalte sich die schulische Integration. 25 bis 30 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom gehen in die "normale" Grundschule, aber nur noch jeder zehnte Teenager besucht die Regelschule. Danach wird es noch komplizierter, weshalb die Kampagne auch auf die Berufswege von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hinweisen will.

"Der klassische Arbeitsplatz ist die Werkstatt für Behinderte", sagt Halder. Doch nicht alle fühlen sich hier wohl. Eigentlich solle die beschützende Werkstätte auf einen normalen Arbeitsplatz vorbereiten. Menschen mit Down-Syndrom arbeiten zum Beispiel in Verwaltungen, Gärtnereien, Kindergärten, Altenheimen, Hotels und Restaurants, berichtet die engagierte Mutter, deren 16-jährige Tochter gerade von der Regel- zur Berufsschule wechselt.

Passende Arbeitsplätze sind schwer zu finden. Dies ist unter anderem die Aufgabe von Arbeitsassistenten. Nach dem Motto "erst platzieren, dann qualifizieren" suchen die "Job-Coaches", die vom Arbeitsamt oder privaten Organisationen bezahlt werden, nach geeigneten Arbeitsplätzen für einen Behinderten und trainieren ihn dann für seine neuen Aufgaben. Anfangs begleiten sie ihn oft täglich zur Arbeit und helfen ihm, neue Fähigkeiten zu erwerben. Sie sorgen auch dafür, dass der neue Mitarbeiter an seinen Arbeitsplatz kommt und helfen bei Konflikten mit Kollegen. Kommt der Behinderte mit seinem Berufsalltag gut zurecht, ist keine engmaschige Betreuung mehr nötig.

Wünsche wie alle Teenager

Menschen mit Trisomie 21 gelten gemeinhin als fröhlich, heiter und kontaktfreudig. Ist das ein positives Vorurteil? Sie hätten oftmals besondere Fähigkeiten der sensorischen Wahrnehmung, könnten viel verzeihen und schlössen bald wieder Freundschaft, berichtete von Voß. Dennoch sei viel zu wenig bekannt über die emotionale Betroffenheit von geistig behinderten Menschen.

Teenager mit Down-Syndrom haben Sorgen, Probleme, Wünsche, Sehnsüchte wie alle anderen Jugendlichen, berichtet Cora Halder. Sie wollen Freunde finden, gehen ins Kino oder die Disco, lieben schicke Klamotten, schwärmen für Film- oder Fußballstars. Dennoch sei diese Lebensstufe häufig schwierig, weil sie jetzt ihre Andersartigkeit, ihr Ausgegrenztsein und ihre Einsamkeit empfinden und darunter leiden. Halder hat beobachtet, dass sich viele behinderte Teenager in ihre eigene Jugendgruppe zurückziehen und dort Rückhalt suchen und finden.

Marco Huber und Bobby Brederlow sind begeisterte Fußballfans. Huber hat zum Geburtstag ein Handy bekommen, das er mit zum Sportplatz nimmt. Dann ruft er seinen Opa an und berichtet, wie das Spiel gelaufen ist. "Wenn mein Verein TV Nieder-Klingen gewinnt, feiern wir. Ich feiere gerne. Ich will kein Verlierer sein." Er hat seinen Weg geschafft. 

 

Begleitend zur Aktion, die bis zum Spätherbst läuft, gibt es viel Info-Material: Poster, Info-Zeitung, Faltblätter mit einem Quiz für Betroffene und Nicht-Betroffene (Einsendeschluss 14. September) und ein umfangreiches Adressenverzeichnis von Down-Syndrom-Selbsthilfegruppen in Deutschland. Die Materialien können angefordert werden bei Medandmore Communication GmbH, Gluckensteinweg 47, 61350 Bad Homburg, Telefon (0 61 72) 96 61-0, Fax (0 61 72) 96 61-11 oder unter www.down-info.de

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