Medizin
Im späten Stadium einer Demenz ist die Diagnose klar, zu Beginn aber
fällt die Abgrenzung von anderen Erkrankungen schwer. Kognitive
Störungen mischen sich mit Verhaltensänderungen, und nicht jeder, der
ständig etwas vergißt, ist dement. Details zur Differentialdiagnose wurden
auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärt.
Das wichtigste ist die Unterscheidung zwischen Demenz und Pseudodemenz.
Letztere gibt es in verschiedenen Ausprägungen, erklärte Dr. Lothar Blaha,
Bezirkskrankenhaus Deggendorf-Mainkofen. Pseudodement werden Menschen,
wenn sie zu wenig angeregt oder gefordert werden. Der klassische Fall tritt nach der
Pensionierung auf. Schwere Konflikte können Demenz-ähnliche Blockaden
hervorrufen und der Mißbrauch von Tranquilizern wirkt sich ebenfalls auf die
kognitiven Leistungen aus.
Besonders depressive Pseudodemenz und Demenz werden leicht verwechselt.
Ältere Menschen mit depressiven Verstimmungen leiden oft unter
Konzentrationsschwäche, Gedächtnisstörungen oder Antriebslosigkeit. Umgekehrt
werden Demente häufig depressiv. Würde ein echter Demenzpatient aber mit
Antidepressiva behandelt, könnten sich die Hirnleistungsstörungen noch verstärken,
warnte Blaha. Antworten Patienten ständig "ich weiß es nicht", betonen sie ihre
Defizite; werten sie ihre Fähigkeiten ab und bemühen sie sich nicht, leistungsfähig zu
bleiben, sind sie eher depressiv. Herrscht eine echte Demenz vor, erkennen die
Angehörigen oft das Ausmaß der Erkrankung nicht. Der Krankheitsbeginn kann nur
vage datiert werden, die Patienten versuchen ihre Vergeßlichkeit zu verbergen oder
durch Notizen auszugleichen und klagen seltener. Ihre Tagesstimmung ist
wechselhaft.
Wann ist überhaupt an eine Demenz zu denken? Bernd Zimmer, niedergelassener
Allgemeinmediziner aus Wuppertal, zählte auf: wenn ältere Menschen häufig
dieselben Fragen stellen, wenn sie nach Worten suchen, Fragen nicht beantworten
können, Begriffe im falschen Kontext verwenden, wenn sie sich im Tag irren,
unkontrolliert größere Geldmengen im Laden ausbreiten oder sich nicht mehr unter
die Leute trauen. Oft ändere sich auch die Persönlichkeit. Manche Patienten werden
unerwartet aggressiv oder viel vertraulicher, als sie es jemals vorher waren.
Der Schweregrad einer Demenz kann nicht aus der Selbsteinschätzung des Patienten
abgeleitet werden, warnte Blaha. Je weiter fortgeschritten die Erkrankung, desto
besser sei die subjektive Befindlichkeit des Patienten. Objektiver läßt sich die
tatsächliche Leistungsfähigkeit des Patienten aus verschiedenen Testverfahren
ableiten. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß Akademiker manche Tests (zum
Beispiel von 100 schrittweise immer 7 abziehen) auch dann noch lösen können,
wenn die Erkrankung schon fortgeschritten ist. Weniger gebildete Patienten hingegen
werden als dement eingestuft, obwohl sie einfach nicht rechnen können.
Über einen Wortschatztest, der stufenweise immer seltenere Vokabeln abfragt,
könne der Bildungsgrad des Patienten eingeschätzt werden, meinte Dr. Siegfried
Lehrl, Universität Erlangen-Nürnberg. (In einer Reihe von Phantasiewörtern wie
Presedant, Prelevend, Primidant, Präsilend ist ein existierendes Wort - Prätendent -
zu kennzeichnen.)
Liegt eine Demenz vor, sollte auch ihre Ursache geklärt werden. Zehn Prozent der
Fälle sind möglicherweise heilbar, weil Hämatome, Hypothyreosen, Hypoglycämien,
Infektionskrankheiten oder Gehirntumore vorliegen. Zehn Prozent der Demenzen
haben vaskuläre Ursachen (Multiinfarkt-Demenz, MID), ungefähr die Hälfte ist
degenerativer Natur, hierzu gehört auch Morbus Alzheimer. Der Rest sind
Mischformen.
Reine Vasoaktiva wie Pentoxyphyllin seien bei Multiinfarkt Demenz günstig, so
Professor Helmut Woelk vom Psychiatrischen Krankenhaus Gießen.
Encephalotrope Stoffe wie Piracetam, also Arzneimittel, die vermutlich auf den
Gehirnstoffwechsel wirken, seien bei Alzheimer indiziert. Nicergolin, eine Substanz
mit Wirkung auf Thrombozyten-Aggregation und neuronalen Stoffwechsel, sei bei
vaskulärer und degenerativer Demenz einsetzbar.
Die Präparate beginnen frühestens nach drei bis vier Monaten zu wirken. Spricht der
Patient dann immer noch nicht auf die Therapie an, sollte das Präparat gewechselt
werden. Schneller wirkt ein mentales Aktivationstraining (MAT), wie es von der
Gesellschaft für Gehirntraining konzipiert wurde, sagte Lothar Blaha. Nach fünf
Tagen bessere sich der Zustand, nach vier Wochen sei allerdings die maximale
Wirkung erreicht, ergänzte Lehrl. Das Gehirntraining sollte jede medikamentöse
Therapie unterstützen.
Sollte ein Patient über seine Erkrankung aufgeklärt werden? Bernd Zimmer
beantwortete diese Frage mit einem klaren Ja. Nach seiner Erfahrung möchten
Patienten informiert werden, solange sie noch im Stande sind, ihre Angelegenheiten
zu regeln und Wünsche auszusprechen.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
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