Medizin
Seit 1989 untersucht die
Arbeitsgruppe von Professor Dr. Michael Höckel, Mainz,
prospektiv die Oxygenierung und Vaskularisation beim
klinischen und histopathologischen Zervixkarzinom.
Ergebnisse dieser Studien, die die Assoziierung von
maligner Progression und Tumorhypoxie belegen, stellte
Höckel am 15. Februar in Hamburg vor.
Die Ergebnisse untermauern folgende Hypothesen:
Trotz der Fähigkeit von Tumorkollektiven, neue
Blutgefäße zu bilden oder vorhandene zu inkorporieren,
gilt für einen malignen Tumor das sogenannte
Malthusianistische Prinzip: Der Ressourcenbedarf der
dereguliert proliferierenden Tumorpopulationszellen
übersteigt mit zunehmender Zellzahl die Möglichkeiten
des Stromas, diese in genügender Menge bereitzustellen.
Als Konsequenz kommt es zur intrazellulären Hypoxie,
Apoptose und Nekrose.
Genexpressionen hypoxisch gestreuter Turmorzellen
bewirken eine zunehmende Resistenz gegenüber
Strahlentherapie und einer Vielzahl von Zytostatika, so
der Referent weiter. Die unter Hypoxie gesteigerte
Tumorangiogenese und andere Mechanismen, fördern das
Metastasierungspotential. Die Tumorhypoxie erhöht über
verschiedene molekulare Mechanismen, zum Beispiel die
Aktivierung von Endonukleasen, die genetische
Instabilität und erzeugt neue genetische Varianten.
Diese wiederum sind dem hypoxischen Selektionsdruck
ausgesetzt, der Apoptose-unfähigen Turmorzellvarianten
(als Mechanismus der Therapieresistenz) und Tumorzellen
mit höheren Metastasierungspotentialen Wachstumsvorteile
verschafft.
Klinische Konsequenz laut Höckel: Das Zervixkarzinom als
weltweit zweithäufigstes Karzinom der Frau wird heute
sehr viel radikaler operiert als früher. Noch stärker
konzentriere man sich auf Früherkennung und Prävention,
Der Einsatz von Erythropoietin und hyperbarem Sauerstoff
zur Therapie werde überprüft.
Molekulare Grundlagen
Das Verständnis der molekularen Vorgänge, die
dem Krebsgeschehen zugrunde liegen, sei auch Grundlage
für neue therapeutische Strategien mit Aussicht auf
klinischen Erfolg, sagte Privatdozent Dr. Holger
Kalthoff, Kiel. Heute werde das Konzept der
"Fehlregulation in der Wachstumskontrolle"
durch die Auffassung von Krebs als "die Unfähigkeit
von Zellen zu sterben" komplettiert.
Als eine frühe Veränderung im Genmaterial bei der
Entstehung von Tumoren schilderte Kalthoff die
Chromosom-5-Methylierung, die über Hyperproliferation
von normalem Epithel über Adenom I- bis III-Bildung zum
Carcinom und zu Metastasen führt. Zellbiologische
Ansätze, so der Referent, hätten unter anderem ergeben,
daß das Fusionsprodukt aus einer Tumor- und einer
normalen Zelle benigne ist. Mit anderen Worten,
Turmorzellen haben offenbar Eigenschaften verloren, die
jedoch durch das Hinzufügen genetischen Materials
wiederhergestellt werden können. Zusammen mit anderen
Befunden seien es diese Überlegungen gewesen, die zur
Entdeckung der Anti-Onkogene oder Tumorsuppressorgene
geführt hätten.
Tumorsuppressorgene tragen zur Krebsentstehung bei, wenn
sie zum Beispiel durch Mutationen inaktiviert werden.
Bremsfunktionen der Zelle, die sie unter normalen
Umständen an einer unangemessenen Vermehrung hindern,
werden ausgeschaltet. Als Paradebeispiel eines
Tumorsuppressorgens, das als "Wächter des Genoms
und der genetischen Integrität" gilt, nannte
Kalthoff das p53-Gen. Heute weiß man, daß eine Vielzahl
genetischer Veränderungen zusammenkommen muß, um aus
einer normalen eine transformierte Zelle zu machen. Bei
der Induktion des Zelltodes von außen spielt die
Auseinandersetzung des Immunsystems mit sich selbst eine
essentielle Rolle, so der Referent.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Hamburg
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