Medizin
Kann das lipidlösliche Vitamin
B1-Derivat die Therapie bei Diabetes mellítus
verbessern? Diese Frage stand im Zentrum des
"Benfotiamin - State of the art Symposium
1997", das unter dem Vorsitz von Professor Dr.
Konrad Federlin, Justus-Liebig-Universität Gießen, und
Professor Dr. F. Arnold Grieß,
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, in Stuttgart
stattfand.
Die Lebensqualität von Diabetikern ist von der
richtigen Einstellung ihrer Blutzuckerwerte abhängig und
von der frühzeitigen Vermeidung von Folgeerkrankungen.
Die häufigste Komplikation des Diabetes ist die
Polyneuropathie. Klinisch äußert sie sich vor allem als
schmerzhafte periphere Neuropathie oder als autonome
Nervenschädigung mit kardiovaskulären,
gastrointestinalen oder urogenitalen Störungen. Auch bei
Diabetes-Patienten, mit normoglykämischen
Blutzuckerwerten kann eine Neuropathie fortbestehen. Für
Diabetespatienten, die an Nervenschädigungen leiden, ist
eine frühzeitige Diagnose und rasche, wirkungsvolle
Behandlung wesentlich.
Schon seit Jahren werden Neuropathien verschiedener
Genese mit Hilfe von neurotropen Vitaminen behandelt. Die
B-Vitamine spielen dabei eine besondere Rolle, auch
aufgrund ihrer in hoher Dosierung schmerzstillenden
Eigenschaften. Thiamin (B1) beispielsweise ist wesentlich
für den Kohlenhydratstoffwechsel und die
Nervenregeneration. Es scheint außerdem bei der
neuromuskulären Übertragung als Modulator zu fungieren.
Ein Mangel führt nach Aussage von Professor Dr. Hilmar
Stracke von der Universität Gießen zu einer
Beeinträchtigung nervöser Funktionen und zu
sensorischen Störungen an den peripheren Nerven,
vorwiegend denen der Beine. Professor Dr. Hans-Gert
Bernstein von der Universität Magdeburg ergänzte:
"Thiaminmangel führt zu Hirnfunktionsstörungen mit
erhöhter Krampfbereitschaft und zu Störungen der
Acetylcholin-Biosynthese. Selbst ein partieller
Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke ist als Folge von
Thiaminmangel beobachtet worden." Die Vermutung
liegt deshalb nahe, daß die Behandlung mit B-Vitaminen
eine Neuropathie verzögern oder sogar verhindern kann.
Zur Prophylaxe und Therapie von Neuropathien werden
derzeit sowohl hydro- als auch lipophile
Vitamin-B1-Derivate eingesetzt. Zahlreiche Studien zeigen
aber, daß das oral verabreichte, synthetische, lipophile
Thiamin-Analogon Benfotiamin aufgrund seiner hohen
Lipidlöslichkeit erheblich besser resorbiert wird und
deshalb eine größere Gewebegängigkeit und längere
Retention aufweist.
Die auf dem von Wörwag Pharma unterstützten Symposium
vorgestellten Studien scheinen dies auf den ersten Blick
zu bestätigen: Professor Dr. Christoph H. Gleiter,
Universität Göttingen, untersuchte die
Bioverfügbarkeit des Vitamin-B1-Derivats und kam zu dem
Ergebnis, daß das lipophile Benfotiamin eine bessere
Bioverfügbarkeit im Vergleich zu wasserlöslichem
Thiaminmononitrat aufweist. Professor Dr. Ekke Haupt von
der Saale-Klinik in Bad Kissingen bestätigte in seiner
Studie die deutliche Verbesserung der Schmerzsymptomatik
durch Benfotiamin beziehungsweise eine
Benfotiamin-haltige Kombination bei symptomatischer
Polyneuropathie.
B-Vitamine bei Herzinfarkt
Der Herzinfarkt ist nach Aussage von Dr. Peter
Kempler von der Semmelweis Universität Budapest die
weitaus häufigste Todesursache bei Diabetespatienten,
die Ursache sei in vielen Fällen eine kardiale autonome
Neuropathie. Könnte Benfotiamin hier präventiv wirken?
Frau Dr. Mária Zsófia Koltai, Universität Budapest,
untersuchte eine mögliche vorbeugende Wirkung bei jungen
Mischlingshunden, bei denen experimentell Diabetes
induziert wurde. Folgeerkrankungen sind bei
diabeteskranken Hunden nach circa zwei Monaten zu
erwarten. Koltai kommt zu dem Ergebnis, daß die
präventive Gabe von Benfotiamin die funktionellen
Störungen der autonomen Innervation des Herzens
verhindert oder verzögert.
Auch die neuroprotektive Wirkung von Benfotiamin bei
chronischem Alkoholismus wurde beleuchtet. Alkoholsucht
wird sehr häufig von einer Thiamin-Unterversorgung
begleitet. Die Folge können periphere Neuropathien und
Alterationen des Zentralen Nervensystems sein. "Etwa
30 Prozent aller Neuropathien werden durch
Alkoholmißbrauch hervorgerufen", sagt Dr. Helmut
Woelk, Krankenhäuser der Universität Gießen. In seiner
klinischen Studie untersuchte der Gießener Arzt die
therapeutische Wirkung des Benfotiamins bei Alkoholsucht.
Er wies eine signifikante Verbesserung der Motorik und
des Gesamtscores in der Benfotiamin- gegenüber der
Placebogruppe nach.
Professor Dr. Irmgard Bitsch, Justus-Liebig-Universität
Gießen, verglich den Einfluß von Thiaminhydrochlorid
und Benfotiamin auf die Thiaminkonzentration in Gehirn
und Ischiasnerv von chronisch an Alkohol adaptierten
Ratten. Bewußt wurde in der Studie das 2,5- bis 250fache
der empfohlenen Dosierung gewählt. Zusätzlich wurden
Purkinje-Zellen des Kleinhirns, die als besonders
alkoholsensibel gelten, auf morphologisch erfaßbare
Degenerationen untersucht. Das Ergebnis: Bei chronischer
Alkoholzufuhr könnte schon die zweifache Menge der
Empfehlung die Thiamindepletion im Nervengewebe nahezu
verhindern. Diese Menge reiche außerdem aus, um die
strukturelle Integrität der Kleinhirnzellen zu
schützen, so Bitsch.
Obwohl die zahlreichen beim Symposium vorgestellten
Studien die präventive und therapeutische Wirkungsweise
des Benfotiamins zu bestätigen. scheinen, betrachtete
der Vorsitzende Professor Dr. Gries in seinem Schlußwort
vieles als Hypothese. Vor allem der Mangel an ausreichend
großen Studien könne letztlich die pharmakologische
Wirkung des Vitamin-Derivats nicht exakt nachweisen. Die
Behandlung mit Benfotiamin sei derzeit nur eine von
vielen möglichen Ansätzen, die Studien lediglich
Pilotstudien. Dennoch sei der Wirkstoff eine
hochinteressante und aus der Erfahrung vieler Ärzte
hoffnungsvolle Substanz, die einer wissenschaftlichen
Aufarbeitung bedürfe.
PZ-Artikel von Claudia Grüßhaber, Stuttgart
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