Medizin |
16.11.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Nicht nur Mutationen des für den Leptin-Rezeptor codierenden Gens können zu
Adipositas führen, sondern auch solche am PPARy2-Gen. Dicke Menschen
behaupten bisweilen, ihr hohes Körpergewicht sei nicht das Resultat zügellosen
Essens, sondern genetisch bedingt. Schützenhilfe erhalten sie jetzt durch die
Ergebnisse einer deutsch/amerikanischen Forschergruppe. Sie untersuchte 358
Deutsche, von denen 121 einen Körpermassenindex über 29 hatten und damit als
fettsüchtig gelten.
Die Wissenschaftler fanden auf einem Gen, das für einen Rezeptor codiert, der bei
der Regulation der Adipozytendifferenzierung eine Schlüsselrolle spielt, eine
Mutation, die offensichtlich nur bei adipösen Menschen vorkommt. An der Position
115 der Aminosäuresequenz des PPARy2 (Peroxisomenproliferator-aktivierten
Rezeptor)-Gens wurde statt Prolin Glutamin eingebaut. Allerdings scheint die
genetische Prädisposition eher selten zu sein. Nur vier von 121 Dicken wiesen die
Mutation auf, bei der an der Position 115 Prolin in Glutamin umgewandelt wurde.
Die Mutation bewirke eine beschleunigte Bildung von Adipozyten und eine starke
Anhäufung von Triglyceriden in den Zellen, schreiben die Autoren der Studie. Die
Auswirkung der Mutation ist dramatisch. Während der durchschnittliche
Körpermassenindex in der Adipositas-Gruppe bei 33,6 lag, wiesen die vier Träger
der Mutation Werte zwischen 37,9 und 47,3 auf. Wer also einfach ein wenig zu
schwer ist, wird zumindest diese genetische Veranlagung nicht als Begründung
anführen können.
Quelle: Ristow, M., et al., New England Journal of Medicine 1998, Vol. 339, Nr. 14, 953-959.
Manchmal ist die Welt eben doch gerecht. Doch sind es nicht immer materielle
Anreize, die einem soziales Verhalten versüßen. Nach den Ergebnissen einer
finnischen Studie erleiden Blutspender deutlich seltener einen Myokardinfarkt als
Menschen, die kein Blut spenden.
Wissenschaftler von der Universität Kuopio in Finnland beobachteten 2862
Menschen, Blutspender und Nichtspender, im Alter zwischen 42 und 60 über
durchschnittlich neun Jahre. Während von den 153 Blutspendern lediglich einer einen
Myokardinfarkt erlitt (0,7 Prozent), lag die Quote bei den Nichtspendern bei 12,5
Prozent (316 von 2529).
Regelmäßiges Blutspenden senke die Eisenkonzentration im Blut, so der Leiter der
Studie Professor Dr. Jukka T. Salonen. Eisen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein
Risikofaktor für Herzinfarkte. Zum einen katalysiert es die Bildung freier Radikale,
zum anderen fördert es die Lipidperoxidation. Salonen glaubt, daß der regelmäßige
Blutverlust von Frauen durch die Menstruation ebenfalls vor Myokardinfarkt schützt.
Es seien nicht allein die Estrogene, die für die niedrigere Herzinfarktrate von Frauen
gegenüber Männern verantwortlich sind, so seine Überzeugung.
Quelle: Salonen, J.T., et al., American Journal of Epidemiology 1998, Vol. 148, Nr. 5,
445-451.
Menschen, die seit ihrer frühen Jugend blind sind, können eine Schallquelle
besser im Raum lokalisieren als Sehende. Zu diesem Schluß kommen der
Neuropsychologe N. Lessard und seine Kollegen von der Universität Montreal.
Lessard und seine Kollegen setzten Blinde und Normalsichtige vor 16 im Halbkreis
angeordnete Lautsprecherboxen, aus denen nach dem Zufallsprinzip Töne
erschallten. Die Testpersonen sollten die Position der Schallquelle bestimmen. Bei
dieser Versuchsanordnung schnitten Blinde und Sehende noch gleich gut ab.
Eindeutig überlegen waren die blinden Testpersonen, wenn ein Ohr künstlich
verschlossen wurde. Vor allem, wenn die Schallquelle auf der Seite des
verschlossenen Ohres lag, konnten sie diese besser lokalisieren als Sehende.
Lessard und seine Kollegen vermuten, daß Blinde besser eine Schallquelle orten
können, weil sie bestimmte sensorische Neurone fürs Hören nutzen, die bei
Sehenden optische Aufgaben übernehmen. Im Colliculus superior, einem Teil der
Sehbahn, gibt es Neurone, die optische und akustische Reize parallel verarbeiten,
und so die Orientierung des Menschen im Raum ermöglichen. Bei Blinden müßten
diese Neurone ausschließlich akustische Reize verarbeiten, so die Autoren. Diese
und möglicherweise noch weitere arbeitslose optische Neurone ermöglichten Blinden
das bessere Hören.
Quelle: Lessard, N., et al. Nature Vol. 395, 17. September 1998, 278-280.
Eine Adenovirus-Mutante, die bereits in den ersten klinischen Studien als
Tumortherapeutikum eingesetzt wird, kann gesunde Zellen zerstören und wirkt auf
entartete Zellen nicht toxisch. Das ist das Ergebnis einer Studie von Anthony R. Hall
und seinen Mitarbeitern von der Universität von Otago in Dunedin, Neuseeland.
Bislang gingen Wissenschaftler vom Gegenteil aus, daß nämlich dieselbe
Adenovirus-Mutante, ONYX-015, selektiv Krebszellen attackiert und gesundes
Gewebe verschont. Die Arbeitsgruppe um Frank McCormick von ONYX
Pharmaceuticals in Richmond, Kalifornien (USA), hatte vor einiger Zeit
entsprechende Ergebnisse veröffentlicht und die Viren in klinischen Studien an
Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung eingesetzt. Die Wissenschaftler
präsentierten bereits erste positive Ergebnisse auf dem Treffen der amerikanischen
Gesellschaft für Onkologie. ONYX-015 hatte zuvor in Tierversuchen die Größe der
Tumore reduziert und bei 60 Prozent der Wucherungen für eine vollständige
Regression gesorgt.
Die neuen Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Hall stellen nun den therapeutischen
Nutzen von ONYX-015 in Frage. Das Virus zerstört demnach ausschließlich
gesunde Zellen, die das Anti-Tumorprotein p53 besitzen. In veränderten Zellen ohne
p53 kann ONYX-015 sich zwar vermehren, jedoch ohne den gewünschten
zerstörerischen Effekt.
Der Ausfall des p53-Gens ist ein entscheidendes Ereignis bei der Krebsentstehung:
Bei 50 Prozent der soliden Tumore fehlt es in seiner funktionellen Form. p53 wird in
gesunden Zellen nur in geringen Mengen exprimiert. Empfängt die Zelle jedoch
Streßsignale, wie Strahlung oder Sauerstoffmangel, bildet sie vermehrt p53,
woraufhin der programmierte Zelltod eingeleitet wird.
Lange Zeit haben Wissenschaftler intensiv nach einem Medikament gesucht, das
selektiv Zellen ansteuert, die p53 verloren haben. McCormick und seine Mitarbeiter
hatten dabei die zündende Idee, genetisch veränderte Adenoviren einzusetzen.
Adenoviren besitzen ein Protein, das p53 bindet und inaktiviert. Mit ONXY-015
fanden die Wissenschaftler eine Adenovirus-Mutante, der dieses Protein fehlt. Das
veränderte Virus könne sich in Zellen mit p53 - dazu gehören alle gesunden Zellen -
nicht vermehren. ONYX-015 zerstöre jedoch Zellen, denen p53 fehlt, hieß es in
einer Veröffentlichung vom Juni 1997 in Nature Medicine.
Durch die Ergebnisse von Hall und seinen Mitarbeitern stellt sich nun die Frage, ob
die Viren für die Anti-Tumor-Therapie überhaupt geeignet sind. David P. Lane von
den Cancer Research Campaign Laboratories der Universität von Dundee,
Großbritannien, schreibt dazu in seinem Kommentar in derselben Ausgabe von
Nature Medicine, daß zur Zeit noch völlig unklar sei, wie und warum Adenoviren
Zellen zerstören und welche Rolle dabei die Blockade von p53 spielt. Auch sei
ungeklärt, welche Zelltypen ONYX-015 überhaupt befällt. Diese Fragen müßten
beantwortet werden, um zu entscheiden, ob vermehrungsfähige Viren in klinischen
Studien eingesetzt werden sollten oder nicht.
Quelle: Hall, A.R., et al., Nature Medicine, Vol. 4, September 1998, 1068-1072.
Ein Puzzle-Teilchen mehr können Wissenschaftler nun ins Gesamtbild
Prostatakarzinom einfügen. Yasumoto Nasu und seine Mitarbeiter vom Baylor
College of Medicine in Houston, Texas (USA), konnten zeigen, daß das Protein
Caveolin zum androgen-unabhängigen Wachstum besonders aggressiver
Prostatatumore beiträgt.
Prostatakarzinome werden meist mit dem Entzug von Androgenen behandelt.
Daraufhin wachsen die Krebszellen in der Regel langsamer. Bei einigen Patienten
beginnen die Tumorzellen danach jedoch wieder, sich auch ohne Androgene zu
teilen. Diese besonders aggressiven Tumore bilden häufig Metastasen. Bereits vor
einiger Zeit konnten die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen der
Progression des Prostatakarzinoms und der Expression des Proteins Caveolin beim
Menschen zeigen.
Bei Caveolin handelt es sich um die Hauptstrukturkomponente der Caveolae
(wörtlich kleine Höhlen), runder Vertiefungen der Plasmamembran, die
wahrscheinlich für den Transport von Molekülen in die Zelle verantwortlich sind. Die
Forscher konnten nun durch gentechnische Methoden den Caveolin-Spiegel in
androgen-unabhängigen Prostatatumoren von Mäusen senken. Die Krebszellen
reagierten danach wieder auf Androgen-Entzug und reduzierten ihr Wachstum.
Der Zusammenhang zwischen Prostata-Krebs und Caveolin ist nach Meinung der
Forscher nicht so weit hergeholt, wie zunächst scheint. Die Progression von
Prostatakrebs stehe mit einer fettreichen Ernährung in Zusammenhang.
LDL-Cholesterol sorge für eine gesteigerte Caveolin-Expression in Fibroblasten, so
die Wissenschaftler.
Quelle: Nasu, Y., et al., Nature Medicine, Vol. 4, September 1998, 1062-1064.
Nach den Ergebnissen von Ian D. Meng, San Francisco, werden die
schmerzstillenden Wirkungen von Cannabinoiden und Opiaten in derselben
Hirnregion erzeugt. Cannabinoide modulieren die Aktivität von Nervenzellen in der
rostralen ventromedialen Medulla, einer Struktur im Hirnstamm, in der auch
Opiatrezeptoren vorkommen.
Die kalifornischen Wissenschaftler injizierten Mäusen den
Cannabinoid-Rezeptoragonisten WIN55,212-2 und beobachteten eine deutliche
Senkung der Schmerzempfindlichkeit und der Aktivität von Schmerzneuronen. Die
Neurone stehen in Kontakt mit Nervenzellen aus dem Rückenmark, in denen
Schmerzempfindung aus der Peripherie auf zentrale Nervenbahnen umgeschaltet
wird.
Meng und seine Kollegen fanden außerdem heraus, daß in der rostralen
ventromedialen Medulla offensichtlich endogene Cannabinoide tonisch freigesetzt
werden, denn die Injektion des Cannabinoid-Antagonisten SR141716A führte zur
Hyperalgesie, also zur erhöhten Schmerzempfindlichkeit. Zudem fanden sie Enzyme
für die Synthese des Cannabinoids Anandamid im Hirnstamm.
Obwohl in der rostralen ventromedialen Medulla auch die Rezeptoren für Opiate
angesiedelt sind, scheinen beide Regelkreise unabhängig voneinander zu sein. Denn
die zusätzliche Gabe des Opiat-Antagonisten Naloxon reduzierte nicht die
analgetische Wirkung von WIN55,212-2.
Die kalifornischen Wissenschaftler erwarten, daß der Einsatz von Cannabinoiden die
Schmerztherapie deutlich verbessern könnte. Im Vergleich zu Opiaten seien deren
Nebenwirkungen wesentlich geringer, zum Teil sogar therapeutisch wünschenswert.
So steigert Cannabis erwiesenermaßen den Appetit, während Opiate Erbrechen
auslösen können.
Quelle: Ian D. Meng, et al.; Nature, Vol 395, 24. September 1998, 381-383.
Zusammengestellt von Daniel Rücker und Ulrike Wagner, Eschborn
© 1997 GOVI-Verlag
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