Medizin
In den nächsten 25 Jahren wird die Weltbevölkerung um fünfzig Prozent
zunehmen, die ackerbaulich nutzbare Fläche aber bestenfalls gleichbleiben.
Bessere landwirtschaftliche Methoden alleine reichen nicht aus, um die
Versorgung sicherzustellen. Können Gentechnik und Biotechnologie die
pflanzliche Primärproduktion effektiv steigern?
Gentechnisch veränderte Pflanzen können Nährstoffe besser aufnehmen, Pathogene
leichter abwehren und sind toleranter gegenüber Streß. Stoffwechselengpässe
werden von Forscherhand beseitigt und das Wachstum beschleunigt. Trotz
leistungsfähiger Produktion könnten so Ressourcen geschont werden. Davon ist Dr.
Günter Donn, Leiter der zellbiologischen Forschung bei der Hoechst Schering
AgrEvo in Frankfurt, überzeugt.
Herbizidtoleranter Raps
Der Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen nimmt weltweit rasant zu:
von 11 Millionen Hektar 1997 auf 27,8 Millionen 1998 und schätzungsweise 42
Millionen Hektar im nächsten Jahr. Spitzenreiter ist Soja (über 14 Millionen Hektar
1998), gefolgt von Mais, Baumwolle, Raps und der Kartoffel. Hauptsächlich handelt
es sich um Pflanzen, denen eine Herbizidtoleranz oder Insektenresistenz oder beide
Merkmale mitgegeben wurden. Donn erläuterte bei einem Pressegespräch in
Grünwald bei München, welche Vorteile herbizidresistente Pflanzen bieten:
Pflanzenschutzmittel werden nicht mehr prophylaktisch, sondern nur noch bei Bedarf
ausgebracht.
Erstmals könnten verwandte Wildpflanzen bei Raps zum Beispiel Ackersenf und
Wildrübsen aus den Kulturen entfernt und eine mögliche Kreuzung zwischen
Kultur- und Wildpflanze verhindert werden. 1995 wurden in Kanada die ersten
Rapssorten zum Anbau freigegeben, die das Herbizid Glufosinat vertragen; heute
belegt diese Pflanze bereits ein Viertel der kanadischen Rapsanbaufläche.
Glutenfreier Weizen
Der Verbraucher erhalte ressourcenschonend hergestellte Lebensmittel, die weniger
unerwünschte Inhaltsstoffe enthalten, zum Beispiel Rapsöl ohne Erucasäure. Auch
Allergiker oder kranke Menschen können laut Donn von der Pflanzenbiotechnologie
profitieren. So wird an allergenfreiem Reis, glutenfreiem Weizen oder Maniok mit
geringerem Gehalt an cyanogenen Glykosiden gearbeitet interessant für
Entwicklungsländer.
Man kann Pflanzen aber auch veranlassen, bestimmte Stoffe vermehrt zu
produzieren. Absehbar ist die Entwicklung von Gemüse mit erhöhtem Vitamingehalt,
Obst und Gemüse mit Schutzproteinen gegen Magen- und Darmerkrankungen und
von Pflanzen, die beispielsweise Waschmittelenzyme liefern.
Die bei der gentechnischen Manipulation eingebrachten Resistenzgene seien aus
wissenschaftlicher Sicht zwar ungefährlich, aber für Verbraucher und Landwirte
nutzlos, meinte Donn. Da sie für die heutigen Genübertragungsarbeiten nicht mehr
zwingend nötig sind, würden sie bei neuen Versuchen auch nicht mehr verwendet.
Kennzeichnung obligat
Die Kennzeichnung ist seit Mai 1997 in der Novel-Food-Verordnung europaweit
einheitlich geregelt. Seit September dieses Jahres müssen alle Produkte
gekennzeichnet sein, in denen gentechnisch veränderte DNA oder Proteine
nachweisbar sind. Das betrifft unverarbeitete Lebensmittel und Folgeprodukte wie
Tomatenmark, Sojamehl oder Rapsöl. Bei nicht unterscheidbaren Folgeprodukten
(raffiniertes Sojaöl) ist die Kennzeichnung freigestellt.
Das Problem sei nun, Grenzwerte für die kennzeichnungspflichtige Menge an
gentechnisch verändertem Erbgut zu definieren, berichtete Dr. Wolfgang Faust,
Leiter der Unternehmenskommunikation bei AgrEvo. Die empfindlichen
Nachweismethoden erfassen auch Spuren von fremdem Erbgut, das beispielsweise
beim Transport von unveränderten Sojabohnen als Verunreinigung eingebracht
wurde. In der EU würden derzeit Werte zwischen einem und drei Prozent diskutiert.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler
© 1997 GOVI-Verlag
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