Medizin
Daß Musik Angst reduziert und
die Entspannung bei Operationen fördert, hat man
allenthalben schon mal gehört. Wissenschaftliche Studien
fehlten aber bisher. Auf dem Deutschen Schmerztag in
Frankfurt stellte Dr. Ralph Spintge vom Krankenhaus für
Sportverletzte Hellersen klinische Studien vor, die
beweisen, daß Patienten durch spezielle Musikprogramme
vor einer Operation weniger Streßhormone, dafür aber
mehr Beta-Endorphine produzieren als Patienten, die
konventionell operiert werden. "Mit Musik lassen
sich bis zu 50 Prozent Schmerz- und Beruhigungsmittel
einsparen", sagte Spintge.
Mit "Kunst gegen Schmerzen" widmete
sich der Deutsche Schmerztag einem Randthema der Medizin.
Jedoch werden Musik- und Tanztherapien als Ergänzung zur
Schulmedizin in der Behandlung von Schmerzzuständen
immer wichtiger. "Eine künstlerische Betätigung
kann den Zugang zu den Problemen hinter dem Schmerz
eröffnen, der dem kritischen Verstand verstellt
ist", erklärte der Präsident der Veranstaltung,
Dr. Thomas Flöter. Musik, Tanz, Rhythmus und
Bildnerische Gestaltung seien in der Lage, unsere Seele
zu bewegen und zu ergreifen - genau wie der Schmerz.
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt untersuchen
Spintge und seine Kollegen vom Forschungszentrum Jülich
und der Universität Berlin, wie Musik auf das
Nervensystem wirkt. Rhythmus spiele dabei eine zentrale
Rolle, da auch vitale Lebensvorgänge wie Atmung,
Herzschlag oder Schlaf einer Rhythmizität unterliegen.
Die musikalischen Rhythmen spiegeln physiologische
Rhythmen wider, sagte Spintge. Physiologische Rhythmen
sind ebensowenig konstant wie musikalische. Die
Schlagfrequenz des Herzens unterliegt einer
Spontanvariabilität. Spintges Hypothese: Beim Gesunden
ist die Variabilität dieser Rhythmen hoch, bei Angst und
Schmerz nimmt sie ab.
Chronische Schmerzen gehen immer mit einem erhöhten
Muskeltonus, mit vegetativen Begleitsymptomen und
Schlafstörungen einher. Musik, deren
Rhythmusvariabilität jener des physiologischen Zustandes
gleicht, wirke sich günstig auf die starren
Körperrhythmen der Patienten aus. "Vor der
eigentlichen Therapiesitzung senken wir dadurch den
Muskeltonus und die innere Anspannung. Die
Schmerzschwelle wird angehoben", erklärte Spintge.
Ruhe und Entspannung kehrten schon nach etwa zehn Minuten
ein. Spintge arbeitet mit CD-Player und Kopfhörern, die
die Patienten vor und während der Sitzung aufhaben.
Bei der eigentlichen Therapie gebe es recht unangenehme
Maßnahmen wie Nervenblockaden, führte Spintge aus. Für
solche Eingriffe wurden spezielle Musikprogramme
entwickelt, damit die Patienten die Behandlung
schmerzärmer erleben. Befragungen von Betroffenen
bestätigen in der Tat eine geringere Schmerzwahrnehmung.
Der Bedarf an Analgetika und Beruhigungsmitteln könnte
bei manchen Patienten um bis zu 50 Prozent gesenkt
werden.
Zusammen mit US-amerikanischen Ärzten analysierte
Spintge die Wirkung von Musik auf die Variabilität der
Puls- und Atemfrequenz von Frauen während der Geburt.
Messungen von Puls, Hauttemperatur und Muskelspannung
belegen, daß Frauen während der Geburt entspannter
waren, wenn sie Musik hörten. Zwar ist die
durchschnittliche Herzfrequenz bei allen Frauen gleich.
Doch die Variabilität der Frequenz liegt bei den
entspannten Gebärenden höher.
Derartige Effekte konnte eine Studie mit
Rückenschmerz-Patienten nicht aufweisen, sagte Spintge.
Weder tonale (Bach) noch atonale (Stockhausen) Musik
konnte die Variabilität des Herzrhythmus beeinflussen.
Spintge wertet dies als Hinweis darauf, daß die Musik
das parasympatische Nervensystem nicht anrühren konnte.
Allerdings zeigten sich Änderungen in der Atemfrequenz
variabler, die Klänge Stockhausens dagegen schränkten
die Frequenz ein. Das lasse den Schluß zu, daß die
Musik das autonome Nervensystem beruhige, sagte Spintge.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Frankfurt
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