Medizin
Die Epilepsie ist weltweit die zweithäufigste neurologische Krankheit.
Etwa 500 Millionen Menschen sind betroffen. Mediziner unterscheiden grob
zwischen partiellen und generalisierten epileptischen Anfällen,
hervorgerufen durch spontane elektrische Entladungen in bestimmten
Hirnarealen beziehungsweise der gesamten Hirnrinde. Die Ursache für die
Krankheit ist in 70 Prozent der Fälle unbekannt. Nur bei einem kleinen Teil
der Patienten sind epileptische Anfälle auf Hirnverletzungen oder -tumore
zurückzuführen.
Bei einem Drittel der Patienten handelt es sich um eine therapierefraktäre Epilepsie,
obwohl sie mit mehreren Antiepileptika behandelt wird. Für diese Patienten steht
jetzt eine neue nichtmedikamentöse Methode zur Verfügung, mit der die
Anfallskontrolle signifikant gebessert werden kann, heißt es in einer Pressemeldung
von Cyberonics, Zaventem, Belgien. Es handele sich um einen implantierbaren
Signalgeber aus biokompatiblem Material zur Stimulation des Vagusnervs. Diese
neurocybernetische Prothese (NCP-System) könne zusätzlich zur medikamentösen
Therapie eingesetzt werden.
Der Signalgeber wird nach Angaben der Firma wie ein Schrittmacher in einem auch
ambulant durchführbaren Eingriff unter die Haut im Thoraxbereich implantiert. Ein
dünnes Kabel, durch subkutane Untertunnelung eingeführt, verbindet den Vagusnerv
mit dem Schrittmacher. So können die Impulse in die Hirnregion weitergeleitet
werden. Durch eine externe elektronische Steuereinheit kann der Signalgeber
programmiert werden, so daß er intermittierende elektrische Impulse abgibt.
Darüber hinaus könne der Patient, wenn sich ein Anfall ankündigt, eine zusätzliche
Stimulation auslösen. Er müsse dann einen Magneten über die Region führen, an der
der Signalgeber implantiert ist. Dadurch lasse sich der drohende Anfall vielfach
verhindern.
Im Jahr 1988 wurde das NCP-System erstmals nach 13 Jahren tierexperimenteller
Forschung bei einem Menschen implantiert. Bis heute habe man 2.000
Implantationen erfolgreich und ohne erkennbare Nebenwirkungen für die Patienten
durchgeführt. Die Effizienz der Vagus-Stimulation verstärke sich in der
Langzeittherapie. Laut den Ergebnissen aus fünf Studien, zwei davon aktiv
kontrolliert, habe die Anfallsfrequenz bei 25 Prozent der Patienten nach drei
Monaten um mehr als die Hälfte abgenommen. In allen Studien habe sich das
allgemeine Wohlbefinden der Patienten gebessert.
Lokale, gut tolerable Sensationen wie Heiserkeit - ausschließlich während der
Stimulation sind nach Angaben von Cyberonics die einzigen bekannten
Nebenwirkungen. Mit der laufenden medikamentösen antiepileptischen Behandlung
interferiere die Vagus-Stimulation nicht.
Das NCP-System werde von den Patienten gut akzeptiert. 95 Prozent der
Studienpatienten setzten die Behandlung für mindestens ein Jahr fort. Drei Viertel der
Patienten, bei denen die Batterie des Geräts ausgetauscht werden mußte (in der
Regel nach drei bis fünf Jahren), hätten sich dafür entschieden, die Behandlung
fortzusetzen.
Seit 1994 sei das NCP-System zur Behandlung refraktärer fokaler Anfälle in
Europa zugelassen. Die Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA
erfolgte im Juli 1997. Im Dezember 1997 habe man die europäische Zulassung auf
generalisierte Anfälle erweitert. Nach Angaben des Unternehmens existieren in
Deutschland noch keine Sonderentgelte für die Vagusnerv-Stimulation. Das Gerät
kostet derzeit 13.280 DM.
Artikel von der PZ-Redaktion
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