Roggenbrot gegen Dickdarmkrebs |
22.09.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, zu denen Phytoestrogene wie Lignane
und Isoflavonoide gehören, scheinen mit krebsprotektiven Eigenschaften
aufwarten zu können. Was liegt da näher, als sich phytoestrogenreich zu
ernähren? Dabei könnte Roggenbrot eine zentrale Rolle einnehmen. Denn
das Roggenkorn zeichnet sich neben hohem Lignan-Gehalt durch ein
günstiges Verhältnis von löslichen und unlöslichen Ballaststoffen aus.
1993 haben sich skandinavische Wissenschaftler im Rahmen des NordFood
Programms, unterstützt vom Nordisk Industriefond, daran gemacht, die präventive
Wirkung der Lignane und Ballaststoffe auf Prostata-, Brust- und Dickdarmkrebs
aufzuklären. Anfang September stellten sie Ergebnisse bezüglich Kolonkrebs in
Bergisch-Gladbach vor.
Vergleicht man die Ernährung finnischer und amerikanischer Frauen, verspeisen die
Finninnen trotz ähnlicher Gesamtballaststoff-Menge mehr Getreideballaststoffe,
vorzüglich Roggenfaserstoffe. Dies führt zu einem höheren Stuhlvolumen. Gleichzeitig
liegt die Brustkrebs- und Kolonkrebsrate deutlich niedriger als bei Amerikanerinnen.
Auffällig auch die Tatsache, daß im Südwesten Finnlands, wo relativ wenig Roggen
verzehrt wird, das Risiko für diese Krebsarten höher liegt als in Nord-Karelien, wo
Roggen-Lebensmittel sehr häufig auf der Speisekarte stehen.
Roggen enthält zu 73 Prozent unlösliche Ballaststoffe, der Anteil an löslichen
Faserstoffen ist mit 27 Prozent im Vergleich zu anderen Getreidearten relativ hoch.
Die protektive Wirkung der unlöslichen Faserstoffe in Hinblick auf Dickdarmkrebs
ist schon seit längerem bekannt. Sie sorgen für ein höheres Stuhlvolumen, reduzieren
die Transitzeit und verkürzen damit die Kontaktzeit fäkaler toxischer Verbindungen
mit der Mukosa. Professor Dr. Walter Feldheim, Institut für Humanernährung und
Lebensmittelkunde, Universität Kiel, stellte Versuchsergebnisse vor, wonach ein
Gramm Roggenballaststoff den Stuhl um sechs Gramm aufplustert. "Damit hat
Roggen von allen Getreideballaststoffen die größte Stuhlwirksamkeit, und auch die
Faserstoffe aus Obst und Gemüse sind weit weniger aktiv."
Besonderes Augenmerk unter den Ballaststoffen gelten den Lignanen, und zwar
hauptsächlich Matairesinol und Secoisolariciresinol. Diese werden mit Hilfe der
Mikroorganismen des Darms in die erst wirksamen Diphenole Enterolacton und
Enterodiol umgewandelt. Den höchsten Lignangehalt besitzt Leinsamen. Auch
Vollkorn- Weizenprodukte und Weizenkleie enthalten Lignane, aber nur eine Sorte,
nämlich Secoisolariciresinol. Roggen dagegen enthält beide Precursoren für
Enterolacton und Enterodiol.
Eine Reihe von Versuchen an Dickdarmkrebszellen und Tieren legen nahe, daß sich
Enterolacton und Enterodiol in Anwesenheit von Estradiol wie Antiestrogene
verhalten. "Dickdarmkrebszellen besitzen Estrogenrezeptoren. Phytoestrogene wie
Enterolacton binden an diese Hormonrezeptoren, haben aber nur geringe Aktivität.
Es reicht aber, um die proliferierende Wirkung der Estrogene auf das
Krebswachstum zu hemmen", erklärte Professor Dr. Herman Adlercreutz,
University of Helsinki.
Eine weitere Theorie für die Kanzerogenese des Kolonkrebs beschäftigt sich mit den
Fermentationsprozessen im Darm. Die Darmflora verwertet die in den Dickdarm
gelangten Nahrungsreste, wobei kurzkettige Fettsäuren entstehen. Essigsäure,
Propionsäure und Buttersäure senken den pH-Wert im Dickdarmlumen. Folge: Die
Aktivität bakterieller Enzyme und die Löslichkeit sekundärer Gallensäuren wird
herabgesetzt. Hierbei scheint besonders Butyrat eine wichtige Funktion zu haben.
"Dem Butyrat könnte eine Schlüsselrolle beim Dickdarmkrebs zukommen", sagte
Feldheim. Es ist nämlich an Zellteilung und Zelldifferenzierung der
Dickdarmmukosazellen beteiligt. Bei der Roggen-Fermentation wird im Vergleich zu
anderen Vollkornprodukten Butyrat in großer Menge gebildet.
Auch die Gallensäuren spielen wahrscheinlich eine wichtige Rolle in der
Karzinogenese. Tierversuche beweisen, daß Lignane ein für die Umwandlung von
primären in sekundäre Gallensäuren verantwortliches Enzym hemmen und somit zu
einer Verringerung des Erkrankungsrisikos beitragen. Die primären Gallensäuren
Cholsäure und Chenodesoxycholsäure sind harmlos, die sekundären
Desoxycholsäure und Lithocholsäure sind toxisch.
Studien von Adlercreutz ergeben, daß es beim Verzehr von Roggenbrot zur
Veresterung der toxischen Carboxylgruppe in den Gallensäuren kommt. Die Natur
dieser Ester ist bisher noch nicht geklärt. Wahrscheinlich werden die Gallensäuren zu
langen Ketten verbunden, und das verhindert die Bildung sekundärer Gallensäuren.
Adlercreutz stellte ein Studie mit 12 Frauen vor, die unterschiedliche Brotsorten
verzehrten. Beim Roggenbrot stieg der Anteil der veresterten Gallensäuren von 30
auf 46 Prozent der Gallensäuren, gleichzeitig sank die Konzentration von
Lithocholsäure und Desoxycholsäure signifikant. Beim Verzehr von weißem Brot
bleiben diese Effekte aus.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Bergisch-Gladbach
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