Medizin
In den letzten Jahren sind die
Erkenntnisse über die Entstehung koronarer Syndrome
erheblich gestiegen. So konnte gezeigt werden, daß die
Fissur oder Ruptur atherosklerotischer Plaques unter
Bildung muraler oder okklusiver Thromben dafür
verantwortlich ist. Die Therapie der verschiedenen akuten
kardialen Syndrome, zu denen die instabile Angina
pectoris sowie Herzinfarkte gehören, ist ähnlich und
beinhaltet die intravenöse Gabe von Heparin, die Gabe
von ASS sowie eine antiischämische Medikation. Der
Unterschied besteht in der Gabe von Thrombolytika, die
nur bei einer ST-Strecken-Hebung eingesetzt werden.
Thrombin ist ein Schlüsselfaktor bei der
Entstehung akuter kardialer Syndrome. Es fördert die
Plättchenaggregation im Thrombus und katalysiert die
Stabilisierung des Fibringerinnsels. Heparin, das Mittel
der ersten Wahl, wirkt indirekt und benötigt
Antithrombin III als Cofaktor. Es wirkt nicht gegen.
Thrombin, das bereits im Fibringerinnsel gebunden ist.
Heparin kann durch den Plättchenfaktor 4 oder
Plasmaproteine inaktiviert werden, und sein Effekt
unterliegt individuellen Schwankungen, Es kann bei bis zu
15 Prozent der Patienten zu einer Thrombozytopenie
führen.
Der Prototyp eines direkten Thrombin-Inhibitors ist
Hirudin, ein aus 65 Aminosäuren bestehendes Peptid, das
in der Natur im Speichel des Blutegels vorkommt.
Mittlerweile ist es möglich, rekombinantes Hirudin in
größerer Menge herzustellen. In Pilotstudien erwies
sich die Wirksamkeit von Hirudin bei 4A Herzinfarkten und
instabiler Angina pectoris als vielversprechend, so daß
in der vorliegenden Studie versucht wurde, den Wert der
Hirudintherapie genauer abzuklären.
In einer multizentrischen Studie an 373 Kliniken
erhielten insgesamt 12.142 Patienten mit akutem
Koronarsyndrom 72 Stunden lang randomisiert entweder
Heparin oder Hirudin. Hirudin wurde mit initial 0,1 mg
pro kg Körpergewicht als Bolus und anschließend 0,1 mg
pro kg pro Stunde als Dauerinfusion gegeben. Als Hirudin
wurde die desulfatierte Form verwendet.
Heparin wurde initial in einer Bolusdosis von 5000 IE
gefolgt von einer Dauerinfusion von 1000 IE pro Stunde
appliziert. Die gesamte Applikationsdauer betrug in
beiden Gruppen 72 Stunden. Die ansonsten angewandten
Arzneistoffe unterschieden sich in beiden Gruppen nicht.
Die Patienten wurden nach Auftreten oder Fehlen von
ST-Strecken-Hebungen im Ausgangs-EKG eingeteilt, wobei
letzteres als Indikator für instabile Angina pectoris
oder Non-Q-Wave-Myokardinfarkt gilt.
Nach 24 Stunden war das Mortalitäts- oder infarktrisiko
in der Hirudingruppe signifikant niedriger als unter
Heparin (1,3 Prozent im Vergleich zu 2,1 Prozent). Die
primären Endpunkte Tod oder nichtletaler Myokardinfarkt
oder Reinfarkt traten innerhalb von 30 Tagen bei 9,8
Prozent der Patienten der Heparin- und bei 8,9 Prozent
der Patienten der Hirudingruppe ein.
Die hauptsächliche Wirkung von Hirudin betraf
Myokardinfarkt oder Reinfarkt und wurde nicht vom
ST-Strecken-Status beeinflußt. Es zeigten sich keine
signifikanten Unterschiede bei der Häufigkeit schwerer
oder lebensbedrohender Blutungskomplikationen; bei der
Hirudintherapie wurde jedoch eine größere Häufigkeit
geringgradiger Blutungen beobachtet (8,8 versus 7,7
Prozent).
Bei akuten Koronarsyndromen bietet also rekombinantes
Hirudin im Vergleich zu Heparin einen geringen Vorteil,
der vor allem aus einer Verminderung des Risikos
nichtletaler Myokardinfarkte resultiert. Der
therapeutische Effekt war in den ersten 24 Stunden am
deutlichsten verschwand aber im Lauf der Zeit. Der
geringe Vorteil zeigte sich bei allen akuten koronaren
Syndromen und war nicht mit einem größeren Risiko
schwerer Blutungskomplikationen verbunden.
Quelle: GUSTO IIb Investigators,
N. Engl. J. Med. 335 (1996) 775 - 82.
PZ-Artikel von Wolfgang Kämmerer, Wiesbaden
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