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Oxidierte Proteine und Methusalem-Würmer

22.03.2004  00:00 Uhr
Zellalterung

Oxidierte Proteine und Methusalem-Würmer

von Brigitte M. Gensthaler, Freising

Fast allen Lebewesen ist ein Schicksal vorgezeichnet: Sie altern und sterben. Wie und warum dies geschieht, versuchen zahlreiche Theorien zu erklären. Ein wichtiger Schadfaktor ist oxidativer Stress. Oxidationsprodukte von Proteinen sammeln sich in alternden Zellen an und blockieren deren Funktion.

Proteine unterliegen nach der Synthese vielfältigen Veränderungen. Diese sind zum Teil gerichtet und lebenswichtig, wie Phosphorylierungen und Glykosylierungen, die für die Funktion des Proteins notwendig sind. Freie Radikale und andere Oxidantien schädigen dagegen Biomoleküle, indem sie diese oxidieren. Zu den Hauptangreifern zählen reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Sie entstehen aus exogenen Quellen, zum Beispiel Zigarettenrauch, durch Umweltgifte, manche Arzneimittel oder Pestizide. Sie werden aber auch endogen bei vielen Stoffwechselreaktionen gebildet und entstehen zum Beispiel in der mitochondrialen Atmungskette, im Katecholamin-Stoffwechsel, bei der Metabolisierung von Xenobiotika und autoxidativen Prozessen.

Nach einer heute gängigen Theorie passieren in alternden Zellen bei enzymatischen Reaktionen mehr „Fehler“ als in jüngeren Zellen, wodurch verstärkt Oxidantien entstehen. Können die körpereigenen, antioxidativen Schutzsysteme, die sich ebenfalls mit dem Alter verändern, den Ansturm nicht mehr abfangen, erleidet die Zelle oxidativen Stress.

Die Erforschung der Proteinoxidation ist ein relativ junges Forschungsgebiet, berichtete Privatdozent Dr. Tilman Grune vom Institut für umweltmedizinische Forschung an der Universität Düsseldorf beim 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Mitte März im Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München. In einer der ersten Arbeiten, 1993 publiziert, untersuchten Forscher die Proteine der Augenlinse und stellten fest, dass sich in höherem Alter Oxidationsprodukte, vor allem von Tyrosin ansammeln.

„Das Altern hängt wesentlich von Proteinmodifikation und -oxidation sowie deren Reparatur ab“, fasste Grune eine aktuelle Theorie zusammen. Durch den Angriff von ROS entstehen Proteinfragmente und Aggregate. Denn geschädigte, aufgefaltete Eiweißstränge tendieren dazu, sich zu vernetzen und zu verklumpen. Daraus entstehen hochmolekulare, unlösliche Komplexe, die sich intrazellulär anhäufen. Fatal ist, dass diese Aggregate nicht inert sind, sondern weitere modifizierte Proteine binden und immer tiefer in den Zellstoffwechsel eingreifen.

Um die Ablagerung des Proteinmülls zu verhindern, verfügt die Zelle über Mechanismen zur Reparatur oder zum Abbau der schadhaften Moleküle. Thioloxidationen und Methionin-Sulfoxide können enzymatisch gezielt repariert werden. Überwiegend werden oxidierte Proteine jedoch von Proteinasekomplexen, den so genannten Proteasomen, zerlegt. Werden diese blockiert, häufen sich oxidierte Proteine an, konnte Grune an menschlichen Fibroblasten in vitro zeigen.

Lipofuszin als Marker

Die Oxidationsprodukte bilden die Grundlage für das „ fluoreszierende Alterspigment“ Lipofuszin. Dieses Abfall- und Endprodukt des Stoffwechsels besteht aus Lipiden, Proteinen und Hydrolyse-resistenten Resten. Aus den Einzelkomponenten entsteht ein unlöslicher, hochmolekularer Komplex.

In alternden Zellen sinkt die Aktivität des Proteasoms, weshalb sich Lipofuszin ansammelt und sich um den Zellkern herum ablagert, erklärte Grune. Der Zellkern selbst scheint von diesen Veränderungen nicht betroffen zu sein: Hier bleiben Menge und Aktivität des Proteasoms stabil und auch das Alterspigment häuft sich nicht an.

Wie die Wissenschaftler herausfanden, blockiert Lipofuszin selbst den Proteinabbau zusätzlich. Wurden junge Zellen damit „gefüttert“, gingen die Aktivität des Proteasoms und in der Folge der intrazelluläre Proteolyse zurück. Die Anhäufung oxidierter Proteine in der Zelle gibt möglicherweise das Signal zum programmierten Zelltod (Apoptose).

Prinzipiell sollte es möglich sein, die Proteinoxidation durch Einnahme von Antioxidantien zu verhindern oder zu reduzieren, meinte der Mediziner. Die Forschung stehe hier allerdings erst ganz am Anfang. Offen seien Fragen wie die, ob die Aggregatbildung durch gezielte Zufuhr einzelner Antioxidantien gestoppt und vorhandene Verklumpungen wieder aufgelöst werden können.

Greise Würmer als Modell

Als gutes In-vivo-Modell, um Alterungsprozesse im Zeitraffer zu studieren, stellte Dr. Uwe Wenzel vom Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie der TU München den Fadenwurm Caenorhabditis elegans vor. Das Lieblingstier der Forscher ist 1 mm klein, vermehrt sich rasch und hat nur 959 Zellen. Seine krankheitsrelevanten Gene stimmen zu etwa 60 Prozent mit denen im Humangenom überein. Im Labor lebt der anspruchslose Wurm meist auf Agarplatten. Seine mittlere Lebensspanne liegt bei etwa 17 Tagen, die maximale Lebenszeit bei knapp 30 Tagen.

Die Wissenschaftler konnten Mutationen in einzelnen Genen identifizieren, die die Lebensspanne der Tiere vervielfachen. So werden Würmer, die Veränderungen im Daf-2-Gen („daf“ bedeutet „Dauerform“) haben, mehr als doppelt so alt wie ihre Artgenossen. Die clk-1-Genmutation alleine verlängert das Leben nicht, aber daf-2-clk-1-Mutanten lebten bis zu 80 Tage lang – und das ausgesprochen gut. „Die Methusalem-Würmer sind fit“, betonte Wenzel. Sie waren relativ resistent gegen Infektionen, Muskeldegeneration und mechanischen Stress, hatten eine gute Verdauung und machten mehr Pumpbewegungen, was der Forscher als „guten Appetit“ interpretierte.

Die Genmutationen schützten die Würmer vor oxidativem Stress, entweder durch besseren Schutz vor ROS oder durch verlangsamte Bildung der freien Radikale, erklärte Wenzel. Zudem wurde entdeckt, dass exogene Stoffe die Aktivität von ROS-entgiftenden Enzymen ankurbeln können. So verlängern zum Beispiel Superoxiddismutase-Katalase-Mimetika wie EUK-134 das Wurmleben, berichtete der Referent.

Um die Wirkung von Nahrungsbestandteilen auf die Lebenserwartung von Caenorhabditis elegans zu erforschen, entwickelte die Arbeitsgruppe um Wenzel ein Flüssigmedium, in dem der Wurm lebt. Dies war nötig, da das Tier sich normalerweise von Bakterien ernährt und daher nicht zu „füttern“ ist. Durch Pumpbewegungen nimmt das Tierchen das flüssige Medium mit den darin enthaltenen Nährstoffen auf. Dies ermöglicht eine gezielte orale Applikation von Prüfsubstanzen.

Die Weihenstephaner Forscher zeigten, dass die Ankurbelung der ROS-Bildung im Wurm oxidativen Stress auslöst und der Organismus mit einer Erhöhung der Glutathionspiegel reagiert. Werden die Anpassungsmechanismen durch höhere Konzentrationen an ROS überfordert, altert der Wurm rapide. Außerdem sammelt sich Lipofuszin in seinen Zellen an.

Derzeit untersucht die Gruppe, ob sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Flavonoide den Alterungsprozess beeinflussen können. Solche Studien gebe es bisher kaum, sagte Wenzel bei einer Pressekonferenz. Eine frühere Untersuchung mit Vitamin E habe nur marginale Effekte gezeigt, was aber an dem verwendeten Ernährungsmodell gelegen haben könnte. Erste Ergebnisse unter Verwendung des neuen Flüssigmediums könnten in einem Jahr vorliegen. Top

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