Medizin
Nobelpreis für Medizin geht
an zwei Immunologen
Der diesjährige Nobelpreis für
Medizin wird wieder einmal in der Sparte Immunologie
verliehen: Der Schweizer Rolf Zinkernagel und der
Australier Peter Doherty erhalten ihn für gemeinsame
Arbeiten in den siebziger Jahren zur Aufklärung der
Mechanismen, mit denen das zelluläre Immunsystem sowohl
Mikroorganismen als auch körpereigene Moleküle erkennt.
Diese Entdeckung hat, wie es in der Begründung des
Nobelkommittees heißt, große Bedeutung für die
klinische Medizin: Als Anwendungen ergeben sich
Strategien zur Stärkung des Immunsystems gegenüber
pathogenen Mikroorganismen und Krebszellen sowie zum
besseren Verständnis von Autoimmunkrankheiten.
Als Zinkernagel 1973 an Dohertys Institut in
Canberra kam, wußte man noch nichts über das enge
Zusammenwirken von T-Zell-Abwehr und Transplantations-
beziehungsweise Histokompatibi1itäts-Antigenen. Die
beiden Wissenschaftler infizierten nun Mäuse mit dem
lymphozytären Choriomeningitis-Virus und fanden, wie
bereits andere Wissenschaftler vor ihnen, daß die Tiere
eine Immunität gegen dieses tödliche Virus
entwickelten. Die Immunität ließ sich mit T-Zellen von
einem Tier auf ein anderes übertragen. Das funktionierte
jedoch nur, wenn beide Tiere genetisch so ähnlich waren,
daß sie die gleichen Histokompatibilitäts-Antigene (bei
Mäusen als MHC - für Major Histocompatibility Complex
bezeichnet) besaßen.
Daraus schlossen die beiden Immunologen, daß T-Zellen
Virusantigene auf infizierten Zellen nur im Kontext von
MHC-Molekülen erkennen. Dieses Konzept der
MHC-Restriktion der Erkennung von Antigenen wurde in der
Zwischenzeit vielfach bestätigt: Man fand, daß die
MHC-Moleküle - beim Menschen als HLA für Human
Leukocyte Antigen bezeichnet - stark polymorph sind und
daß praktisch jedes Individuum eine eigene, einzigartige
Kombination solcher Antigene auf seinen Zellen trägt.
Diese Antigene sind darauf spezialisiert, kleine
Peptidfragmente von viralen Proteinen zu binden und an
der Zelloberfläche zu "präsentieren". Dort
werden die Fragmente von bestimmten T-Lymphozyten
erkannt, und zwar eben nur in räumlicher Kombination mit
bestimmten Merkmalen des MHC- oder HLA-Moleküls. Passen
die Erkennungsmerkmale auf den Oberflächen beider Zellen
zusammen, so kann die zytotoxische T-Zelle mit Hilfe
spezialisierter Proteine, sogenannter Perforine, Lecks in
die Membran der virusinfizierten Zelle schlagen, die
daraufhin abstirbt.
Medizinisch werden diese Erkenntnisse genutzt, indem man
bei der Entwicklung neuer Impfstoffe heute darauf achtet,
von den Mikroorganismen solche Proteine oder Peptide zu
verwenden, die gut auf weit verbreitete HLA-Antigene
passen und dadurch starke Immunreaktionen bei möglichst
vielen Impflingen versprechen. Ähnlich wie die Erkennung
virusinfizierter Zellen funktioniert im günstigen Fall
die Identifizierung und Zerstörung von Krebszellen durch
das Immunsystem: Bruchstücke krebszellspezifischer
Proteine werden durch MHC- oder HLA-Moleküle den
T-Lymphozyten präsentiert, die daraufhin für die
Zerstörung der malignen Zelle sorgen. Folgerichtig
versucht man in der Onkologie, mit krebszellspezifischen
Antigenen das Immunsystem zu stimulieren, um vor allem
die Entstehung und Vergrößerung von Metastasen zu
verhindern.
Auch für das Verständnis von Autoimmunkrankheiten wie
Multipler Sklerose dürften sich die Befunde über die
HLA-restringierte Erkennung der körpereigenen Antigene
durch T-Zellen als wesentlich erweisen. In zahlreichen
Tierexperimenten und auch beim Menschen konnte bisher
gezeigt werden, daß bestimmte MHC oder HLA-Subtypen ein
erhöhtes Risiko für die Entstehung von
Autoimmunkrankheiten bedeuten. In vielen Fällen lassen
sich Ähnlichkeiten zwischen viralen oder bakteriellen
Antigenen auf der einen und körpereigenen Antigenen auf
der anderen Seite nachweisen. Haben T-Zellen einmal ein
externes Antigen in Verbindung mit bestimmten
HLA-Molekülen "gesehen", so steigt offenbar
die Chance, daß sie auch ähnliche körpereigene
Antigene als "fremd" erkennen und die
betreffenden Zellen angreifen. In Tiermodellen für die
Multiple Sklerose ist es beispielsweise gelungen, auf der
Basis solcher Erkenntnisse, sogenannte
T-Suppressor-Zellen zu isolieren, die die zytotoxischen
T-Zellen unterdrücken und dadurch den Ausbruch der
experimentell induzierten Autoimmunkrankheit verhindern.
PZ-Artikel von Josef Gulden, Grafrath
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